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Künstler Thomas Scheibitz feiert Comeback: Codename Kunst

Der Berliner Maler und Bildhauer Thomas Scheibitz feiert in Frankfurt am Main sein Comeback.

Zwei Augen, Nase, Mund. Ein Mondgesicht – auf den ersten Blick. Aber diese merkwürdigen Formen auf dem Kopf, die Farbigkeit, das alles passt nicht recht zu einem Porträt. Ein typischer Scheibitz. Die Malerei des Berliner Künstlers verschließt sich dem schnellen Zugriff. Sie bevorzugt Chiffren, und balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Es war diese Offenheit nach allen Seiten hin, die Thomas Scheibitz vor sieben Jahren bei der Biennale in Venedig zum Verhängnis werden sollte. Dort stellte er im deutschen Pavillon gemeinsam mit Tino Sehgal aus, einem Konzeptkünstler anderer Art, dessen Beitrag wie die Antithese zu Scheibitz wirkte. Sehgal ließ Tänzer um die Skulpturen seines Ausstellungspartners hüpfen und verzückt „This is so contemporary“ ausrufen. Das klang nicht nur wie ein ironischer Kommentar auf den Biennale-Betrieb und seine schicken Besucher, sondern wurde prompt auch auf Scheibitz’ Beitrag bezogen und schien ihn zu desavouieren.

Der deutsche Pavillon fiel durch. Sehgals Erfolgskurve stieg trotzdem kontinuierlich an, doch um Scheibitz, der fortan als Formalist galt, wurde es hierzulande erst einmal still. Der heute 44-Jährige stellte vornehmlich in den Vereinigten Staaten aus, wo man sein Werk schon länger zu schätzen wusste – im Zuge des Booms neuer Malerei ostdeutscher Provenienz, die vor allem in den USA enthusiastische Sammler fand. Scheibitz profitierte von diesem Etikett, war er doch in Radeberg bei Dresden geboren und hatte in den neunziger Jahren sein Studium an der dortigen Akademie absolviert. Dabei wurde gerne übersehen, dass seine Kunst nur wenig mit der neuen Leipziger Malerschule und dem Dresden-Pop zu tun hatte. Seit 1996 besaß er sein Atelier in Berlin, seit 2005 in einer dem Bund gehörenden Doppelgarage gleich am Schiffbauerdamm, zur Vorbereitung seines Venedig-Beitrags. Nun muss er die Halle räumen, der Bundestag dehnt sich mit seinen Bauten weiter aus.

Just in dem Moment, in dem er das Berliner Biennale-Quartier verlässt, erhält der Künstler nun eine Überblicksschau im Frankfurter Museum für Moderne Kunst und zieht Zwischenbilanz für das deutsche Publikum, das ihn so gründlich missverstanden hatte. Die Rückkehr des Thomas Scheibitz gelingt furios, das kündigte sich bereits mit seinen Präsentationen in Berlin in der Galerie Sprüth Magers und im Showroom des schwedischen Sammlers Gerard de Geer an. Nun aber bespielt er mit 200 Arbeiten ein ganzes Museum, das in seinen Äußerem – in Frankfurt firmiert der postmoderne Hollein-Bau unter dem Namen „Tortenstück“ – wie eine ins Gigantische vergrößerte Skulptur des Künstlers erscheint.

„One-Time Pad“ ist die Schau überschrieben, in Anlehnung an einen Geheimdienst-Code zur besonders sicheren Verschlüsselung. Das größte Gemälde, das 440 mal 230 Zentimeter misst, trägt den gleichen Titel. Geometrische Formen sind darauf zu sehen, Schattenwürfe, Buchstaben, Wolkenformationen vor und hinter einer Art Wand. Sicher kann man sich nicht sein, denn Scheibitz destilliert seine Motive aus Fundstücken der Gegenwart und der Kunstgeschichte, die er manisch sammelt: in Modemagazinen, Kunstbänden, Gartenkatalogen, Baumarkt-Werbung, Plattencovern.

Der Maler konfrontiert den Betrachter mit dessen unstillbarem Bedürfnis, Dinge wiedererkennen und einordnen zu können. Er lässt ihn mit einer Irritation zurück, die mancher nur schwer ertragen kann. Mit dieser Doppelstrategie des Vor-und-Zurück hat der Künstler seinen Weg gefunden, die Malerei voranzutreiben, etwas, das nach Erfindung aller Formen mit dem 20. Jahrhundert nicht mehr vorstellbar schien. Gearbeitet hat er schon immer so: sein Archiv gefüllt, „Sekundärmaterial“ gesammelt, wie er es nennt, und daraus eine eigene Bildsprache entwickelt. Nur schienen das in Venedig die wenigsten zu erkennen, geschweige denn zu würdigen.

Die Krux im deutschen Pavillon bestand auch darin, dass Scheibitz vornehmlich Skulpturen präsentierte, die dem gleichen Prinzip folgen wie seine Bilder: als Destillate der Wirklichkeit. Durch ihre physische Präsenz aber fühlten sich die Betrachter erst recht genarrt, hin- und hergerissen zwischen Hermetik und Offensichtlichkeit. Jetzt erst scheint hierzulande die Zeit reif zu sein für den Maler-Bildhauer. Das Publikum hat weitere sieben Jahre Seherfahrung gemacht, das Bombardement öffentlicher Bilder nochmals anders einordnen gelernt. Und es weiß Malerei auch jenseits des Leipzig-Hype zu schätzen.

Gleichzeitig öffnet Scheibitz aber auch eine Tür in seine Geheimkammer. Die Ausstellung prunkt nicht nur mit fantastischen Gemälden, eindrucksvollen Skulpturen, einer ganzen Wand mit Papierarbeiten, die ihn als großartigen Zeichner ausweist, sondern legt auch seine künstlerischen Quellen offen. In einer Vitrine befinden sich Plastikfigürchen, Schlüsselanhänger, Krimskrams, den Scheibitz mit gelber Farbe übergossen hat. Nicht die Bedeutung der Objekte zählt, deren Form hat ihn inspiriert.

Ein wenig erinnert dieser Blick in die Requisitenkammer an die Offenbarungen des Fotokünstlers Thomas Demand, der seine lange verschlossen gehaltenen hyperrealistischen Settings, die er akribisch aus Papieren bauen lässt und dann abfotografiert, der Öffentlichkeit vorführte. Der Betrachter darf einen Blick ins Atelier werfen, er wird in den künstlerischen Prozess eingeweiht. Erkennen aber muss er allein.

Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main, bis 13. Januar; Katalog (Verlag Walther König) 49,80 €. Informationen: www.mmk-frankfurt.de

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