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Chapman

© dpa

Künstler Jake Chapman im Interview: "Alles ist Krankheit"

Der Künstler Jake Chapman über Genmanipulation und den Irrglauben, Kunst könne schockieren.

Mister Chapman, in der Nacht nach Vereinbarung unseres Interviews hatte ich den schlimmsten Albtraum seit langem.
Warum?

Ich hatte auf Ihrer Website Ihre Großinstallation gesehen, in der sich unzählige SS-Soldaten gegenseitig foltern. Wie schlafen Sie?

Sehr gut. Ich halte es für melodramatisch, unsere Arbeit als unheimlich oder provokativ anzusehen. Es ist ein Journalisten-Programm: Schock! Da muss man die Arbeit nicht näher untersuchen. Es ist ein bisschen pawlowsch. Das Problem besteht darin, dass Kunst heute mehr mediale Aufmerksamkeit hat als früher und die Kriterien von Unterhaltung auf sie angewandt werden. Kunst ist aber nicht unterhaltsam. Sie ist kompliziert.

Ihre Werke gehören zu den erschreckendsten in der Gegenwartskunst.

Das stimmt nicht. Wenn Sie Mike Kelley sehen, der Farbe kackt, und chinesische Künstler, die tote Babies essen ... ich kann mir unendlich viel schlimmere Dinge vorstellen.

Trotzdem ist es eine schockierende Erfahrung, Ihre Kunst anzusehen...

Schockierend? Schockierend ist ein Foto von dem, was in Mumbai passiert ist, Fotos mit Blut überall auf dem Boden. Ich kann mir kein Kunstwerk denken, das so etwas tut. Schließlich geht es in der Kunst um Symbolisierung. Es ist nicht echt. Wenn kleine Spielzeugsoldaten Sie schockieren, dann ist das bedenklich.

Also gibt es überhaupt keine „Shock Art“?

Nein. Bei allem grässlichen, das ich gesehen habe, war nie ein Kunstwerk darunter, das mich schockiert hätte. Ich denke, der Begriff „Schock“ liefert nur eine Entschuldigung dafür, nicht unter die Oberfläche zu gehen.

Goya sagte: Der Schlaf der Vernunft gebiert Monster. Was gebären Ihre Monster?

Nach Deleuze/Guattari gebiert nicht der Schlaf der Vernunft Monster, sondern schlafloses Denken. Denn Vernunft ist grässlich. Vernunft mit Bewusstsein ist das Monster, nicht das Unbewusste. Goya liegt falsch.

Das Bewusstsein also als Monster?

Ja, weil es kontrolliert. Es ist absolut, es ist fanatisch, und es ist faschistisch.

Also ist das Endziel der Vernunft das, was im Nationalsozialismus geschah?

Ja, ich denke, es ist der Gipfel aufklärerischen Denkens. Schönheit, Transzendenz, Unsterblichkeit, Rasse, Spezies. Manche Ökologie-Diskurse sind heute sehr nah an nationalsozialistischen Diskursen. Nehmen Sie den Widerstand gegen genmanipulierte Nahrung. Es ist ein natürlicher Prozess biologischen Lebens, sich selbst zu verändern. Die Idee, Leute davon abzuhalten, hat mit dem Glauben zu tun, dass jedes einzelne Gen eine reine DNA hat, dass es eine reine Spezies darstellt, die man schützen muss. In der Wirklichkeit gibt es aber keine reine Spezies, nichts ist rein. Alles ist in fortwährender Verunreinigung. Alles ist eine fortwährende Krankheit. Ich denke, diese absoluten Werte sind auf beunruhigende Weise wie Reinheitsgesetze, der Ökologiediskurs ist sehr erschreckend.

Ihrer an Klonopfer erinnernden Puppen scheinen aber eher vor biotechnischen Manipulationen warnen zu wollen.

Im Gegenteil, ich bin für Genmanipulation: in allen Bereichen, zu jeder Zeit.

2004 wurde Ihre Arbeit „Hell“ durch einen Brand im Depot des Kunstsammlers Charles Saatchi zerstört. Wie haben Sie diese Vernichtung verwunden?

Ach was, wir waren bezahlt. Ich denke nicht, dass Herr Audi weint, wenn eines seiner Autos kaputtgeht. Das Verbrennen wurde zum Teil des Werks; die Hölle hat schließlich schon immer gebrannt. Inzwischen haben wir ein neues Stück gemacht und werden noch zwei weitere bauen. Gott hat „Hell“ verbrannt, er verdient drei weitere.

Als Sie alte Goya-Drucke übermalten, „verbesserten“, wie Sie es nennen, gab es starke Proteste. Zuletzt „verbesserten“ Sie Gemälde Hitlers. Ist das Kunstwerk das letzte Totem unserer Gesellschaft? Das Unberührbare?

Nicht das letzte. Aber es gibt eine sakrale Einstellung gegenüber Kunstwerken. Als wir Goya und Hitler übermalten, wollten wir provozieren. Das Übermalen von Hitlers Bildern ist wahrscheinlich das banalste, das wir je gemacht haben. Tatsächlich ist es aber auch eines der besten Dinge, die wir je gemacht haben, weil es so ... böse ist. Hitler bekam durch uns eine Show im White Cube in London, einer der renommiertesten Galerien der Welt. Das war lustig – als ob wir ihn gekidnappt und in die Kunstwelt gebracht hätten.

Goya brachte die Schrecken von Napoleons Besatzung in Spanien ins Bild. In Ihrer Arbeit scheint das Grauen allgegenwärtig. Ist Krieg heute allgegenwärtig?

Das Problem mit der Kriegsführung besteht heute darin, dass sie andere Energien aufwendet. Wir führen gerade zwei Kriege parallel, aber wir haben keine Vorstellung davon, was das bedeutet. Es gibt in gewisser Weise kein Schlachtfeld mehr, man führt Kriege aus der Distanz. Aber das kann sich ändern.

Inwiefern? Denken Sie an „Nine-Eleven“?

Das war eine große Veränderung. Damals sagte ein amerikanischer General: Wenn man eine kontrollierte Kriegsmaschinerie hat, werden die Leute Wege finden, die Kontrolle zu umgehen. Das haben sie geschafft, und das wird immer wieder geschehen. Es wird immer einen Schlupfwinkel geben.

In der Ausstellung in der Kestnergesellschaft Hannover nutzen Sie die Technik des Sampling. All die Ikonen Ihres Werkes sind in Zitaten anwesend. Heißt das: In der Kunst gibt es kein Original?

Ja, ich glaube kein Kunstwerk kann von einem anderen getrennt werden. Die Rolle des Künstlers wird überbewertet.

Sie lehnen also den wachsenden Kult um den Künstler ab?

Das Konzept von Prominenz an sich ist wirklich abstoßend. Es ist schräg, dass Künstler heute in Klatschkolumnen gefeiert werden. Andererseits – wenn durch den Briefschlitz eine Gasrechnung kommt und eine Einladung zu einer Party, zu der sie dich mit einer Limousine abholen, was öffnest du zuerst?

Sie haben das Label für eine Biermarke gestaltet. Eine Arbeit in der Ausstellung heißt „Someone offered me money to do it“. Wie käuflich sind Sie?

Kommt darauf an, wieviel Geld Sie haben.

Die Ausstellung „Memento Moronika“ von Dinos und Jake Chapman in der Kestnergesellschaft in Hannover ist noch bis 1. 3. zu sehen.

Das Gespräch mit Jake Chapman führte Kolja Reichert.

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