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Kultur: Kraftprotz

Von Bäckerinnen und "Sekretärinnen"Die Verkäuferin in der Öko-Bäckerei blickt betreten zu Boden.Eigentlich habe sie sich gar nichts dabei gedacht, als sie das Plakat hier aufhängte, beteuert sie, während sie das verlangte 750-Gramm-Körnerbrot "Kraftprotz" in die ungebleichte, braune, etwas zu kleine Tüte zerrt.

Von Bäckerinnen und "Sekretärinnen"Die Verkäuferin in der Öko-Bäckerei blickt betreten zu Boden.Eigentlich habe sie sich gar nichts dabei gedacht, als sie das Plakat hier aufhängte, beteuert sie, während sie das verlangte 750-Gramm-Körnerbrot "Kraftprotz" in die ungebleichte, braune, etwas zu kleine Tüte zerrt.Außerdem ginge es ja schließlich um Kultur, hängt sie leicht trotzig an, und Frauen dürften sich ja wohl auch mal über einen gutaussehenden Mann freuen?! Hämisch mustert sie meinen ausgezehrten Journalistenkörper und blickt anschließend demonstrativ zum beanstandeten Plakat, auf dem ein nur mit einer Schreibmaschine bekleideter, übermäßig muskulöser junger Mann für die neue Revue im Schiller-Theater wirbt.Meine aufsteigende leichte Verlegenheit spürend, legt sie, ihr Oberwasser schamlos ausnutzend, noch einen drauf: Ich sei ja wohl nur neidisch, ich solle doch lieber mal ein bißchen Sport machen, statt mich hier aufzuspielen.Ich, nicht faul, kontere mit Munition aus meiner Rüstkammer universaleuropäischer Bildung, um das schnippische Mädchen (vermutlich ohnehin keine Fachkraft, sondern eine von diesen abgebrochenen Kunsthistorikerinnen) in seine Schranken zu weisen.Ob sie sich denn darüber im Klaren sei, daß sie hier Allerheiligstes verletze? Schließlich seien Deutschlands Bäckereien seit jeher Tempel der sexuellen Gleichberechtigung gewesen, in den Backstuben seien unter priesterlichem Weiß schon seit jeher die Geschlechterrollen in Frage gestellt worden! Hier durften Männer Schürzen und Frauen Uniformjacken und kecke Schiffchen tragen, als draußen auf der Straße noch das bedrückendste Adenauer-Regime herrschte! Und diese Tempelvorhalle, diesen asketischen Raum der Besinnung entweihe sie nun, indem sie zwischen die karg bestückten Naturholzregale das sexistische Abbild dieses männlichen Busenwunders hänge! Siegesgewiß packe ich mein "Kraftprotz"-Brot in den mitgebrachten Nylonbeutel, stoße schwungvoll die Ladentüre auf und sehe noch aus dem Augenwinkel, wie sie nervös zitternd die Quarkschnecken, Mandelhörnchen und Knusperstangen in ihrer armseligen Vitrine zu ordnen versucht.Hm, aber ein bißchen Sport würde mir vielleicht tatsächlich nicht schaden.Ich kann ja mal mit Schreibmaschinetragen anfangen. jök

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