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Kultur: Krapfen statt Lebkuchen

Es muss nicht immer Wagner sein: Nürnberg schmückt sich erstmals mit Gluck-Festspielen

Man braucht vom Nürnberger Hauptbahnhof nur ein paar Meter zu gehen, um Christoph Willibald Gluck auf die Spur zu kommen. Gleich hinter der trutzigen Stadtmauer, im Schaufenster einer Bäckerei, prangt ein Schild, das die neue Verbundenheit der fränkischen Metropole mit dem bedeutendsten Opernkomponisten des 18. Jahrhunderts demonstriert: Wer einen der eigens für die ersten internationalen Gluck-Festspiele kreierten GluckKrapfen erwirbt, unterstützt mit dieser Aktion zugleich die Festivalproduktion von Glucks früher komischer Oper „Merlins Insel“.

Wie der GluckKrapfen sind auch die Gluck-Festspiele selbst ein Beispiel dafür, dass die bürgerliche Verbindung von Kunst- und Geschäftssinn hier noch intakt ist: Wenn es dem Prestige Nürnbergs dient, nutzt man die Kultur selbstbewusst als Aushängeschild. In diesem Jahr etwa machen die lokalpatriotischen Unternehmer nicht nur die gut 150000 Euro nötigen Extramittel für Gluck locker, sondern ermöglichen mit 400000 Euro auch ein Gastspiel des Nürnberger Theaters in Peking mit Wagners „Ring“. Natürlich auch, weil man sich auf diesem Weg Kontakte zum Wirtschaftsboomland China erhofft.

Dass sich Nürnberg als Wagner-Stadt präsentiert, hat freilich schon wegen der „Meistersinger“ Tradition. Dass man jetzt auch das Andenken Glucks pflegen will, liegt aber vor allem an zwei Personen: Am rührigen Unternehmer und ehemaligen Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Hans-Peter Schmidt, dem als Erstem auffiel, dass der Geburtsort Glucks im oberpfälzischen Dorf Erasbach nur 30 Kilometer von Nürnberg entfernt liegt, der Komponist demnach so gut wie als Franke gelten kann; und an Wulf Konold, dem Intendanten des Nürnberger Stadttheaters und profilierten Musikwissenschaftler, dem die Vernachlässigung der Opern Glucks schon länger missfiel.

Tatsächlich ist die Diskrepanz kaum zu übersehen: Einerseits gilt Gluck unbestritten als einer der wichtigsten Opernkomponisten überhaupt, dessen Werke das Musiktheater revolutionierten und seine Entwicklung weit stärker beeinflussten als beispielsweise die Opern Mozarts. Andererseits aber sind die sechs großen, zwischen 1760 und 1780 entstandenen Gluck-Opern mit Ausnahme des „Orfeo“ fast völlig aus den Spielplänen verschwunden – das antikisierende Pathos der „Alceste“ und der beiden „Iphigenie“-Opern passten offenbar nicht mehr ins 20. Jahrhundert. Glucks Musik, deren Wirkung auf der präzisen Abstimmung von Sprachduktus und Orchesterstimmen beruht, erwies sich als zu empfindlich gegenüber den stilistischen Vergröberungen des Repertoirebetriebs. Erst durch die Einspielungen von Dirigenten wie John Eliot Gardiner und Marc Minkowski wurden Glucks Werke in den letzten Jahren rehabilitiert – seitdem sind Opernhäuser angehalten, die Stücke erneut auf ihre Repertoiretauglichkeit zu überprüfen.

Genau der richtige Zeitpunkt also für Gluck-Festspiele, um diesen Prozess in Gang zu bringen und im dreijährigen Turnus zu bündeln. Der erste Festspiel- durchgang hat in diesem Zusammenhang wohl vor allem Signalcharakter: Denn während sich Konold für die Zukunft vor allem Koproduktionen von Opern Glucks und seiner Zeitgenossen wie Traetta, Jommelli und Myslivecek vorstellt, lastete das Gewicht der musikhistorischen Verantwortung diesmal noch fast allein auf den Schultern des Nürnberger Theaterensembles: Lediglich ein (durch eine spendable Nürnberger Lebkuchenfabrikantin ermöglichtes) Gastspiel des Theaters Wiesbaden mit der „Armide“ zeigte, dass auch anderswo die Erfahrungen der historischen Aufführungspraxis am Beispiel Gluck rezipiert werden.

Den Rest besorgte Nürnberg selbst: neben der Übernahme von Claus Guths psychoanalytischer Inszenierung der „Iphigenie auf Tauris“ von den Salzburger Festspielen noch ein hauseigener „Orfeo“ und eine neue „Iphigenie in Aulis“ sowie die kleiner dimensionierte „Merlins Insel“. Ein gewaltiges Pensum, in dessen Verlauf allerdings die Schwierigkeiten der Wiedereingliederung der Gluck-Opern in den Stadttheaterbetrieb deutlich wurden. Zwar hatte sich das Theater für die beiden „Iphigenien“ mit dem Briten Howard Arman einen jener Dirigenten geholt, die landauf, landab den Opernorchestern die Spieltechniken des 18. Jahrhunderts im Schnellkurs beibringen, doch die Erfolge hielten sich noch in Grenzen. Eine halbwegs überzeugende Verinnerlichung von Glucks Affektsprache gelang erst am Ende des Festivals, in der „Taurischen Iphigenie“. Die übrigen Aufführungen waren in erster Linie ein Beweis dafür, dass Musiker wie Sänger noch zu viel Wagner in den Knochen haben – und zu viel Stadttheater-Routine.

Um eine echte Gluck-Renaissance in Gang zu setzen, braucht es wohl nicht nur mehr Probenzeit (die schon Gluck selbst unermüdlich einforderte), sondern auch mehr Geld zur Verstärkung der hauseigenen Kräfte durch eine Hand voll stilkundiger Spezialisten. Dafür werden die Nürnberger in den nächsten Jahren noch eine ganze Menge Krapfen essen müssen.

Jörg Königsdorf

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