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Kultur: Kristalline Kirchen

Eine "Ausstellung ohne eigentlichen Anlaß" hatte Peter-Klaus Schuster, der in Kürze gen München scheidende Direktor der Nationalgalerie, gestern anzukündigen.Derlei ist mittlerweile selten im Museumsbetrieb, wo Jahrestage, ob willkommen oder nicht, den Ausstellungskalender vorgeben und ein Interesse an Künstler und Werk vortäuschen, das nicht in jedem Falle bestehen mag.

Eine "Ausstellung ohne eigentlichen Anlaß" hatte Peter-Klaus Schuster, der in Kürze gen München scheidende Direktor der Nationalgalerie, gestern anzukündigen.Derlei ist mittlerweile selten im Museumsbetrieb, wo Jahrestage, ob willkommen oder nicht, den Ausstellungskalender vorgeben und ein Interesse an Künstler und Werk vortäuschen, das nicht in jedem Falle bestehen mag.Lyonel Feininger wird in der Neuen Nationalgalerie von heute an mit einer Retrospektive gefeiert; doch außer der entfernten Tatsache, daß die letzte Retrospektive ein Vierteljahrhundert zurückliegt, ließ sich kein passendes Datum bemühen.Um so besser - denn so standen der konkurrenzlosen Berliner Veranstaltung mit dem biographischen Untertitel "Von Gelmeroda nach Manhattan" die nötigen Leihgaben - immerhin ein Viertel des malerischen µuvres - für die großartige Wiederentdeckung eines bedeutenden µuvres aus der ersten Jahrhunderthälfte zur Verfügung.

Doch halt - die Berechtigung solchen Urteils muß sich erst erweisen.Denn so sehr die Bilder des 1871 in New York geborenen und dort auch Anfang 1956 verstorbenen Deutsch-Amerikaners in den Rang von Postkartenbeliebtheiten aufgestiegen sind, so unbestimmt ist doch die Vorstellung von seinem Werk mittlerweile geworden.Es sind ja nicht einzelne Bilder, die in das kollektive Gedächtnis eingesunken sind, sondern eine diffuse Ahnung von Feiningers Stil.Die Kirchen tauchen vor dem Gedächtnis auf, die Feininger malte, aber eben nicht als pittoreske oder gar rührselige Motive, sondern als Vorwürfe zu kristallinen Kompositionen.Aus dieser eigentümlichen Spannung von gefühlsbeladenem Motiv und modernistischer Umsetzung bezieht Feiningers Werk seine Attraktion - und eine Popularität, die allerdings verblaßt ist und dies stärker als bei den Expressionisten, mit denen er ursprünglich in einem Atemzug genannt worden war.Denn gewiß ist die Hinwendung zu "romantischen", ja "deutschen" Motiven wie den mittelalterlichen Kirchen von Anhalt und Thüringen ein expressionistischer Impuls; man denke nur an die Stummfilme der aufgewühlten Jahre nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs.

Aufgewühlt ist Feiningers Bildsprache indessen nicht; vielmehr suchen die prismatischen Brechungen der luminosen Farbschichten die konstruktiven Grundzüge des Motivs zu verdeutlichen statt zu überdecken.Feiningers Kirchen dräuen nicht, sondern ragen auf; sie wuchern nicht in Details, sondern ordnen sich einem übergreifenden Ordnungsschema unter.Freilich geht es Feininger nicht darum, die konstruktiven Grundzüge der Spätgotik sichtbar zu machen, der die Kirchen aus Erfurt, Halle und dem vielbeschworenen Gelmeroda zurechnen, als vielmehr um den optischen Eindruck von Klarheit, der sich aus der Distanz einstellt.Feininger ist Maler, kein Architekt; er ist Kolorist und kein Konstruktivist.

Feininger ist viel eher der seltene Fall einer versuchten Synthese zwischen Stilen und Haltungen, die er mit der fröhlichen Unbekümmertheit des Spätentwicklers aufgegriffen und sich anverwandelt hat.Erst als "36jähriger Greis", wie er von sich selber sagte, kam er zur Malerei, nachdem die musischen Eltern - der Vater war Konzertgeiger aus dem Badischen - ihm den eigenen Weg weisen wollten.Auf dem Umweg über einen höchst erfolgreichen Seitenweg als Karikaturist - dem sich die bezaubernde Serie der "Kin-der-kids" verdankt - zur Malerei.Ausgedehnte Aufenthalte in Paris brachten ihn mit der französischen Gegenwartskunst in Berührung, in die sich die Einflüsse des Futurismus mengten.Als Teilnehmer an Herwarth Waldens legendärem "Ersten Herbstsalon" in Berlin 1913 war Feininger mit der europäischen Avantgarde unmittelbar vor dem Krieg auf vertrautem Fuße.Ein halbes Jahrhundert lang lebte Feininger in Berlin; auch das ist mittlerweile vergessen.

Die Hinwendung zu lokalen, geschichtsgesättigten Motiven hatte Feiniger bereits an den deutschen Expressionisten gesehen, als er sich nach 1918 in die Provinz begab, nach Weimar zunächst, dann ins nahegelegene Örtchen Gelmeroda und in die großen mitteldeutschen Städte.Den bereits an Pariser Motiven erprobten Kubismus nahm Feininger als Handwerkszeug, um Bildmotive zweidimensional und mitnichten allansichtig zu zergliedern.Das Spottwort vom "Spitzweg des Kubismus" mag in dieser Weigerung wurzeln, Malerei als analytische Übung aufzufassen.Denn wenn die Bilder bis heute überzeugen - und bezaubern -, dann nicht wegen einer gedanklichen Durchdringung des Sujets, sondern dessen stimmiger Übersetzung in Malerei.

Feininger bediente sich nur zwischenzeitlich der gedämpften, erdigen Palette des frühen Kubismus.Ebensowenig erlegte er sich das Exerzitium der Primärfarbigkeit auf.Feininger ist bisweilen von einer hemmungslosen Bonbonbuntheit, und wenn sich die Ursprünge - und stärksten Auswüchse - auch in seine Anfangszeit als Maler zurückverfolgen lassen, so bleibt er doch bis ins allerletzte Spätwerk offen für gewagte Farben, unter denen blaue und grüne Töne dominieren.Feininger entdeckte die stillen Dörfer an der Ostsee für sich, er liebte Meer und Segelboote, was ihn den Impressionisten naherückt.Mit ihnen teilt er im übrigen etwas Entscheidendes: den freundlichen, gleichwohl distanzierten Blick, den erst die Freizeit des mußesuchenden Großstädters hervorbringt.

Dies allerdings ist kein Gedanke, den die Ausstellung anschaulich macht - im Unterschied zu den beiden mit höchstrangigen Belegstücken versehenen Thesen vom Einfluß des französischen Kubismus auf der einen und der deutschen Romantik auf der anderen Seite.Allein schon diese Einsprengsel fremder, für Feininger anregender Werke machen die Retrospektive zu einem Ereignis.Das Urteil allerdings überläßt sie dem Betrachter.Im wichtigsten Saal, der nicht weniger als sieben der elf Hallenser Kompositionen vereinigt, steht der Rang Feiningers weniger in der deutschen, als vielmehr in der internationalen Moderne der Zwischenkriegszeit klar vor Augen.Andere, zeitlich frühere Abteilungen, aber auch die späten Arbeiten aus der von den Nazis erzwungenen Rückübersiedlung ins fremde New York lassen eher zeittypisch Dekoratives hervortreten.Für ein Urteil von einigem Bestand reicht ein erster Rundgang nicht aus - wohl aber für den Anstoß, ohne kalendarischen Druck die Wiederbegegnung mit dem Werk Lyonel Feiningers zu suchen.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str.50, bis 11.Oktober.Dienstag bis Freitag 10 - 20 Uhr, Sonnabend/Sonntag 11 - 20 Uhr.Katalog im G & H Verlag, 49 DM.

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