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Konzertkritik: Rammstein - böse genug für den Massengeschmack

Führen und folgen: Mit Flammenwerfern, schlimmen Texten und eingängiger Musik bringt Rammstein in Berlin die O2-World zum Toben. Ein Konzertereignis für die Mitte der Gesellschaft.

Von David Ensikat

Auf gut genährten Leibern spannen Rammstein-Shirts, macht nichts, kaufen wir uns neue, größere, in der Halle, vor der Halle, im Internet; Rammstein-Shops gibt’s überall. „Die Haut so jung, das Fleisch so fest“ steht auf einem knallroten, engen - hübsch, aber schade, das können wir nicht mehr tragen. Das hier, das stimmt immer, vorne „Manche führen“, hinten „Manche folgen“, weiße Schrift, schwarzer Stoff, alle Größen 25 Euro.

In Berlins größter Halle, der „O2-World“, spielen am Sonnabend Rammstein, Deutschlands erfolgreichster Kulturexportartikel, der in der Heimat wegen seiner Deutschtümelei, wegen des Zynismus und der missverständlichen Symbolik in die Kritik geriet. In München mussten sie gerade ihren Auftritt verschieben, weil ihr Spiel mit der Pyrotechnik am Totensonntag nicht erwünscht war. Den Kritikern sei Dank, ihre Einwände und ihre Missgunst gehören zur Erfolgsgeschichte. Ohne sie wäre Rammstein nie in der Mitte der Gesellschaft angelangt, dort, wo sie mutmaßlich niemals hinwollten. Oder doch?

Die Halle ist schon lange ausverkauft, so wie auch die Hallen in den anderen Städten, in denen Rammstein spielt. Sechs Männer aus Ost-Berlin, ähnlich alt wie das Publikum, das auf den Rängen sitzt, Mitte 40; die, die unten stehen, sind eher Mitte 30. Rammstein fabrizieren eine laute, harte, wenig originelle Marschmusik, die nicht der Rede wert wäre, wenn sie nicht angereichert würde mit dem rollenden R des Sängers, seinen bösen Texten und einer Bühnenshow, die, hätte man sie sich nicht schon auf Youtube angeguckt, einem den Atem stocken ließe. Da knallt es und da kracht es, Funkenfontänen puffen in die Höhe, Flammenwerfer werfen Flammen, und die auf dem Rang fragen sich: Wenn die Hitze bis hier oben steigt, wie halten die Kerls das auf der Bühne aus?

Dann krauchen fünf der Kerls auf allen vieren, an Halsbändern über eine Brücke, die sich über die Köpfe des Publikums spannt, angetrieben von einer blondgelockten Domina. Auf der kleinen Mittelbühne ankommen, entpuppt sie sich als der Schlagzeuger, welcher den Takt vorgibt zum Marschgesang: „Der Zweifuß stammelt ein Gebet / aus Angst weil es mir schlechter geht / versucht er tief sich noch zu bücken / Tränen laufen hoch den Rücken / Bück dich …“.

Die Männer und die Frauen im Publikum mit den Rammstein-Shirts stechen mit den Fingern in die Luft und singen jede Zeile mit, beseelt, tausende Glieder einer stampfenden Masse. Wenn man jene mit dem „Manche führen, manche folgen“-Shirt fragte, zu welchen manchen sie sich zählen, was würden sie sagen?

Till Lindemann, der böse Sänger holt ein Gummischwänzlein aus der Hose, welches an eine famose Apparatur angeschlossen ist. Sie pumpt Liter um Liter einer Flüssigkeit hervor, die sich mit Hochdruck über die wogende Menge ergießt, und wer zu weit weg steht, stünde gerne näher dran. „Bück dich, befehl ich dir / wende dein Antlitz ab von mir / dein Gesicht ist mir egal / bück dich noch einmal …“.

Als nächstes kommt was Langsames, Deutschromantisches, „Ohne dich kann ich nicht sein / mit dir bin ich auch allein“, da stechen die Publikumsfinger nicht mehr spitz nach oben, jetzt schwenken Hände überm Kopf. Und die Handykameradisplays leuchten so wie einst die Feuerzeuge. Und die Scheinwerfer auf der Bühne sind steil nach oben gerichtet, wie Flak-Scheinwerfer, nein wie Bäume, ach was, fahle Lilien.

Es gibt viele Zugaben, obgleich aus dem Publikum, erstaunlich eigentlich, nur ein unordentliches Johlen kam, kein rhythmisches Zu! – Ga! – Be! Bei „Mein Herz brennt“ hält der Sänger ein brennendes Herz in die Höhe, bei „Ich will“ tut die Masse, wie ihr geheißen: „Ich will eure Phantasie / Ich will eure Energie / Ich will eure Hände sehen / Ich will in Beifall untergehen“, und bei „Pussy“, ganz zum Schluss, setzt sich Lindemann auf eine dicke rosa Schaumkanone und besudelt die ersten frohen Reihen.

Verbeugung, Dankeschön, Licht an und alle raus jetzt. Zeit, die Leute anzusehen, die selig Verführten, jene, um die sich die Kritiker Sorgen machten, dass sie die Ironie des Rammsteinvortrages nicht recht verstünden. Es ist, wenn der Schein nicht trügt, alles in allem die totale Mitte: Steuerfachgehilfen, Sachbearbeiterinnen, Mütter, Väter, keine Kinder, Jungintellektuelle mit dicken Brillenrändern, schwule Bodybuilder (eine Handvoll), heterosexuelle Bierbäuche (viel mehr), ein paar Linksextreme, ein paar Rechtsextreme, ein älterer Herr mit blauem Businesshemd und „Rammstein-T-Shirt“ drüber, ein traurig schlurfendes Emo-Mädchen mit dickem Kajalstrich und „Liebe ist für alle da“-T-Shirt. Ein Angetrunkener hat seinen Gürtel in der Hand und haut damit ganz sachte Unbekannten auf den Hintern, die Leute lachen drüber.

Deutschland 2011, Rammsteins Best- of, „Made in Germany“ – so der Titel der Tour. Eine laute, heiße Konsensmaschine, Musik für die Massen. Denn der moderne Massenmensch liebt es nicht nur, in der Masse aufzugehen, er hasst es auch. Da helfen ihm die schlimmen Rammstein-Texte von Sex und Blut, die Annahme, dass das etwas Besonderes sei und er, der das versteht und mag, dann auch. Da stimmen auch die Muttis ein: „Der Mutter die mich nie geboren / hab ich heute Nacht geschworen / ich werd ihr eine Krankheit schenken / und sie danach im Fluss versenken.“

Die Rammstein-Musiker sagen in Interviews, sie seien schon irgendwie gegen das System. Ja, großartig, das sind wir alle! Ein schlimmes System ist das. Nirgends kann man es so ausgelassen feiern wie mit unseren Ost-Berliner Jungs.

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