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„Schluss mit dem absurden Auswählen, den Träumen vom Abgrund, den Rivalitäten, Schluss mit der langen Geduld“ rezitiert Cate Blanchett als Puppenspielerin André Bretons surrealistisches Manifest.

©  Verleih

Künstler und Regisseur Julian Rosefeldt: "Manifesto ist ein Bekenntnis zur Kraft der Kunst"

Was haben Künstlermanifeste uns heute noch zu sagen? Regisseur Julian Rosefeldt über Wut und Poesie – und „Manifesto“ mit Cate Blanchett im Kino.

Nach dem Riesenerfolg als Installation letztes Jahr im Hamburger Bahnhof kommt Julian Rosefeldts „Manifesto“ ab 23. November ins Kino. Auch darin spielt Cate Blanchett zwölf verschiedene Rollen, darunter einen Obdachlosen, eine Grabrednerin, eine Punkerin, eine TV-Sprecherin, die collagenartig Künstlermanifeste unter anderem von Claes Oldenburg, Malewitsch, André Breton und Jim Jarmusch vortragen. Was zuvor auf verschiedene Leinwände projiziert war, zwischen denen sich die Besucher bewegen, ist nun als Film im Kino zu sehen.

Herr Rosefeldt, mit dem Einzug von „Manifesto“ ins Kino kehrt Cate Blanchett nach Hause zurück, in ihr Metier. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit ihr?

Das war Zufall. Thomas Ostermeier, der künstlerische Leiter der Schaubühne, hatte sie 2010 als Überraschungsgast auf eine Ausstellungseröffnung von mir in der Berlinischen Galerie mitgebracht. Sie war zu Dreharbeiten in Berlin. An dem Abend haben wir uns gut verstanden, und dann sagte sie: „Lass uns doch mal etwas zusammen machen.“ Die Idee fand ich faszinierend, zugleich habe ich einen Schrecken bekommen. Wenn man mit einem Hollywood-Star arbeitet, bläst einem ganz schön Gegenwind entgegen.

In gewisser Hinsicht ist das eingetreten: In der Kunstszene wurde die starke Präsenz von Cate Blanchett, der Glamourfaktor kritisiert. Ist das wirklich ein Problem?

„Manifesto“ tourt mittlerweile weltweit erfolgreich durch große Museen. Die meisten Besucher sind angetan. Man kann die Arbeit verschiedenartig sehen: Cate als Schauspielerin beobachten, weil sie so gut ist, in dem, was sie macht. Man kann sie aber auch – ohne dass sich dies widerspricht – vergessen und sich den Texten widmen. Was im Kino selbstverständlich ist, dass ein Schauspieler seine Arbeit gut macht und dadurch die Idee, die Handlung gut transportiert, wird in der Kunstwelt beargwöhnt.

Woher kommt das?

Ich kann mir diese Sinnesfeindlichkeit auch nicht nicht richtig erklären. Vielleicht ist es die Angst, sich einzugestehen, dass etwas verführerisch sein darf. Man geht in den Louvre und lässt sich von Géricaults „Floß der Medusa“ überwältigen und kommt damit klar. In der zeitgenössischen Kunst aber fällt es schwer, sich faszinieren zu lassen. Die gleiche Person, die damit ein Problem hat, geht anschließend in ein Restaurant lecker essen. Das hat viel mit unserem calvinistisch-protestantisch geprägten Kulturbegriff zu tun.

War die Weiterverarbeitung für das Kino Voraussetzung für Cate Blanchett?

Nein, sie hatte starkes Interesse an der Installation und war sogar skeptisch, was die Filmfassung betrifft. Die Kinofassung hat einen ganz pragmatischen Grund. Ich musste die Installation finanzieren und war froh, dass der Bayerische Rundfunk und das Medienboard Berlin-Brandenburg die Arbeit unterstützen wollten – mit der Auflage, dass ich am Ende etwas Lineares aufweise.

Fiel die Übersetzung für das Kino schwer?

Bobby Good, der Cutter, und ich dachten beim Schnitt zunächst, es wäre ganz einfach – wir hängen alles mehr oder weniger hintereinander. Das funktionierte überhaupt nicht, das war wahnsinnig didaktisch und langweilig. Uns wurde klar, dass wir im Kino anders denken müssen. Dort ist man es gewöhnt, an die Hand genommen zu werden und eine Geschichte erzählt zu bekommen. Diese Geschichte aber gibt es bei „Manifesto“ nicht, auch keine zwölf Kurzgeschichten, sondern nur zwölf Situationen, eher Textbilder. Der Kinobesucher ist darauf programmiert, einen Kurz-, Lang- oder Dokumentarfilm gezeigt zu bekommen. Also mussten wir eine visuelle Geschichte erzählen, die die Narration ersetzt. In den ersten zehn Minuten ist sie noch spröde, da spricht Cate noch nicht. Der Zuschauer wird hereingezogen, wenn er merkt: Da passiert nichts mehr in Sachen Handlung. Außerdem hilft die Filmmusik.

In der Installation werden die zwölf Cates durch den mantraartigen Choral zusammengehalten, den zwischendurch alle gleichzeitig sprechen. Warum gibt es diesen Moment im Film nur am Schluss?

Dort ist es der Epilog, der Nachhall vieler Momente. Die vielen Stimmen werden zu einer einzigen, der Stimme der Kunst in der Gesellschaft. In der Installation ist der Fokus stärker auf der Sprache. Die Besucher arbeiten sich regelrecht durch und bleiben vielfach zweieinhalb Stunden in der Ausstellung. Im Kino konnten wir aber nicht alle Texte unterbringen. Der Film ist ebenfalls sehr erfolgreich, was an Cate liegt. Sie aktiviert Zusatzpublikum. Aber das ist mir recht, ich freue mich, dass so viele Menschen jetzt Künstlermanifeste kennenlernen.

Hat sich die Rezeption der Künstlermanifeste, seit sie „Manifesto“ erstmals vorgestellt haben, geändert?

In den letzten zwei Jahren ist die Welt eine andere geworden. Wenn ich heute über „Manifesto“ rede, dann spreche ich oft über Tagespolitik. Die ersten Fragen der Besucher handeln davon, was in ihrem Land gerade los ist. Das ist für mich sehr befriedigend und stellt alle Kritik in den Schatten. „Manifesto“ wird als Aufruf zum Handeln gesehen. Ich bin ja nur Re-Aktivator der Texte, ich habe sie nicht geschrieben, nur collagiert. Die Texte haben eine Aktualität, eine Relevanz, jenseits des Inhalts, der manchmal verquast künstlerisch wirkt. Aber in der Geste stellen sie sich massiv dem Gedanken des Populismus entgegen, der ebenfalls laut und wütend ist, aber eben dumm, ohne Inhalt. Die Manifeste sind inspirierend, voller Kreativität. Kürzlich hatten wir in der Tate Modern die England-Premiere. Das Publikum war zu 90 Prozent jung. Die wollten alle über die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft reden.

Diese Anspielung steckt schon im ersten Bild, einer brennenden Zündschnur. Besitzt die Kunst noch diese Sprengkraft?

„Manifesto“ ist ein Bekenntnis zur Kraft der Kunst. Aber mir stellt sich auch die Frage, wie weit die Kunst in ihrem Handlungsraum eingesperrt ist. Das Dilemma der Kunst, also auch meines, besteht darin, dass ich in einem Raum agiere, in dem niemand mehr überzeugt werden muss. Dort redet man dann über Metaebenen, den angesagten Diskurs. Im Grunde ist der Kinoraum ein demokratischerer Raum, weil er nicht die Bildungsarroganz hat wie der White Cube. Wem die Bildung fehlt und wer nicht weiß, dass es wichtig ist, ins Museum zu gehen, der setzt keinen Fuß hinein. Das Kino ist populärer und offener; es schafft, andere Leute anzusprechen. Einerseits ist der Kunstraum ein Freiraum, hier kann ich Film in jeder beliebigen Form zeigen, im Kino aber nur drei oder vier Formate. Andererseits bin ich eigentlich im falschen Film. Ich sitze einem Publikum gegenüber, das mit allem einverstanden ist.

Zieht es deshalb immer mehr bildende Künstler wie Julian Schnabel oder Steve McQueen ins Kino?

Kino hat eine wahnsinnige Emissionskraft. Es hat uns alle geprägt und ist ein verführerisches Medium. Für viele besitzt es einen Reiz, das auszuprobieren.

Umgekehrt modifizieren Regisseure ihre Stoffe für den Ausstellungsraum wie Alejandro Iñárritu mit seiner Installation „Carne y Arena“ in Mailand. Weil er dort präsenter ist, maximale Beachtung findet?

Viele denken, dass das Kino mehr Leute erreicht. Das gilt aber nur bei Blockbustern. Wir hatten mit „Manifesto“ im Hamburger Bahnhof über 160 000 Besucher. Aber selbst wenn es 20 000, 30 000 sind, davon träumt man beim Arthouse-Film. Dort ist es nicht leicht, solche Zahl zu erreichen. Wenn es um die schiere Menge der Betrachter geht, dann ist die Kunstwelt ganz gut dabei.

Der Erfolg war enorm. Aber ist das Manifest nicht eine altertümliche Form der Positionsbestimmung in der Gesellschaft?

Die Medien haben sich geändert. Das Manifest ist in den letzten 20, 30 Jahren verschwunden, weil die Kunstwelt global geworden ist, sich multipliziert. Heute gibt es andere Möglichkeiten, sich als Künstler zu artikulieren: durch Interview, Blog, Website. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass es gerade eine Wiedergeburt feiert: als Antwort auf die in ihrer Struktur vergleichbaren Äußerungsformen der Populisten. Ich spreche jetzt nur von der Energie dahinter. Die Manifest-Autoren machen dies auch, aber mit größter Poesie und Intelligenz.

Julian Rosefeldt, 52, inszeniert Filme, die eher im Museum als im Kino zu sehen sind.
Julian Rosefeldt, 52, inszeniert Filme, die eher im Museum als im Kino zu sehen sind.

© A. E. Rodriguez/AFP

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