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Kultur: Krone der Erschöpfung

Andreas Homoki und Fabio Luisi rehabilitieren in München Humperdincks Oper „Königskinder“

Obacht, Eltern! Dass in Engelbert Humperdincks „Königskindern“ ein Kinderchor auftritt, verleitet womöglich zu falschen Schlüssen, vor Weihnachten zumal. Das zunächst als Melodram für München geplante, dann in New York 1910 als Dreiakter erfolgreich uraufgeführte und anschließend fast vergessene Musiktheaterstück ist noch weit weniger eine „Kinderoper“ als „Hänsel und Gretel“. Hier kehren die Hungernden – ein echter König und eine ehemalige Gänsemagd – nimmer heim und werden fröhlich aufgenommen. Im Gegenteil: An ein Mitglied jener allein aufs Geld versessenen Gesellschaft verkauft der einstmals junge, schöne und jetzt gealterte Mann seine Krone, um den Erlös, einen Laib Brot, mit seiner Liebsten zu teilen. Wie nur der Zuschauer weiß, ist das Brot vergiftet worden – just von jener Hexe, bei der die Gänsemagd einmal in Diensten stand.

Die Henkersmahlzeit beschert den Sterbenden immerhin noch ein paar Visionen vom besseren Leben. In der Sache jedoch ändert sich nichts. Die Gänsemagd und der König finden, vollkommen verkannt von der Welt, ein erbärmliches Ende. Humperdincks Oper ist eine große Kostbarkeit, ein Richard Wagner variierendes, heimlich, still und leise über ihn hinausgehendes, bereits auf Schönberg und Berg verweisendes Meisterstück. Aber es musste erst die letzte Spielzeit des englischen Intendanten Peter Jonas an der Bayerischen Staatsoper anbrechen, ehe der sich einen seiner wirklich großen Wünsche erfüllte: den „Königskinder“ einen ihnen angemessenen Rahmen bieten zu können.

Der Regisseur und Chef der Komischen Oper Berlin, Andreas Homoki, und sein Bühnenbildner Wolfgang Gussmann füllen die Räume mit Gespür, Verstand und leicht groteskem Witz: Bei ihnen steht der Wald, bunt und schräg gezeichnet von Kinderhand, auf dem Kopf, eine luftige Laubsägearbeit. Auf der nach hinten sich verengenden Bühne findet sich sonst nur noch ein hoher, weißer Schrank. Aus seinem Inneren stürzt die Hexe keifend heraus, in seinen Bauch zieht sich die Gänsemagd ängstlich zurück. Und über allen turnt der Spielmann, der anfangs die Handlung beaufsichtigt und milde zu lenken scheint, als sei er der Wiedergänger von Pan Tau. Roman Trekel, ein Sänger, der weiß, was Würde ist, hat keine Schirm, aber viel melancholischen Charme und eine Melone auf dem Rotschopf sitzen. Manchmal tippt er an deren Rand, und man hofft, er werde noch das Schlimmste verhindern. Aber so ist es nun mal nicht.

Schwierig zu besetzen sind die Hauptrollen, aber auch das gelingt diesmal in München. Robert Gambill, sonst ein Siegmund von Graden, macht vom Heldentenor genau die spielerischen Abstriche, die es für Humperdinck braucht, er singt ihn oftmals wie Lieder von Hugo Wolf; Annette Dasch, in München die Gretel vom Dienst in der seit Jahrzehnten laufenden und immer noch ziemlich unbeschädigten Produktion, hat einen wunderbar tragenden Sopran und ist stets ein kleines Schauspielereignis.

Selbst für deren Kenner und Liebhaber bleibt die eigentliche Überraschung des Abends allerdings immer wieder Humperdincks Musik. Und ihr Anwalt ist erprobt. Fabio Luisi hat bereits eine schöne, im Calig-Verlag erschienene Aufnahme der „Königskinder“ mit dem Münchner Rundfunkorchester dirigiert. Hier nun steht er dem Bayerischen Staatsorchester vor, einem in allen Wagner-Fächern erprobten Apparat, und dem scheint es zur Abwechslung kollektiv spürbar Vergnügen zu bereiten, eben nicht als große Maschine arbeiten zu müssen, sondern als Gemeinschaft von Rädchen, bei Humperdinck greift eines ins andere.

Es gibt weite sinfonische und große lyrische Flächen (im hinreißenden Vorspiel zum dritten Akt), den Volksliedton, Chöre, Tänze, unvermittelt ein- wie abbrechende melodische Ideen und reichlich kammermusikalische Seufzerpointen: Humperdincks Musik hat ein feines, menschliches Sentiment, das Wagners stets ideologisch motivierte Gefühlsbasis nicht kennt. Fabio Luisi veredelt Humperdincks Wurzeln und hegt seine sonderlichen und oft traumhaften tonmalerischen Blüten. Er lässt das Stück, vor Begeisterung fast glühend, richtig leuchten. Und genau das hat es verdient.

Wieder am 1., 5., 8. und 12. November.

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