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Kultur: Kühle Gefühle

PANORAMA SPECIAL Die Berliner Regisseurin Asli Özge und ihr Istanbul-Drama „Hayatboyu“.

Das Townhouse ist ein architektonisches Wunder, aber für seine Bewohner die Hölle: Schmal und hoch füllt es die Lücke zwischen zwei älteren Nachbarhäusern; auf jeder der fünf Etagen ist gerade Platz für einen Raum, und die sind durch eine filigrane, eiserne Wendeltreppe verbunden. Die Eleganz der Konstruktion ist ihr Fluch: Keiner der beiden Bewohner kann einen Schritt im Haus tun, ohne dass der andere dadurch gestört wird. Gleichzeitig gewähren große Fensterflächen tiefe Einblicke von außen. Privatheit, gar Intimität, Grundbedürfnisse eines jeden Menschen, sind dem avancierten Architektenkonzept zum Opfer gefallen.

Der Künstlerin Ela, die darin wohnt, scheint das Haus physisches Unbehagen zu bereiten. Kleine Gesten des Widerwillens und der Ablehnung bestimmen ihre sparsamen Bewegungsabläufe; sie greift sich ans Ohr, ans Dekolleté, sie steht barfuß auf der verregneten Mini-Terrasse, und versucht dabei das Unmögliche: ihrem Mann Can, einem erfolgreichen Architekten, möglichst auszuweichen. Ela ist eine traurige Frau, weil sie lange vor Can begriffen hat, dass die Liebe zwischen ihnen tot ist. Sie denkt, dass er eine Geliebte hat, aber das ist auch schon egal. Sie haben sich einfach verloren irgendwann in den letzten 20 Jahren.

Die in Istanbul geborene Regisseurin Asli Özge schildert eine Beziehung auf dem Gefrierpunkt, und dabei kommt sie mit einer Farbpalette aus, die von hellgrau bis dunkelblau reicht. Kühle und Nüchternheit vermitteln auf visueller Ebene die innere Leere der Protagonisten, von denen keiner schuld ist am gemeinsamen, aber unterschiedlich stark empfundenen Unglück. Virtuos macht Kameramann Emre Erkmen Gebrauch von dem scheinbaren Widerspruch, in dem Enge und Transparenz des Sets zueinanderstehen; und dass die Zelte in einem Lager für Erdbebenopfer dagegen fast heimelig anmuten, ist einer der vielen, wunderbar klaren Momente dieses konsequent durchkomponierten Films.

„Meine Protagonistin lebt im Reichtum in Armut, das ist bei jeder Form von Kunst so, die sich gegen den Mainstream richtet. Man hat sehr viel Mühe, davon leben zu können“, sagt die 37-jährige Asli Özge, die seit 2000 in Berlin lebt. Ela kann sich ihren schicken Lebensstil nur leisten, weil ihr Mann gut verdient. „Sie ist stecken geblieben, das ist mein Thema“, erzählt Özge. Ihr letzter Spielfilm „Men on the Bridge“ (2009) handelte von den Ärmsten der Armen, die ihr Auskommen rund um die gewaltige Bosporusbrücke fristen. „Jetzt habe ich eine andere Perspektive gewählt“, sagt Özge, „ich wollte zeigen, dass man weder die von außen gesetzten noch die selbst gewählten Bedingungen leicht ändern kann, gerade wenn man älter ist.“ Ihre Hauptdarsteller Defne Halman und Hakan Çimenser spielen, da das Drehbuch auf Dialog fast völlig verzichtet, die Resignation mit minimalistischen Mitteln.

Asli Özge legt großen Wert darauf, dass ihre Protagonisten aus dem künstlerisch-intellektuellen Milieu auch mit der Regierungspartei AKP sympathisieren könnten. „Mir ist es egal, ob deren Politiker religiös sind oder nicht“, erklärt Özge, „wichtig ist doch, was sie machen, und da sind gute und schlechte Sachen dabei.“ Für ihre Geburtsstadt interessiert sich Özge nach wie vor – im Gegensatz zu vielen Kollegen, die Männergeschichten aus der Provinz erzählen, etwa Ugur Yücel in „Soguk/Cold“ (ebenfalls Panorama). „Aber es hat lang gedauert, bis wir in Istanbul alles zusammen hatten, vieles ist dort sehr umständlich.“ Dann freut sich die Regisseurin ganz allgemein: „Das Leben ist in Berlin wirklich viel einfacher als in Istanbul.“ Daniela Sannwald

10.2., 12.30 Uhr (Cinemaxx 7); 11.2., 14.30 Uhr (Cubix 9); 16.2., 20 Uhr (International)

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