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Sitztänzer. B. B. King in Wolfsburg. Foto: dpa

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Konzertkritik: Thriller

Der große alte Bluesmeister B. B. King rockt, zaubert und tanzt beim Festival Movimentos in Wolfsburg. Und das alles im Sitzen.

Sechzig- oder siebzigjährige Rockmusiker zu bewundern, gehört inzwischen zum Tagesgeschäft, man ist ja selbst auch schon ein ganzes Leben dabei. Beim Blues verhält es sich etwas anders. Der Blues ist älter, er ist die Wurzel und der Vater aller Bobs und Micks und Neils, und dann sitzt beim feinen Wolfsburger Movimentos-Festival eben ein Kerl von bald 86 Jahren auf der Bühne und rockt und wiegt und unterhält das volle Haus. Unfassbar!

„The Thrill is Gone“? Kann man nicht sagen. B. B. King schenkt lässig seine Hits und Standards her, und dass er im denkmalgeschützten alten Kraftwerk der Autostadt spielt, sagt fast schon alles über den Mann im Glitzerjackett mit der schwarzen E-Gitarre, die auf den Namen Lucille hört. „When Love Comes to Town“: Und man durfte dabei sein. Wie eine junge Frau hält er seine Lucille vor dem Bauch, „Rock me Baby, Rock me all Night long“. Seine Karriere erstreckt sich über mehr als ein halbes Jahrhundert, mit reichlich 15 000 Konzerten. Da gibt es, on the road, keinen Unterschied zwischen Erotik und Sex. B. B. King und seine Lustgitarre pflegen eine hohe Betriebstemperatur.

Dass er sich gelegentlich am eigenen Feuer verbrannt hat, dass der Junge aus Mississippi entsetzliche Dinge erleben musste, rassistische Übergriffe, bittere Diskriminierung, Armut und knochenharte Arbeit auf den Baumwollfeldern, davon erzählt er in seiner Autobiografie „Blues All Around Me“ (Ein Leben mit dem Blues, Palmyra Verlag). Der Blues, sagt er – und er gebraucht den Namen seiner Musik im Plural – hat viele Dialekte, wie sein großes Land Amerika. An diesem Abend in der Autostadt ist der Blues eine Hymne an das Leben, die Liebe, er ist Rock und Jazz und Funk und Gospel. Die siebenköpfige Band – jeder einzelne Musiker ein herausragender Solist – brodelt wie ein fröhlicher Vulkan. Obendrauf B. B. King, zum Plaudern aufgelegt. Immer wieder unterbricht er, zieht seine Späße ab, wirft Goldkettchen ins Publikum, fordert zum Mitsingen auf („You are my Sunshine“, „When the Saints ...“) und springt ansatzlos in ein traumwandlerisch weiches Tänzchen mit Lucille.

Unvergesslicher Anblick: Wie der Vater von fünfzehn Kindern, der Träger von einem guten Dutzend Grammy Awards, der Interpret von unzählbaren Alben, der 2006 seine offizielle Abschiedstour gab, im Sitzen seine Tänze vollführt. Die Stimme scheint überhaupt keine Modulationsprobleme zu haben, sie klingt voll, übervoll. Er lässt das Mikrofon kreisen, packt einen Song, der ihm zu entwischen droht, am Nacken und wirbelt ihn triumphal empor. Auf diesen Fels kann man eine Kirche bauen. Und ein Liebesnest. Ein Leben sowieso. Rüdiger Schaper

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