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Arrr, Immobiliengeschäfte! Charles Laughton (M.) als Captain Kidd im Piratenfilm „Unter schwarzer Flagge“ von 1945.

© picture alliance / dpa

Korruption und Günstlingswirtschaft: Freibeuter, ran an die Spreeperlen!

Die Stadt Berlin und ihre Schulden: Wie Politiker die Schatzinsel bis zum letzten Cent ausnehmen.

Faule Kredite, Korruption und blinde Gier – Berlin ist seit seiner Gründung an ökonomischen Katastrophen wenig erspart geblieben. Die 52 Beiträge des von Christine Friedrich, Lavinia Meier-Ewert und Andreas Resch herausgegebenen Lesebuchs „Schulden in Berlin“, das nicht nur im Licht von David Graebers gleich auf den ganzen Kapitalismus gemünzter Studie „Schulden“ besonders unheimlich glänzt, gehen der Misswirtschaft in dieser Stadt bis in die unmittelbare Gegenwart nach. Von der Glosse bis zur Reportage sind hier viele Töne zu finden. Das im kleinen, dem Stadtmuseum angegliederten Verlag M erscheinende Buch (237 Seiten, 19,90 €) wird am Donnerstag, dem 31. Mai, um 19.30 Uhr im Innenhof des Märkischen Museums (Am Köllnischen Park 5) vorgestellt. Wir dokumentieren vorab den Beginn von Mathew D. Roses Essay „Die Schatzinsel“. Der Autor, 1954 geboren, hat bereits mehrere Bücher über Korruption in der Hauptstadt verfasst.

Knapp elf Tage lang hatte Berlin einen echten Freibeuter zum Senator. Nein, lange hat sich Michael Braun wahrhaftig nicht gehalten. Anlässlich der neuesten Auflage der Berliner großen Koalition – die letzte hatte die Stadt finanziell in den Ruin getrieben – war er zum Senator für Justiz und Verbraucherschutz ernannt worden. Zur Ausübung seines Amtes jedoch sollte der alte Freibeuter – andere würden Braun wohl eher als Piraten bezeichnen, auch wenn er Mitglied der CDU ist – nicht kommen.

Zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert waren Freibeuter weit verbreitet, damals allerdings ausschließlich auf dem Meer. Was den Freibeuter vom Piraten unterschied, war der Kaperbrief, ein Dokument, das eine Regierung ausstellte, um ein Schiff als Zusatzkraft der Kriegsmarine ihrer Nation zu deklarieren – als lizenzierte Banditen zur See. Es war keine Seltenheit, dass Kapitäne und ihre Mannschaften im Lauf ihrer langen Karriere mal Freibeuter, mal Piraten waren. Die Rolle eines Schiffes bestimmte der in der Tasche des Kapitäns vorhandene oder nicht vorhandene Kaperbrief – und die Perspektive der Betroffenen. Sir Francis Drake war für die Engländer ein großer Seeheld und Freibeuter, der seiner Königin und der Nation treu diente. Für die Spanier und Portugiesen, deren Schiffe Drake kaperte, deren Schätze er plünderte und deren Landsleute er umbrachte, war er schlicht und einfach ein blutrünstiger Pirat.

62 Milliarden Euro Schulden? Es sind viel mehr!

Michael Braun segelt auf den Meeren des Kapitalismus mit seiner Notarurkunde in der Tasche. Aus seiner Sicht, aus der seines Berufsstands und seiner Parteigenossen ist er ein ehrenwerter Bürger, ein angesehener Politiker. Fragt man die Opfer des Immobilienbetrugs, deren Verträge Braun beglaubigte und an denen er gut verdiente, so hört man, der Mann sei ein Komplize von Betrügern, der sie vor anderen Kriminellen nicht schützte.

Braun ist ein typischer Vertreter von Berlins politischer Klasse. Die Bevölkerung ist ihre Beute, in der Politik wie im Privatgeschäft. Ihr Handwerk haben die Vertreter dieses Standes in einer Partei, in einem Unternehmen oder einer Kanzlei erlernt. Neu ist das nicht. Das Bürgertum hat den König und die Aristokratie nicht von der Macht verdrängt, um der Gesamtbevölkerung eine bessere Welt zu ermöglichen. Sondern um sich die politische Macht zu sichern, mittels derer es sich dann bereichern konnte – auf Kosten des Volkes.

Berlins offizielle Verschuldung liegt heute bei rund 62 Milliarden Euro. Doch es gibt eine Menge Schulden, die die Politik nicht dazurechnet. Die „stille Verschuldung“, wie der gegenwärtig für die Verwaltung der Schatztruhe zuständige Maat, Ulrich Nußbaum, sie nennt. Zum Beispiel die Beamtenpensionen. Diese werden aus Steuergeldern des Landes beglichen, im Gegensatz zur Altersversorgung der beitragspflichtigen Arbeitnehmer, die aus der Rentenkasse gespeist wird.

Laut einer Studie vom Ende des Jahres 2011 muss Berlin hierfür bis zum Jahr 2050 rund 130 Milliarden Euro aufbringen. Somit steigen die Ausgaben für Beamtenpensionen von heute an um jährlich 1,5 Milliarden auf fast das Dreifache. Dafür existieren keine Rücklagen. Hinzu kommen Verbindlichkeiten in Milliardenhöhe aus Wirtschaftsbeteiligungen wie den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), den Wohnungsbaugesellschaften, der Berliner Stadtreinigung oder der Krankenhaus-Gesellschaft Vivantes. Die hat Nußbaum so sehr verdrängt, dass sein Pressesprecher mir nicht einmal deren Gesamthöhe nennen konnte.

Straßen und öffentliche Gebäude sind in erbarmungswürdigem Zustand

Außerdem gibt es noch die Bürgschaften des Landes Berlin. Die liegen bei rund 30 Milliarden Euro – auch wenn hiervon nur ein kleiner Teil tatsächlich anfällt, bedeutet das für den Haushalt dennoch eine Belastung von rund 200 Millionen Euro im Jahr. Diese jährliche Summe könnte in den nächsten Jahren, vor allem wegen der Bankgesellschaft-Bürgschaften, noch höher ausfallen.

Auf der Einkommensseite ist der stete Abbau jener Gelder zu verzeichnen, die Berlin aufgrund des Solidarpakts vom Bund erhält. Diese reduzieren sich um rund 150 Millionen Euro jährlich. Im Vergleich zu heute bedeutet das für das Jahr 2020 etwa 1,5 Milliarden Euro weniger Einnahmen – also acht Prozent des aktuellen Berliner Gesamteinkommens. Dieser Posten ist besonders schmerzlich für Berlin, da das Geld zur Reduzierung des starken infrastrukturellen Nachholbedarfs im Ostteil der Stadt verwendet werden sollte. Dort kommt es allerdings nicht an. Berlin entwendet das Geld, um damit das jährliche Defizit zu begleichen.

Doch fehlt es nicht nur an vorgesehenen Investitionen. Ferner sollte man den Instandsetzungsstau, den das Land vor sich herschiebt, nicht vergessen – auch ein Defizit, selbst wenn es nicht im Landeshaushalt erfasst ist. Berlins Autofahrer können ein Lied von der erbärmlichen Straßenqualität in der Hauptstadt singen, und beim Betrachten vieler öffentlicher Gebäude ist an deren schlechtem Zustand die Malaise erschreckend deutlich zu erkennen.

Wo das alles hinführt, weiß niemand. Je größer die Ausgaben beziehungsweise je geringer die Einnahmen, desto mehr muss gespart oder Landeseigentum verkauft werden. Seit der Wiedervereinigung ist viel veräußert worden: die Elektrizitäts-, die Gas- und Wasserbetriebe, fast 250.000 städtische Wohnungen (beinahe die Hälfte des Bestandes), städtische Gewerbebaugesellschaften, die Landesbank und viele landeseigene Immobilien, um nur einiges zu nennen.

Mitschuldig an der Misere: Der "rote" und der "schwarze" Klaus

Wie kam es zu Berlins aussichtsloser Situation? Die Antwort ist einfach: durch die politische Klasse Berlins. Das klingt vielleicht polemisch, ist es aber bei näherem Hinsehen nicht. Verantwortlich sind natürlich, wie immer, die Achtundsechziger, die Prügelknaben der deutschen Postmoderne. Vor allem die berüchtigte „K-Gruppe“. Die hatte sich wie so viele K-Gruppen an der Freien Universität in West-Berlin formiert. Doch anders als ihre linken Namensvettern stand diese Gruppe ideologisch eher der Jungen Union und dem Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) nahe. Viele ihrer Mitglieder studierten Jura. Zwei der berüchtigtsten waren Klaus Landowsky und Eberhard Diepgen. Landowsky hatte noch einen anderen Namen für die K-Gruppe: die „Crew“, deren Kapitän er werden sollte. Ihr Freibeuter-Motto lautete: „Das Leben ist so kurz, da kann man sich keine Umwege leisten.“

Es gab zwei berüchtigte Freibeuter-Kapitäne zu jener Zeit: „die zwei Kläuse“, der schon erwähnte Klaus Landowsky und sein SPD-Pendant Klaus Riebschläger. Ihre Karrieren nahmen einen ähnlichen Verlauf, und beide galten als Schrecken der öffentlichen Finanzen und Demokratie. Die horrenden Freibeuterzüge der beiden Kapitäne sind in den Schulden-Annalen Berlins in Stein gemeißelt. Klaus Riebschläger, der „rote Klaus“, machte wie sein fast gleichaltriger Gegenpart in der CDU, der „schwarze Klaus“ oder „Blackbeard“ Landowsky, in den Siebzigern Karriere in Berlins Sozialem Wohnungsbauförderungsprogramm. Dieses Programm sollte ursprünglich schnellstens den im Krieg zerstörten Wohnungsbestand West-Berlins wiederherstellen. Es wurde jedoch zu einem der 63 größten finanziellen Fiaskos in der Geschichte der Bundesrepublik – eine riesige Geldumverteilungsaktion von unten nach oben.

„Wer an einem kleinen Block nicht zwei Millionen macht, hat sich wirklich doof angestellt“

Die Preise der Wohnungen in dem Programm, gebaut von der privaten Wirtschaft anstatt von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, wurden durch fiktive Kosten in die Höhe getrieben. Die Baupreise lagen um 100 Prozent über denen in Hamburg. Die Bauunternehmer kassierten die Differenz sofort. Unter den Bauträgern hieß es damals: „Wer an einem kleinen Block nicht zwei Millionen macht, hat sich wirklich doof angestellt.“ Die Investoren bekamen ihre Investition über Steuerabschreibungen zurück und damit die Wohnungen quasi umsonst. Die Kosten wurden in die Zukunft verschoben, um vom Steuerzahler beglichen zu werden. Sie waren im Landeshaushalt nicht einmal sichtbar, da darin nur die jährlichen Subventionen aufgeführt wurden. Berlin schob Schulden in zweistelliger Milliardenhöhe vor sich her. Dafür zahlen die Bürger heute noch – obwohl das Programm vor 15 Jahren beendet wurde – eine Summe von gegenwärtig rund einer halben Milliarde Euro im Jahr.

Die Bauunternehmer bekamen ihre Milliarden von zwei öffentlichen Berliner Institutionen: die Förderung von der Wohnungsbau-Kreditanstalt und die Finanzierung über die Berliner Pfandbriefbank. Riebschläger war Vorstandsmitglied der einen, Landowsky der anderen. Obwohl beide Institutionen die gleiche Klientel bedienten, kam man auf die Idee, dass sie einander kontrollieren sollten. Also trat der „rote Klaus“ dem Vorstand der Pfandbriefbank bei, der „schwarze Klaus“ dem der Wohnungsbau-Kreditanstalt. Die Geldschleusen wurden geöffnet. Und alle waren zufrieden: Die Bauunternehmer wurden Millionäre; viele Anwälte und Zahnärzte bekamen massive Steuerabschreibungen und dadurch eine Immobilie umsonst; die politischen Freibeuter kassierten kräftig mit; die Gewerkschaften freuten sich über die vielen Arbeitsplätze und Berlins Bevölkerung über geringe Mieten. Wer das alles bezahlen sollte, fragten sich nur wenige.

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