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Kultur: Krause Knöpfe

Selja Kameric: erste Soloschau bei Tanja Wagner

Einen roten Teppich hat Sejla Kameric ausgerollt, doch Betreten ist nicht erwünscht. Der Läufer in der Galerie Tanja Wagner ist ein Flickenteppich, gewebt aus Stofffetzen, Gürteln, speckigen Hemdkragen, Krawatten in Karmin, Zinnober und Weinrot (25 000 Euro). Knöpfe und Krausen stechen aus dem Flor hervor. In dem Geflecht mischt sich rustikaler Charme mit der Not derer, die auf Altkleidersammlungen angewiesen sind. Ringsum hängen große Spinnennetze. Kameric hat sie aus weißem oder schwarzem Garn häkeln und klöppeln lassen. Quallen ähnlich, wabern die Gespinste über Wände, Decken, Boden (je 12 000 Euro).

Die Ausstellung kann Besucher, die bereits Arbeiten von Kameric kennen, überraschen. Die 1976 geborene Künstlerin, die zwischen Sarajevo und Berlin pendelt, ist für Foto- und Videokunst bekannt, allem voran für „Bosnian Girl“ (2003), ein Plakat mit ihrem Fotoporträt. Quer über ihren Oberkörper hatte sie das frauen- und fremdenfeindliche Graffito eines in Bosnien stationierten UN-Soldaten gedruckt. Doch Kameric arbeitet jetzt nicht zum ersten Mal mit Fäden. „Gobelin“, eine unvollendete Stickerei von 2007, zeigt Wiesen und Hügel, die sich im Mittelgrund verlieren, so als wäre die Erinnerung der Stickerin an die Landschaft verblasst. Das Gedächtnis, das die einen Bilder zulässt und andere tilgt, ist das Leitthema der Künstlerin.

Mit Teppich und Netzen knüpft sie nun an die Mythen von Philomele und Arachne an, Sagen von Anmaßung und Gewalt, Aufbegehren und weiblicher Aggression. Arachne forderte Athene zu einem Wettkampf im Weben heraus und wurde von der Göttin zur Strafe in eine Spinne verwandelt. Tereus vergewaltigte Philomele und schnitt ihr die Zunge heraus, um sie zum Schweigen zu bringen. Doch die Verstümmelte bezeugte das Verbrechen in einer Stickerei und tötete gemeinsam mit ihrer Schwester Tereus’ Sohn.

Bezüge zu feministischer Kunst der 70er Jahre weist Kameric von sich. Und doch verhandelt sie hier handgefertigte Textilien als Medien weiblichen Ausdrucks. Der Teppich und die von bosnischen Klöpplerinnen gefertigten Netze versinnbildlichen Zusammenarbeit zwischen Frauen und mündliche Überlieferung, das Weben und Verketten von Geschichten. Das lässt schnell an traditionelle Rollen denken. Doch Vorsicht: Kameric hat auch Zeichnungen aufgehängt. Sie zeigen Gebilde, die aussehen wie vergrößertes, verzerrtes Gewebe oder computergenerierte Morphings (2000 bzw. 3500 Euro). Und schon ist die Brücke zur modernen Frau geschlagen. Das Internet bringt nicht nur Handarbeiterinnen in Häkel- und Strickforen zusammen. Es trägt auch dazu bei, traumatische Erlebnisse öffentlich zu machen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen, wie lange Listen digitaler Berichte über Vergewaltigungen in Kriegsgebieten zeigen. Philomele, so legt Selja Kameric’ Ausstellung nahe, müsste heute nicht mehr sticken. Sie hätte ein wirksameres Medium. Claudia Wahjudi

Galerie Tanja Wagner, Pohlstr. 64; bis 5.3., Mi–Sa 11–18 Uhr.

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