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Kultur: Künstlerstadt: Die Berliner Internationale (Kommentar)

Berliner Künstler gehören zur Bevölkerung. Daran hat die Kulturabteilung des Senats beträchtlichen Anteil.

Berliner Künstler gehören zur Bevölkerung. Daran hat die Kulturabteilung des Senats beträchtlichen Anteil. In den Genuss des begehrten Senats-Stipendiums kann zurecht jeder Künstler ungeachtet der Nationalität kommen, der in Berlin wenigstens drei Jahre einen Wohnsitz hat. Dadurch konnte die Amerikanerin Christine Hill das Atelier des Berliner Senats im PS 1 New York beziehen. Und die Italienerin Monica Bonvincini bekam einerseits als Berliner Künstlerin ein Senats-Stipendium, andererseits als italienische Künstlerin den Goldenen Bären der Kunst-Biennale in Venedig 1999.

Das Vorbild des Berliner Kultur-Senats hat sich längst verselbständigt. So sind bei einer Ausstellungsreihe der Wiener Galerie Krinzinger über die Berliner Kunstszene auch Künstler aus Hamburg und Helsinki beteiligt: Akademie Isotrop, Daniel Richter, Jonathan Meese, Abetz / Drescher und Jukka Korkeila. Ihre Galerien sind in Berlin und so starten die Künstler von hier durch. Das hat sich herumgesprochen. Unlängst zeigte ein spanischer Kurator in Madrid "Crossroads", eine Schau mit Berliner Künstlern, bei der unter anderen die Norwegerinnen Anne Katrine Dolven und Vibeke Tandberg, die Schweizer Ueli Etter und Eric Hattan, die Amerikanerin Ceal Floyer, der Bulgare Nedko Solakov und wiederum der Finne Jukka Korkeila beteiligt waren.

Berlin fungiert als Abschussrampe, welche die Künstler weithin sichtbar fliegen oder vorschnell sterben lässt. Die Stadt bewirkt, dass fast alle jungen aufstrebenden Künstler Berliner sein wollen. Hier haben sie im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten die besten Startbedingungen, verhältnismäßig günstige Mieten und einen motivierenden Wettbewerb mit hoher Sichtbarkeit. Für sie ist keine Stadt vielversprechender. Deshalb nutzen auch Ausstellungsmacher die Stadt als Label. Es signalisiert Zukunft - ungeordnet, halbverstanden, hochinteressant.

Nun haben sich auch die Ausstellungshäuser im Namen der Gegenwart und der Nation in diese Entwicklung zaghaft eingemischt und müssen mit der kleinen Verwirrung zurecht kommen, dass es schwieriger zu entscheiden wird, für welche Staats- und Nationalgalerien Berliner Künstler aller Nationen reklamiert werden. Zwar waren Museen immer schon, wenn auch verstärkt seit den sechziger Jahren, auf dem Weg zu einer Utopie jenseits nationaler Grenzen. Um so verwunderlicher ist es, dass sie jetzt, da die Utopie außerhalb der Museumsmauern Wirklichkeit geworden ist, so träge reagieren. Die Erklärung ist einfach: Museen erwerben selten heisse Ware. Manches braucht lange, um kalt genug zu werden, damit sich Museumskustoden damit befassen. Das ist gut, denn dann unterlaufen keine Fehler (siehe: Ankäufe), und ökonomisch zugleich, denn dann bekommen sie alles umsonst (siehe: Schenkungen und Stiftungen im Sinne der ältesten public-private-partnership). So ist die Passivität der Berliner Museen aus kulturanthropologischer Sicht erklärbar, denn ihre Stadt gilt nun als "heiss": ein Ort der rasanten Veränderung mit einer Gier nach Neuem. Berlin projeziert sich in die Zukunft und hat die Tendenz, das jüngst Vergangene zu historisieren. Nationale Institutionen wie Museen neigen zum Gegenteil. Sie bleiben angesichts linearer Bewegungen unbewegt, kalt und sind Orte der Erinnerung, die das Alte immer wieder ins Spiel der Gegenwart bringen und zu einem zyklischen Zeitmodus neigen.

Das Zusammenspiel von heiss und kalt, so der Ägyptologe Jan Assmann, bestimmt aber die Besonderheit einer kulturellen Sphäre. Je heftiger die einzelnen ineinander verschachtelten Orte ihre Terrains profilieren, um so höher die Ausstrahlung. Und da sich nun Berliner Künstler aller Nationen zu einer neuen Internationale vereinigen, kann die Losung für die heissen Künstler und kalten Kustoden nur lauten: vorwärts und nicht vergessen. Im Namen der Nation lässt sich keine Kunst mehr präsentieren; sie kommt aus der Bevölkerung.

Peter Herbstreuth

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