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Vorläufer verschlingen. Die Galerie Isabelle van den Eynde zeigt „Non-Colaborative Colaboration“ (2011), eine Installation von Ramin Haerizadeh & Rokni Haerizadeh.

© Stefan Korte

Kreuzberg: Übermalen nach Zahlen

Heute eröffnet die art berlin contemporary – Berlins neue Messe für zeitgenössische Kunst. Die Veranstaltung überflügelt in vielfacher Hinsicht ihre Vorläufer.

Er nennt sie blau, rosa und grün. Dabei sind die Leinwände von Alan Charlton so grau, wie eine monochrome Fläche nur sein kann. Der Trick ist die Perspektive: Wenn man sich auf die einzelnen Farben konzentriert, die im Gemisch Grau ergeben, lässt sich alles in die Bilder des britischen Minimalisten lesen. Es kommt bloß darauf an, was man von ihnen will.

Ein bisschen ergeht es gerade der art berlin contemporary (abc) wie Charlton, dessen teure Bilder im Gepäck der Londoner Galerie Annely Juda nach Berlin gereist sind. Auf jene Verkaufsausstellung, die vier Jahre lang nicht mehr als eine Alternative sein wollte. Der Gegenentwurf zum Art Forum, mit dem ein – allerdings wichtiger – Teil der Berliner Galeristen keine Geduld mehr hatte. Doch Berlins traditionelle Messe am Funkturm gibt es nicht mehr. Was die abc-Organisatoren voraussahen – dass Berlins Messe zwischen der wachsenden globalen Konkurrenz zerrieben wird, weil ihr der Sprung in die erste Liga nicht gelang –, ist in diesem Jahr Realität.

Die abc füllt diese Lücke zwar nicht ungern, aber doch überrascht. Bis in den Juni verhandelten beide Seiten noch über eine Fusion. Dann sagte Berlins Messegesellschaft alles ab. So wird aus einem Nischenprojekt plötzlich das zentrale Ereignis im Berliner Kunstherbst. Eine kuratierte Verkaufsausstellung, auf die sich aller Augen richten. Und in die jeder hineinliest, was er darin sehen möchte.

Nüchtern betrachtet ist die Schau „About Painting“, an der 125 Galerien mit 130 Künstlern ab heute vier Tage lang teilnehmen, keine Ersatzmesse. Obwohl sich die ehemaligen Parallelveranstaltungen zum Art Forum – Liste, Preview und Kunstsalon – an der abc orientieren und ebenfalls ab heute eröffnen. Im Station Berlin, dem ehemaligen Postbahnhof am Gleisdreieck urteilt allerdings keine Jury über die Bewerber. Man wird gefragt. Es gibt auch keine festen Kojen. Sondern eine lockere Ausstellungsarchitektur von Jan Ulmer, die durch zwei Hallen mäandert und immer neue Sichtachsen schafft. Ansonsten arbeitet die abc konsequent an ihren Prinzipien, mit denen sie vor vier Jahren angetreten ist. Das Ergebnis ist absolut sehenswert und eine Pioniertat zwischen den immergleichen Messestrukturen, mit denen Galerien sonst bedient werden.

Allein die Ausstellungsidee, der sich die ausgewählten Arbeiten unterordnen. „About Painting“ heißt das diesjährige Thema der Kuratoren Rita Kersting und Marc Glöde, der auch für das Filmprogramm der Art Basel verantwortlich ist. Kersting leitete vor einigen Jahren den Kunstverein in Düsseldorf. Auch davor war sie lange im Rheinland, das von Malern wie Sigmar Polke, Gerhard Richter oder Martin Kippenberger dominiert wurde. Solche Sterne vom rheinischen Firmament sucht man in der Ausstellung vergeblich. Sogenannte blue chips am Kunstmarkt sind nur bedingt erhältlich. Was die Aussteller ehrt – schließlich will man auch hier verkaufen und Futter für jene internationalen Sammler bieten, die das Art Forum in den vergangenen Jahren verschmähten. Ihnen werden Namen nun wie Haegue Yang (Galerie Wien Lukatsch), Chris Vasell (Team Gallery), Zin Taylor (Galerie Vidalcuglietta) oder Josef Kramhöller (Kienzle Art Foundation) präsentiert. Spannende Neu- oder Wiederentdeckungen, für die das Art Forum in seinen vitalen Anfängen geschätzt war. Und ja, natürlich steuern Galerien wie Neugerriemschneider (Elizabeth Peyton), Bo Bjerggaard aus Kopenhagen (Per Kirkeby) oder Eigen + Art (Matthias Weischer) bewährte Bestseller bei, die breites Interesse garantieren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie man das Programm erstellt hat.

Rita Kersting hat sich anhand einer Liste von rund 250 internationalen Galerien an die Arbeit gemacht. Hat recherchiert, für ihre Favoriten gefochten und viele davon durchgesetzt. Was bedeutet, dass manche Galerien hinzugekommen und andere ausgestiegen sind, die mit den rigorosen Vorgaben nicht einverstanden waren. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es beginnt schon am Eingang mit der feierlichen Inszenierung einer Arbeit von Hans-Peter Feldmann (Galerie Mehdi Chouakri), für die der Künstler nach fast einem halben Jahrhundert erstmals wieder zum Pinsel gegriffen hat – um dem Selbstporträt eines fremden Malers einen schwarzen Balken über die Augen zu setzen. Feldmann macht en passant den konzeptuellen Ansatz der Ausstellung deutlich. Hier wird nicht mit breitem Pinsel das aktuelle Angebot für den Kunstmarkt nachgemalt. „About Painting“ setzt den Akzent auf Künstler, die sich mit dem Thema reflexiv auseinandersetzen. Über die Wirkung von Farbe (Liu Wei), den Zufall in der Malerei (André Thomkins), über Surrogate aus Feinstrumpfhosen und Wollfäden (Alexandra Bircken) und Paraphrasen (James Benning). Und dann gibt es das malerische Experiment, in dem junge Künstler ihre Vorläufer bildhaft verschlingen (Florian Meisenberg) und im remix wieder ausspucken (Ramin & Rokni Haerizadeh). Das Duo wird von der Galerie Isabelle van den Eynde mit Sitz in Dubai vertreten. So holt die abc, die dazu fünf Galeristen aus New York und Long March Space aus Peking eingeladen hat, jene global player nach Berlin, die das Art Forum zuletzt schmerzlich vermisste.

Die neue Kernveranstaltung im Kunstherbst überflügelt (nicht nur) in dieser Hinsicht ihren Vorläufer. Das wird schnell deutlich und hätte zur Vorbesichtigung nicht jenes Kommentars bedurft, mit dem Galerist Tim Neuger und Mitgründer der abc einer Journalistin über den Mund fuhr, die noch einmal wissen wollte, wie man sich denn nun zum Art Forum verhalte. Die Messegesellschaft werde ja nicht müde, die Schuld für das Scheitern jenen Berliner Galerien zu geben, die sich mit der abc eine starke Konkurrenzveranstaltung ausgedacht hätten. Neuger ließ sie kalt abblitzen – und bestätigte wieder einmal jene Kritiker, die Berlins führenden Galerien einen arroganten Umgang mit all jenen attestieren, die nicht zum Netzwerk gehören.

art berlin contemporary (abc), Station Berlin, Luckenwalder Str. 4-6, bis 11.9., Do-Sa 12-21 Uhr, So 12-19 Uhr. Eintritt: 8 Euro, Katalog: 10 Euro.

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