zum Hauptinhalt

Kultur: Krieg und Fritzi

Die Top Ten des Berliner Theatertreffens

Schlechter Sex, germanische Heroen, ein Diktator im Businessanzug, vier pfeiferauchende Max-Frisch-Doubles, eine männerverschlingende Sex-Süchtige, Urlauber in der Sinnkrise, ein Heesters-Doppelgänger und eine gelähmte Frau, die von ihrem Krankenbett im Zuschauerraum aus Live-Regie führt. Die zehn Inszenierungen, die zum diesjährigen Berliner Theatertreffen im Mai eingeladen sind, haben einiges zu bieten. Von Zürich bis Hamburg reicht die Auswahl, von komisch auseinander genommenen Schwergewichten („Die Nibelungen“) über radikal in die Gegenwart geholte Klassiker („Don Carlos“) bis zu illusionslosen Besichtigungen der emotionalen Kollateralschäden einer restlos aufgeklärten Moderne („Elementarteilchen“).

Kein Wunder, dass sich die Kritikerjury bei ihrer Schlusssitzung am Dienstag bis tief in die Nacht diskutierte. Ihre Wahl der bemerkenswertesten Inszenierungen der Spielzeit ist denkbar mutig und frei von lauwarmen Höflichkeitskompromissen. Eine selbstbewusstere Antwort auf das ewige Gerede von der Theaterkrise ist kaum denkbar. Gefälligkeitsspiele, behagliche Dämmerstunden im Parkett, anbiedernde Boulevardscherze sind beim Theatertreffen 2005 nicht zu befürchten.

Gleich zweimal vertreten sind die Münchner Kammerspiele: Andreas Kriegenburg, vor langer, langer Zeit Regisseur an der Berliner Volksbühne, hat Hebbels martialischer Heroensaga „Die Nibelungen“ das Pathos ausgetrieben und die latente Komik der Helden-Posen lustvoll ausgestellt: Ideologiezertrümmerung mit den Mitteln der Farce. Ein mindestens genau so unspielbares Stück, Claudels katholisches Bekenntnisdrama „Mittagswende“, hat Jossi Wieler an der gleichen Bühne vom Kitsch befreit, um die Komödie darin zu entdecken. Aus Berlin kommen zwei Inszenierungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Eine die Bösartigkeiten lustvoll auskostende Corinna Harfouch und ihr ebenbürtiger Partner Ulrich Matthes machen am Deutschen Theater Albees Ehekriegs-Reißer „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ in der Regie Jürgen Goschs zum Erfolgsstück der Saison. Etwas anstrengender ist an der Volksbühne Christoph Schlingensiefs neue Produktion ausgefallen: Bei allen gewohnt lustig-kruden ShowElementen und kleinen polemischen Ausfällen (etwa gegen den Bayreuther Wagner-Clan) ein absolut ernst gemeinter Versuch, das Theater für so etwas altmodisches wie Mitgefühl zu öffnen. Wenn Schlingensief eine gelähmte Frau zum Zentrum des Abends macht, hat das, ganz unzynisch, etwas tief Berührendes.

Mit einer seiner Hamburger Produktionen des Thalia Theaters Hamburg ist Michael Thalheimer zum Theatertreffen geladen: Der Regisseur hat Wedekinds Sex- und Skandaltragödie „Lulu“ auf die Mechanik der kurzen, brutalen sexuellen Begegnungen verdichtet, allen anachronistisch gewordenen Schock-Appeal gestrichen und die umwerfende Fritzi Haberlandt ins Zentrum der Inszenierung gestellt. Überhaupt scheint schlechter Sex diesmal zum Theatertreffen zu gehören wie der Kater zur Premierenfeier: Am Schauspielhaus Zürich hat Johan Simons Houellebecqs „Elementarteilchen“ als kalte Versuchsanordnung ins Bühnenbild gesetzt, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg hat Stefan Pucher „Othello“ auf Video-Format aufgeblasen (oder geschrumpft). In Zürich verwandelt der gleiche Regisseur Max Frischs „Homo Faber“ in eine Besichtigung von Männerfantasien aus den Fünfzigerjahren. Und aus Hannover kommt Barbara Bürks Uraufführung von Lutz Hübners „Hotel Paraiso“: Menschen im Urlaub von heute.

Härter, konsequent auf Wirkung ausgerichtet und in der Beherrschung der theatralischen Mittel von einer beängstigenden Perfektion ist Andrea Breths „Don Carlos“ aus dem Wiener Burgtheater: Breitwandtheater, Schiller in Kino-Ästhethik – und der spanische König als Pate aus der Chefetage eine multinationalen Konzerns. Klingt anstrengend. Theater als Herausforderung – oder es lohnt die Mühe nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false