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Kultur: Kraftwerk für immer

Berliner Abend für den Dichter Juan Carlos Onetti

Sie ist keine lustige Witwe, aber eine heitere, und das ist doch was. Eine fröhlich geerdete Frau, wie sie ein Hieronymus im eigenen Kreativgehäuse zum Überleben braucht – Dorotea Muhr, Ehefrau Nummer vier des unsterblichen Juan Carlos Onetti, die den stillen Titanen der lateinamerikanischen Literatur von 1955 bis zu seinem physischen Tod 1994 begleitete. Munter kann sie erzählen – dass Onetti beim Schreiben gern Wein und Wasser trank, dass er auch mal Hallowachbleib-Pillen nahm, dass er langsam schrieb und überhaupt ziemlich träge war – kein Wunder bei einem Mann, der sein Leben überwiegend im Bett verbrachte und sparsamen Umgang mit der Welt pflegte, weil er schließlich in seiner eigenen Welt zu Hause war. Tja, wie rückwärtsgewandt liebende Dichterwitwen eben zu reden pflegen.

Aber, die Hochsiebzigerin mit dem blinkenden Blick und dem schönen grauen Krauskopf möge verzeihen: Das Ereignis des Montagabend im Berliner Iberoamerikanischen Institut war nicht sie mit ihren hübsch lax dargebotenen Anekdoten, sondern das Dreimännerpodium vorneweg. Anderthalb Stunden kultivierte Leidenschaft und äußerste Sorgfalt im Umgang mit dem Werk des Großmeisters aus Uruguay, den Fans in einem Atemzug mit Faulkner, Musil oder Kafka nennen; den die prominenten Abräumer des Magischen Realismus – von Gabriel García Márquez bis Mario Vargas Llosa – als Vorbild erst dann in den Himmel hoben, als ihr eigener Ruhm gesichert war; und dessen Werke, von „Der Schacht“ bis „Das kurze Leben“, so fulminant amoralisch gerieten, dass die stets um Konsens bemühten Nobelpreis-Austüftler ihn nie ernstlich auf ihrer Liste hatten.

Einen writer’s writer nannte Suhrkamp-Lektor Jürgen Dormagen den großen Romancier, den steten Wiedererfinder der Fantasiewelt von Santa Maria, von Fantasiefiguren auch, die seine Romane bevölkern – vom düstersanften ewigen Zuhälter Larsen bis zum kühlklugen Arzt Diaz Grey. Einen Dichter für Dichter also, nicht unbedingt einen für das allerbreiteste Lesepublikum. Und einen für deutsche Literaturkritiker, die ihn in den Achtzigerjahren fasziniert entdeckten und damit dem für Onetti entflammten Suhrkamp-Mann unabgesprochen Rückendeckung gaben. „Hier bin ich gefragt!“, erinnert sich Dormagen an seine Onetti-Anfänge und die unstillbare Lust, einen Autor, der sich alles andere als glatt exponiert, „sichtbar zu machen“.

Als einen Vorläufer der magischen Realisten bezeichnete der kundige Moderator Martin von Koppenfels (FU Berlin) den funkelnden Gegenstand des Abends, „und nun ist er plötzlich übrig“. Und auch Gerhard Poppenberg von der Uni Heidelberg grenzt den kulturell tief europäisch geprägten Onetti scharf ab von der Phalanx der äquatornäher siedelnden tropischen Fabulierer, zu deren späten Epigonen man auch eine Isabel Allende zählen mag – Dukateneselin immerhin auch des Suhrkamp Verlags. Nein, Onetti ist ein anderer. „Er schreibt auf der Höhe der Moderne“, sagt Poppenberg, „auf der Höhe dessen, was wir uns im 20. Jahrhundert angetan haben.“ Und tatsächlich, das literarische Universum Onettis kommt ohne Gott aus und ohne Teufel. Es ist ein irdisches Tal, wo niemand jammert. Wo Menschen Böses tun ungestraft, immer wieder auch gegen sich selbst. Kalte Welt klar denkender Leute, und selbst im fein sortierten Trubel sind sie unglaublich allein. Was für ein Kosmos!

Der Anlass des Abends? Ach Gott ja, der Anlass. Der Suhrkamp Verlag bringt, unter der kundigen Ägide von Dormagen und Poppenberg, eine kommentierte Werkausgabe in fünf Bänden heraus – bis zu Onettis 100. Geburtstag 2009 soll das Mammutvorhaben, mit genau durchgesehenen Übersetzungen, fertig sein. Ein erster Band ist erschienen – mit der „Werft“ und „Leichensammler“, zwei leuchtend finsteren Hauptwerken Onettis. Dormagens Hoffnung: „Wer das liest, ist an den Autor verloren.“ Luzider und schöner kann man es nicht sagen.

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