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© Kling Klang

KRAFTWERK in Berlin (3): Deine Angst ist nicht berechtigt

Wie macht man das jetzt als Fan? Wie geht man da hin und wird glücklich?

Von Markus Hesselmann

Wie macht man das jetzt als Fan? Wie geht man da hin und wird glücklich? Gar nicht, sagt Martyn Ware, der nicht irgendein Kraftwerk-Fan ist, sondern laut dem soeben erschienen pophistorischen Erzählband „Electri_City“ in Sheffield „nach der Initialzündung ’Trans Europa Express’“ die Elektropop-Band The Human League gründete und sich später mit Heaven 17 auch auf Kraftwerk berief. „Von den aktuellen Shows schaue ich mir keine mehr an“, sagt Martyn Ware in dem Buch. „Heute hätte ich Angst, ich würde zum Konzert gehen, und es würde mir womöglich nicht gefallen. Das wäre schrecklich.“ Das Gefühl kennen Fans alter Helden: Nostalgie, Verklärung, Oldie-Party sind gefährliche Irrwege.

„Trans Europa Express“ war der dritte Halt in der Reihe von acht Kraftwerk-Konzerten in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, bei denen jeweils ein Album im Mittelpunkt steht. Das Album von 1977 ist die erste echte Pop-Platte der Band mit durchweg klaren Songstrukturen und tanzbaren Beats, die nicht nur angehende britische Elektropopper inspirierten, sondern auch den New Yorker Hip-Hopper Afrika Bambaataa. Gleichzeitig, und das ist das Besondere, Schöne an diesem Album, sind die atmosphärischen, zur elektronischen Linie des Krautrocks gehörenden Elemente der Vorgänger „Autobahn“ und „Radioaktivität“ weiterhin spürbar. Darüber hinaus wird eine Weiche in Richtung Industrial gestellt mit dem Stück „Metall auf Metall“, aus dessen Titel schon deutlich wird, um welche neue Form der Musik es hier geht. „Trans Europa Express“ war alles: retro, futuristisch, melancholisch, technisch, zeitlos, modern, traditionell, zukunftsweisend – you name it“, sagt Martyn Ware.

Diesen Mix im Konzert rüberzubringen, ist schwieriger als das, was ab dem vierten Album der Reihe, „Die Mensch- Maschine“, kommt, wenn es unaufhaltsam Richtung Techno-Pop geht und Rhythmus- und Tastensequenzen eine Grundlage bilden, auf der sich alles Weitere entwickelt. So funktioniert auch der Best-of-Teil dieses Abends. Dagegen klingt „Trans Europa Express“ verletzlich, der Beat fragil, der Sound filigran.

Unsere Angst ist nicht berechtigt: Kraftwerk spielen ein wunderbares Konzert, gerade weil es im albumspezifischen Teil nicht perfekt ist. Was ein anderer britischer Kronzeuge, OMD-Gründer Andy McCluskey, in „Electri_City“ so ausdrückt, „diese Musik war handgemacht und hatte einen unwiderstehlichen human touch“, das kommt selbst unter den Produktionsbedingungen des Jahres 2015 und im Museum rüber. Gerade dann, wenn die an den vier Pulten auf der Bühne zusammengestellten Sounds mal unsynchron laufen oder Ralf Hütter mit seiner Stimme nicht sauber den Ton trifft. Bei „Europa Endlos“ klingt er wie ein besserer Alleinunterhalter auf einer gehobenen Hochzeitsgesellschaft, was dem melancholischen Lied nicht schadet, sondern es umso menschlicher macht.

„Trans Europa Express“ taugt live wie als Platte als Beleg dafür, dass Kraftwerk eben kein verkopftes Designprojekt sind. Die Engländer scheinen die Band insoweit besser zu verstehen und keinen Wert auf eine orthodoxe, streng deutsche Interpretation des Roboterkonzepts zu legen, demnach es nun sogar egal sein soll, dass nach Karl Bartos und Wolfgang Flür aus der klassischen Besetzung inzwischen auch Mitgründer Florian Schneider nicht mehr dabei ist. Es ist nicht egal. Es ist traurig, man spürt den Phantomschmerz immer noch und sucht nach Spuren von Florian Schneider. Wie ist das mit den elektronisch verfremdeten Stimmen? Hört man ihn da nicht noch? Und war da nicht doch seine Silhouette eben in der 3-D-Grafik zu „Schaufensterpuppen“ zu erkennen? Man lässt sich gern täuschen, als Fan. Markus Hesselmann

Morgen bespricht Nadine Lange „Die Mensch-Maschine“.

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