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Kultur: Krisengebiete im Kleinformat

Isa Genzkens düstere Visionen einer Hauptstadtarchitektur in der Berliner Galerie neugerriemschneider

Modelle verstehen sich als Anschauungsmaterial von Dingen, die es real noch nicht gibt. Sie sind gewissermaßen Weltentwürfe im Kleinformat, die Ideen eine vorläufige konkrete Gestalt verleihen. Das Werk von Isa Genzken, so skulptural es auf den ersten Blick erscheint, hat fast immer etwas Modellförmiges, das über seine Objekthaftigkeit hinaus auf die Existenz einer anderen, einer zweiten Ebene insistiert.

So sind ihre Entwürfe für Berliner Neubauten, die jetzt in der Galerie neugeriemschneider gezeigt werden, Hochhäuser von fragiler Leichtigkeit, die ihre Vision eines neuen Bauens aus der Eleganz der Form entwickeln. Dem desillusionierenden Pragmatismus der Hauptstadtarchitektur stellen sie das radikal formulierte Glashaus entgegen. Zu Säulen aneinander gelehnt, stehen farbige Glasstreifen für eine monumentale Architektur der Moderne, deren Fassaden sich als expressive Reflektoren von Licht und Farbe präsentieren. Diese „New Buildings for Berlin“ (Preis auf Anfrage), die bereits auf der letzten Documenta zu sehen waren, sind Kunstwerk und Kommentar zugleich. Sie unterbreiten Vorschläge, deren Realisierung utopisch erscheint, und bestehen doch auf ihrem Charakter als Modell, das sie über ihr Dasein als autonome Skulptur erhebt.

Genzkens mit spiegelnder Folie überzogene Bildobjekte versehen den Begriff der Architekturfassade sogar explizit mit dem Attribut des Sozialen, denn sie spiegeln jeden wider, der sie betrachtet – ebenso wie die moderne Glas- und Stahlarchitektur der Großstädte transparent und abgeschottet zugleich wirkt. Auch hier verbindet sich klassische Formensprache mit gesellschaftlichem Anspruch, der die gebaute Welt in Beziehung zu ihrem menschlichen Benutzer stellt.

Die neuen Arbeiten von Isa Genzken bieten auf den ersten Blick einen radikalen Konterpart zu diesen im weitesten Sinn auf Architektur und Raum bezogenen Objekten. „Empire Vampire“ nennt sie die in Augenhöhe des Betrachters präsentierten Szenen, die aussehen wie Schlachtenpanoramen im Kleinformat. Genzken hat den Baumarkt geplündert, um ihrer ins Miniaturformat verfremdeten Endzeitvision Ausdruck zu verleihen. Plastiksoldaten, Indianerfiguren und futuristische Fluggeräte formieren sich da in katastrophisch bis apokalyptisch anmutenden Landschaften, die selbst aus Zivilisationsresten aller Art gebastelt sind.

Die meisten von Genzken verwendeten Elemente sind Produkte jener kommerziellen Verwertungsketten, die jeden Kinofilm zum Anlass einer neuen Warenwelt aus Monstern und Mutanten nehmen und das Imaginäre Hollywoods ins kindliche Spielzeugdasein übersetzen. Der mediale Aspekt ist den aus Spielzeug, Dekorationsartikeln, ja sogar alten Schuhen collagierten Objektwelten zu Eigen. Sie wirken wie dreidimensionale Filmsets für Weltuntergangsvisionen im Breitwandformat. Verwüstung, Invasion, Zerstörung bilden den Dreiklang dieses Infernos, und doch tritt das Naturalistische seiner Bestandteile immer wieder zu Gunsten der Verschmelzung unterschiedlichster Gegenstände im Zeichen ihrer Negation als Gebrauchsobjekt zurück. Farbspuren überziehen die Dinge zusätzlich mit einem abstrakt-expressionistischen Tarnanzug, der die psychischen Symbolwelten ins Surreale wendet. Auch die Landschaft hier eigentlich gar keine Landschaft, sondern ein mit Blick fürs Detail gestaltetes Arrangement aus Objets Trouvées, die ein hintergründiges Eigenleben führen. Fernab von jeder auf Perfektion bedachten Realitätsreproduktion inszeniert Isa Genzken ihre Negativ-Vision von Wirklichkeit denn auch mit einer Leichtigkeit, die dem Thema beinah unangemessen scheint.

Die Tatsache, dass ihre opulenten Inszenierungen keine Erzählungen anbieten, sondern wie Testbilder imaginärer, vielleicht sogar modellhafter Katastrophen wirken, verleiht ihnen einen eher spielerischen Charakter. Die „New Buildings for Berlin“ träumen von der klaren, mit Blick fürs Schöne gestalteten Zukunft. „Empire Vampire“ hingegen wirkt wie die von Sinn und Zweck befreite Kampfzone, eine Materialschlacht, aus der als Sieger allein das Prinzip der gestalteten Form hervorgeht. Denn natürlich geht es hier, wie eigentlich immer bei Isa Genzken, vor allem um Autonomie und einen erweiterten Begriff von Skulptur. Und den beherrscht sie nach wie vor sehr souverän.

neugerriemschneider, Linienstraße 25, bis 25. Oktober; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr.

Vanessa Müller

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