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Kultur: Kritischer Abstand zur Heimat

Die 14. First Steps Awards zeigen deutschsprachige Nachwuchsfilmer als problembewusste Weltbürger.

Die Zeiten, als Filme, die im deutschsprachigen Raum produziert wurden, überwiegend auch dort spielten, scheinen endgültig vorbei. Wenn die Deutsche Filmakademie heute Abend am Potsdamer Platz zum 14. Mal die First Steps Awards verleiht, wird sich mancher Beobachter angesichts der Liste der Nominierten auf der Preisverleihung eines internationalen Filmfestivals wähnen. Kaum zu glauben, dass all diese Filme, von denen viele aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt erzählen, als Abschlussfilme an deutschen, österreichischen und Schweizer Hochschulen entstanden sind.

So gewährt die Doku „Ma Na Sapna“ bewegende Einblicke in eine Klinik für Leihmütter im Nordwesten Indiens. „Vater Vater Kind“ begleitet, ebenfalls dokumentarisch, ein homosexuelles Paar in England bei seinen Bemühungen, ein Kind zu adoptieren. Der Spielfilm „5 Jahre Leben“ erzählt von Murat Kurnaz’ jahrelanger Haft in Guantanamo. Und der Kurzfilm „Kos- herland“, eine gelungene Fingerübung im Tarantino-Stil, spielt in einem jüdischen Supermarkt irgendwo in der lettischen Provinz.

Die spektakulärste Reise an einen entlegenen Winkel der Erde unternimmt Sebastian Mez, der in seinem Dokumentarfilm „Metamorphosen“ das Leben in einer radioaktiv verstrahlten Gegend im Südural schildert. Ein schwerer Störfall in den fünfziger Jahren und mehrere weitere danach – darunter ein Beinahe-GAU im Jahr 2000 – haben das Gebiet in eine apokalyptische Landschaft verwandelt, die Mez in kunstvoll komponierten Schwarz-Weißbildern einfängt.

Doch auch heimische Schauplätze werden oftmals durch die Augen von Außenseitern gezeigt, etwa, wenn es um Erfahrungen von Migration und Fremdheit geht. Im Essayfilm „Majubs Reise“ etwa, der die wahre Geschichte von Majub Mohamed Hussein erzählt. Ende der zwanziger Jahre aus Deutsch-Ostafrika nach Deutschland gekommen, landete Majub beim Film und trat an der Seite von Zarah Leander, Hans Albers und Heinz Rühmann in Nebenrollen auf. Er ließ sich für die kolonialen Ambitionen der Nazis einspannen und wollte sogar für sie in den Krieg ziehen, landete stattdessen jedoch im Konzentrationslager. Anhand dieser erstaunlichen Biografie rollt die Regisseurin Eva Knopf ein kaum bekanntes Kapitel deutscher Film- und Kolonialgeschichte auf.

Von modernen Migrationserfahrungen, von Sehnsucht und Heimweh, Einsamkeit und Isolation erzählt dagegen „Eastalgia“, der als trilaterale Produktion in Deutschland, Serbien und der Ukraine gedreht wurde und für den zum zweiten Mal vergebenen „No Fear“ für besonders waghalsige Produktionen nominiert ist. Um Flüchtlingsschicksale geht es derweil in mehreren Kurzfilmen sowie im Dokumentarfilm „Neuland“, der zurückhaltend, aber präzise beobachtend eine Integrationsklasse in Basel begleitet und die traumatischen Vorgeschichten der Schüler aus Afghanistan, Kamerun, Serbien und Venezuela erahnen lässt.

Manchen Filmen wohnt allerdings auch ganz ohne den Hintergrund von Flucht, Vertreibung und Migration aus Not ein kritischer Abstand zur Heimat inne. Da ist beispielsweise David Dietl, Sohn von Helmut Dietl, aufgewachsen in der extremen Stadt Los Angeles und nun offenbar prädestiniert, die Besessenheit der Deutschen von der Mittelmäßigkeit in seiner Komödie „König von Deutschland“ besonders deutlich vor Augen zu führen. Die satirische Ausstattungsorgie um einen von Olli Dittrich gespielten Otto Normalverbraucher, der zum von Politik und Industrie begehrten Geschmacksindikator avanciert, ist seit Donnerstag im Kino zu sehen.

Beklemmende Banalität, allerdings mit gänzlich anderen Mitteln, beschwört auch der Film „Tuppern“, der mit einer Laufzeit von 35 Minuten in der Kategorie der mittellangen Spielfilme nominiert ist. Der nüchterne und entlarvende Blick, mit dem Vanessa Gräfingholt in langen Einstellungen eine österreichische Tupper-Party inszeniert, erinnert an Ulrich Seidl und Michael Haneke. Die Regisseurin dieser scheinbar beiläufigen Milieustudie stammt jedoch aus dem Ruhrgebiet und nimmt vielleicht gerade als Außenseiterin eine besonders schonungslose Perspektive auf die stumme Verzweiflung dieser Vorstadt-Existenzen ein. Und auch der Blick von Frauke Finsterwalder ist offenbar durch den Abstand zur Heimat noch schärfer geworden. Die Journalistin und Regisseurin, die mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Christian Kracht, in Ostafrika lebt, malt in ihrem Spielfilmdebüt „Finsterworld“ ein bitterböses und bisweilen auch schreiend komisches Sittenbild Deutschlands. Im warmen Hochglanzlook von Werbeclips entwirft Finsterwalder zunächst eine heile Welt, nur um der schönen Oberfläche Risse zu verpassen, aus denen Abgründe werden, bis schließlich alles in sich zusammenfällt.

Mit der Zugkraft seines Ensembles um Corinna Harfouch und Ronald Zehrfeld kommt „Finsterworld“ im Oktober in die Kinos. Auch den anderen, weniger prominent besetzten Filmen dieses bemerkenswerten Jahrgangs wäre zu wünschen, dass sie dem Publikum zugänglich gemacht werden. Der First Steps Award ist ein erster Schritt dazu.

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