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Kultur: Kratz die Kurve

Constanza Macras’ Hip-Hop-Studie im Berliner Hau

Von Sandra Luzina

Als Bronx von Berlin hatte Neukölln einst einen schlechten Ruf. Doch das Image hat sich gewandelt. Zum Künstler-Ghetto wird es in „Scratch Neukölln“, der neuen Produktion der neuen Berliner Star-Choreografin Constanza Macras im Hebbel am Ufer. Ein Häufchen versprengter Existenzen, die Tänzer-Partisanen der Gruppe Dorky Park, verschlägt es nach Neukölln: Jill aus Iowa und Jared, jüdisch und schwul, wollen sich ausgerechnet hier neu erfinden.

Matthias Lilienthal, Chef des hauptstädtischen HAU-Theaterkombinats, meint es ernst mit dem Versuch, sein Theater zu öffnen für soziale Realitäten und eben auch für street culture aus Berlin. Bei Nicolas Stemanns cooler „Werther“-Adaption konnte man schon auf kichernde Schulklassen treffen – in Begleitung einer Lehrerin. Dass die Kreuzberger Jugend auch ohne Aufpasser ins Theater kommt, wünscht sich der Intendant. Und solange die Neuköllner Hip-Hopper nicht im Publikum sitzen, sollen sie eben auf der Bühne stehen.

Auf echte Neuköllner, sozusagen die Stammesbewohner, stoßen auch die Macras-Getreuen von Dorky-Park. Die jungen Helden heißen Hassan und Fatma, nennen sich Kater oder Maradona und tragen am liebsten Markenturnschuhe; Kids zwischen 6 und 16 Jahren, ihre Eltern kommen aus dem Libanon, aus Serbien oder Polen, und sie haben etwas gemeinsam. Sie sind begabte Breakdancer, sie können den headspin und den electric boogie und sind immer bereit für eine battle. Aber wenn Ramadan ist, dann fastet auch der Neuköllner Hip-Hopper.

Den Kids ist es spielerisch ernst mit dem, was sie hier einüben: Hip-Hop ist schließlich eine Manifestation von Stolz, Selbstbewusstsein und physischer Geschicklichkeit. Die Älteren kämpfen an einer anderen Front: Angela Schubot im Boxer-Kopfschutz verausgabt sich in Kicks und Schlägen, um sich die Trauer um eine verlorene Liebe vom Leibe zu halten. Seltsame Phantomschmerzen treiben die Tänzer um. „Jeden Tag kämpfe ich mit meinem Spiegelbild. Ich bin eine Gefahr für mich selbst“. So singen alle im Chor – eine Raubkopie des Pink-Songs. Die Probleme weißer Mittelklassekinder werden von Macras hübsch ironisch ausgestellt.

Problematisch dagegen der Versuch, einen politischen Kontext herzustellen. Macras, die zusammen mit anderen bekannten Berliner Theateraktivistinnen an einem Camp von Globalisierungsgegnern in Italien teilgenommen hat, zeigt ihre Videos von einem Polizeikordon vor einem Abschiebeknast. Zu BBC-Berichten aus Palästina formiert sich eine kleine Kinder-Demo auf der Bühne. Die Kids tanzen auf einem Untergrund von Terrorhysterie, sozialem Misstrauen, So kippt der Abend dann doch ins Dikaktische. Freilich spielt die Choreografin Macras recht bedenkenlos mit politischen Zeichen und Kriegsmetaphern. Die Tänzer tragen militärische Outfits – selbst das Ballerinentutu ist in Camouflage-Optik gehalten. Neukölln wird zur Kampfzone, aber das ist in erster Linie ein modischer Effekt. Als Stück funktioniert „Scratch Neukölln“ nicht. Raubkopien-Macras ist der Gefahr erlegen und kopiert sich selbst.

Hebbel-Thater (Hau 1), weitere Vorstellungen 17. bis 21. Dezember.

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