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Kultur: Kriminalitätsstatistik: "Nur die Hälfte aller Straftaten wird bekannt"

Hans-Jürgen Kerner (57) ist Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen. Die Kriminalitätsrate ist gesunken, die Aufklärungsrate gestiegen.

Hans-Jürgen Kerner (57) ist Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen.

Die Kriminalitätsrate ist gesunken, die Aufklärungsrate gestiegen. Für den Innenminister ist Deutschland eines der sichersten Länder der Welt. Wirklich? So etwas kann ein Politiker sagen, aber kein Wissenschaftler. Sicher ist aber, dass Deutschland zu den eher sicheren Ländern gehört. Das wird unterstützt durch Forschungen, an denen Deutschland leider nur selten teilnimmt. Bei diesen so genannten Dunkelfeldbefragungen werden Täter und Opfer befragt. Holland, England, Kanada und etliche andere machen das regelmäßig. Wir haben immerhin Opferbefragungen, und wenn man einmal die Zahlen vergleicht, stehen wir in der Tat nicht schlecht da. Grafik: Kriminalität in Deutschland

Ist das Dunkelfeld das, was wir landläufig als Dunkelziffer bezeichnen?

Vereinfacht gesagt. Die Statistik gibt nur das Hellfeld wieder, also das, was der Polizei bekannt geworden ist. Um das Dunkelfeld zu erforschen, gibt es Täter- und Opferbefragungen. Durch die Täterbefragung kann man die Bevölkerung oder einzelne Gruppen vergleichen, um zu sehen, in welchem Maße sie offiziell auffällig werden und in welchem Maße inoffiziell. Bei den Opfern umgekehrt. Die USA machen solche Befragungen alle sechs Monate.

Welche Wirkungen hat das?

Hell- und Dunkelziffer haben sich dort angenähert, weil mehr angezeigt wurde. Wir sind in Deutschland relativ rückständig bei dieser Art alternativer Messung.

Die Gewerkschaft der Polizei meint, die Zahl der Straftaten liege in Deutschland zehn Mal so hoch wie offiziell bekannt.

Das kann man so sicher nicht sagen. Unser Erfahrungwert ist, dass im Durchschnitt aller Straftaten ungefähr die Hälfte der Polizei bekannt wird. Je schwerer die Tatfolgen sind und je besser die Leute versichert sind, desto häufiger zeigen sie an. Dabei kommt es auch auf das Delikt an: Zum Beispiel werden 97 Prozent aller Autodiebstähle gemeldet.

Die Jugendkriminalität ist zurückgegangen. Gibt es dafür eine Erklärung?

Das war zu erwarten, das habe ich schon lange prognostiziert. Mit dem Fall der Mauer ging die Quote hoch bis 1993. Die beste Erklärung für den Rückgang jetzt ist die wieder eintretende Normalisierung der Verhältnisse. Junge Leute sind besonders sensibel - für Mode genauso wie für Probleme. In Umbruchzeiten verlieren sie schnell die Orientierung. Jetzt breitet sich eine neue Ordnung aus, die wieder Orientierung gibt.

Schily meint, eine frühe Musikerziehung wirke präventiv. Was meinen Sie?

Es gibt eine Theorie, importiert aus Amerika, zur Frage, was präventiv wirkt. Danach sind es besonders vier Kriterien: Erstens attachment, das ist die Bindung an wichtige Personen. Zweitens commitment, also Interesse für beispielsweise ein Hobby. Dann involvement, also tatsächliches Engagement. Und viertens belief, also der Glaube an bestimmte Werte.

Wo muss mehr getan werden, bei der Verfolgung oder bei der Prävention?

Eindeutig bei der Prävention. Ein positives Angebot für andere Aktivitäten ist immer besser als ein Verbot. Es gibt so eine Grundregel: Verbote und Strafen führen zum Vermeiden-Lernen, positive Angebote führen zum Verlernen des Negativen, weil man eben das Gute lernt.

Die Kriminalitätsrate ist gesunken[die Aufkl]

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