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Karibisches Bollwerk. Che und Fidel: Revolutionshelden in Hitchcocks Kubakrisenthriller „Topas“ (1969). Rechts Karin Dor.

© Cinetext Bildarchiv

Kubakrise: Die Welt am atomaren Abgrund

Als die Welt fast unterging: Vor 50 Jahren begann die Kubakrise. Mit ihr erreichte der Kalte Krieg seinen Höhepunkt - und die Welt schrammte nur haarscharf am Atomkrieg vorbei.

Am Ende, als die Krise vorbei und die Erde doch nicht pulverisiert worden war, feierten die Sieger ihren Erfolg mit den markigen Worten von Westernhelden. „Ich habe Chruschtschow die Eier abgeschnitten“, brüstete sich John F. Kennedy vor Journalisten. Und sein Verteidigungsminister Robert McNamara bilanzierte: „Wir haben uns in die Augen geschaut, und der andere hat geblinzelt.“

Aber waren sie wirklich Sieger? Hatte die Welt überhaupt gerettet werden müssen? So nah wie in der Kubakrise, die in Russland „karibische Krise“ und auf Kuba „Oktoberkrise“ heißt, sollte die Menschheit ihrer atomaren Auslöschung nie wieder kommen. So steht es längst in den Schulbüchern.

Und aus diesem welthistorischen Duell, das sich vom 16. bis zum 28. Oktober 1962 über zwei Wochen hinzog, ist der Westen dank seines besseren und flexibleren Krisenmanagements als Gewinner hervorgegangen. So sieht es der Westen jedenfalls gerne, angefangen vom Erinnerungsbuch „Thirteen Days“ des Präsidentenbruders Robert Kennedy, einem der zentralen Akteure auf amerikanischer Seite, bis hin zum gleichnamigen Hollywood-Spielfilm, der im Jahr 2000 noch einmal die Heldensaga von den Friedensbewahrern im Weißen Haus aufwärmte.

In Wirklichkeit gab es keine Helden in dieser Geschichte, nur eine Überdosis Angst, Wut und Überforderung. „Wir haben den Atomkrieg nicht durch kluges Management verhindert“, hat Robert McNamarra kurz vor seinem Tod 2009 eingestanden. „Wir hatten Glück.“

Der Schlamassel, aus dem Kennedy und seine Leute die Welt befreiten, hatten sie größtenteils selbst angerichtet. Die unheilvolle Eigendynamik der Krise wurde dadurch ausgelöst, dass der Präsident entschied, sie öffentlich auszutragen, auf der großen Bühne des gerade beginnenden Fernsehzeitalters. Es ging um Machtprojektionen und um den Sieg im Kampf der Bilder und Parolen.

Die Amerikaner empfanden schon die Tatsache, dass die 150 Kilometer südlich ihrer Küste gelegene Insel Kuba seit 1959 von Fidel Castro und seinen Kommunisten beherrscht wurde, als Provokation. Umgekehrt war für die Sowjets die Insel West-Berlin ein Dorn im Fleische ihrer Hemisphäre. Biologismen beherrschten die Metaphorik des Kalten Kriegs. Zu den wichtigsten Floskeln gehörte die Rede von den „lebenswichtigen Regionen“.

Die beiden Supermächte hatten bereits begonnen, die Welt unter sich aufzuteilen. In der Kubakrise – das machte sie so gefährlich – gingen sie zum ersten und letzten Mal direkt aufeinander los. Die Berliner Mauer hatten die Sowjets ein Jahr zuvor von Statthaltern errichten lassen. Künftige Stellvertreterkriege würden in der Dritten Welt geführt werden.

Beide Rivalen beanspruchten, „den Status als Großmacht an Orten und zu Zeitpunkten eigener Wahl stets aufs Neue zu beglaubigen, vorzugsweise im Machtbereich des Kontrahenten“, schreibt der Hamburger Historiker Bernd Greiner in der aktuellen „Kuba 1962“-Ausgabe der „Zeitschrift für Ideengeschichte“ (C.H. Beck, 128 S., 12,90 €). „Weltmacht konnte dieser Logik zufolge nur sein, wer sich stets auf Augenhöhe mit dem Gegenüber bewegte, wer Gleiches mit Gleichem vergelten konnte – und sei es um der bloßen Symbolik der Tat willen.“

Die „dreizehn Tage am atomaren Abgrund“ – so der Untertitel einer vor kurzem erschienenen Chronologie des Innsbrucker Zeithistorikers Rolf Steininger („Die Kubakrise 1962“, Olzog, 173 S., 22,90 €) – begannen am Morgen des 16. Oktober 1962 mit einer schlechten Nachricht für John F. Kennedy. Der Präsident hatte gerade gefrühstückt und trug noch den Bademantel, als sein Sicherheitsberater McGeorge Bundy ihm sagte: „Es gibt jetzt eindeutige Fotoaufnahmen, die beweisen, dass die Russen Raketen auf Kuba haben.“ Ein U2-Aufklärungsflugzeug hatte bei San Cristóbal im Bau befindliche Nuklearstellungen entdeckt.

Die Gespräche von Kennedys Krisenstab wurden mitgeschnitten und 1997 veröffentlicht. Auf der Gegenseite haben sich Stenogramme aus Chruschtschows Beratungsrunden erhalten. Die Dialoge dokumentieren den nervösen Wechsel der Stimmungslagen zwischen Hybris und Niedergeschlagenheit.

Zwei Männerwelten, in denen die Anspannung sich immer wieder in deftigen Kraftausdrücken löst. Auf beiden Seiten kämpfen Scharfmacher gegen Abwiegler, Falken gegen Tauben. Dabei werfen die Akteure ihre Positionen je nach Lage der Dinge schnell wieder über den Haufen. Alle sind Getriebene. Großes Königsdrama.

In der Folge rüsteten sich die Sowjets zu Tode

Am 22. Oktober kündigt der Pressesprecher des Weißen Hauses mittags „eine Ansprache des Präsidenten von höchster nationaler Dringlichkeit“ für den Abend an. Hundert Millionen Amerikaner sitzen vor dem Fernseher, als Kennedy von den Atomraketen berichtet und eine „Quarantäne“ ankündigt, eine Seeblockade für alle Schiffe, die Rüstungsgüter nach Kuba transportieren. Langstreckenbomber werden in Stellung gebracht.

Interkontinentalraketen auf ihre Ziele ausgerichtet. Damit wird zum bislang einzigen Mal in der Geschichte der USA „Defense Condition 2“ ausgerufen. „Defense Condition 1“ bedeutet: Atomkrieg. In Florida bereiten sich 120 000 Soldaten auf die Invasion Kubas vor.

Unannehmbar waren die Raketen auf Kuba für Kennedy nicht aus militärischen, sondern aus politischen Gründen. „Es macht doch keinen Unterschied, ob man von Atomraketen in die Luft gesprengt wird, die aus der Sowjetunion oder nur aus einer Entfernung von 90 Meilen abgefeuert werden“, befand der Präsident. Ohnehin besaßen die Amerikaner einen kaum einzuholenden nuklearen Vorsprung. Ihre strategische Überlegenheit gegenüber den Russen betrug 4:1 bei den Interkontinentalraketen und 17:1 bei der Anzahl der Atomsprengköpfe.

Im Kriegsfall wäre die Sowjetunion vernichtet worden. Chruschtschow ließ die mit Nuklearraketen beladenen Transportschiffe im letzten Moment abdrehen, doch in einigen Momenten stand das Drama unmittelbar davor, zur Tragödie zu werden. Sowjetische Soldaten schossen über Kuba eine U2-Maschine ab, wobei der Pilot ums Leben kam.

Amerikanische Schiffe zwangen ein sowjetisches U-Boot zum Auftauchen, das bereits eine Nuklearrakete scharf gemacht hatte. Und am 27. Oktober, dem „schwarzen Samstag“, forderte Fidel Castro, der eine Invasion befürchtete, Chruschtschow zum atomaren Erstschlag auf. Chruschtschow erfüllte diese Bitte nicht und einigte sich über diplomatische Kanäle mit Kennedy. Die Russen bauten ihre Stellungen auf Kuba ab, im Gegenzug demontierten die Amerikaner ihre Raketen in der Türkei. Über den zweiten Teil der Absprache wurde Stillschweigen bewahrt.

„Mir fehlt das, der Kalte Krieg“, lässt John Updike seinen Antihelden Harry Angstrom im Roman „Rabbit in Ruhe“ sagen. „Solange es den gab, wusste man wenigstens, warum man morgens aufstand.“ Das Buch spielt 1988/89, das sowjetische Imperium steht kurz vor dem Kollaps. Die Kubakrise markiert den Höhepunkt des Kalten Kriegs. Die Sowjets zogen aus ihr die Lehre, dass politische Stärke mit der Anzahl von Nuklearsprengköpfen gleichzusetzen sei. Sie rüsteten sich zu Tode.

Die Amerikaner sahen sich als Sieger der Kubakrise und wollten das nächste Exempel ihrer Überlegenheit in Vietnam statuieren. Ein Irrtum, der rund 2,4 Millionen Todesopfer forderte, darunter etwa 2 Millionen Zivilisten.

Nach 1989 schien der Westen weltweit gewonnen zu haben, voreilig wurde bereits das „Ende der Geschichte“ konstatiert. An einen finalen Triumph des Kapitalismus mag heute, eine Weltwirtschaftskrise später, allerdings kaum noch jemand glauben. Die Kämpfe gehen sowieso weiter, in Afghanistan etwa, wo die Russen einst einmarschierten und die Amerikaner Freischärler mit Waffen belieferten, die inzwischen ihre Feinde sind. Auf Kuba weht noch immer die Fahne der Revolution.

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