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Kulturförderung: Musik für Millionen

Sind 250 Euro vom Staat für ein Opernticket zuviel? Welche Bedeutung hat die Kultur für das Gemeinwesen? Die CDU-Kulturexpertin Monika Grütters zum Streit um Subventionen.

Braucht Berlin drei Opernhäuser? Wenn man drei Kinder hat, fragt man auch nicht, ob man sie alle braucht, sondern sieht zu, dass aus ihnen etwas wird. Mit dieser bissigen Bemerkung könnte man die alle Jahre wiederkehrende Debatte um die öffentliche Kulturförderung, auch und gerade in Berlin, sich selbst überlassen. Aber eine andere Aktualität verleiht der Frage neue Brisanz: Während im Nationalmuseum in Peking die drei großen deutschen Museumszentren aus München, Dresden und Berlin eine Ausstellung zur Aufklärung eröffnen, wird Chinas berühmtester Künstler, Ai Weiwei, dort festgenommen und unter anderem daran gehindert, in Berlin ein Atelier zu eröffnen – vor den Augen der ganzen Welt. Gleichzeitig tobt hier der Streit darüber, ob eine Opernkarte mit 250 Euro subventioniert werden darf.

Das fordert uns heraus, uns der fundamentalen Bedeutung der Kultur für das Gemeinwesen zu vergewissern. Denn so banal die Frage nach dem Preis von Theatertickets wirkt, so grundsätzlich muss sie doch beantwortet werden.

Deutschland ist nach wie vor das Land mit der höchsten Theaterdichte der Welt. Das gilt ebenso für die Museen, Literaturhäuser, Archive, Bibliotheken und Festivals. Die Hälfte aller professionellen Symphonieorchester der Welt spielen hier; 113 Millionen Menschen besuchten 2009 deutsche Museen – beinahe zehnmal so viele Besucher, wie alle Bundesligaspiele einer Saison Zuschauer hatten. 31 Millionen Theaterbegeisterte sahen in der Spielzeit 2008/2009 Aufführungen in den 888 Spielstätten in Deutschland. Auf 1000 Einwohner kommt eine neu veröffentlichte Erstausgabe der deutschen Verlage.

Noch ein Rekord: Nie waren mehr Personen in der Kultur und Kreativwirtschaft beschäftigt als heute. Die creative industries überholen mit 3 Prozent den Anteil der Beschäftigten in der Finanzwirtschaft und sind nach der Automobilindustrie der zweitstärkste Beschäftigungssektor geworden: jung, dynamisch, international. Jede zehnte Kulturreise innerhalb Europas geht mittlerweile nach Deutschland – die meisten davon nach Berlin.

Die staatlichen Aufwendungen dafür betragen gerade einmal 1,67 Prozent, rund 9,2 Milliarden Euro jährlich – Geld, das entsprechend der föderalen Verantwortung für die Kultur zunächst von den Bundesländern aufgebracht wird. Diese finanzieren 43 Prozent der öffentlich geförderten Kultur, die Kommunen erbringen sogar 44,4 Prozent, und der Bund steuert die restlichen 12,6 Prozent bei. Diese enorme Kulturleistung ist gerade nicht als Subvention zu verstehen, sondern als Investition in die Zukunft. Das haben auch private Investoren und Firmen verstanden, die vom hohen Ansehen der Kultur hierzulande profitieren wollen. So fließen über gemeinnütziges Engagement weitere 530 Millionen Euro in den Kultursektor.

Angesichts dieser Größenordnungen verbietet sich die wiederholte Forderung, bei der Kultur zu kürzen, bloß weil der Symbolwert der Maßnahme hoch wäre. Richtig ist, dass es bei der Mittelvergabe Transparenz geben muss – das scheint in der Berliner Kulturpolitik nicht immer der Fall zu sein. Allerdings habe ich großes Vertrauen in die Methode, Fachjurys über die Mittelvergabe in der freien Szene entscheiden zu lassen. Die etablierten Institutionen verlangen aus gutem Grund eine verlässliche Finanzierung, hier sind die großen Posten immer die für das Personal. Dass man den Intendanten auf die Finger schaut, dass das Parlament Wirtschaftsberichte verlangt, ist die öffentliche Hand dem Publikum, den Wählern, schuldig. Und dass eine Theaterkarte in Berlin höher subventioniert wird als in München oder London, hat zur Folge, dass hier auch Menschen mit kleinerem Geldbeutel Kultur genießen können.

Auch in Berlin ist Kulturpolitik zunächst Landespolitik – im selbstbewussten Wettbewerb mit den anderen föderalen Gliedern des Landes. Weil aber Berlin der Ort brandenburgischer, preußischer, deutscher, europäischer und Welt-Politik (gewesen) ist, sind in der hiesigen Kulturpolitik stets Motive, Spannungen, Verpflichtungen und Chancen inbegriffen, die das „normale“ Kulturinteresse eines Stadtstaates von knapp vier Millionen Einwohnern übersteigen. Denn Berlin ist durch seine geschichtlichen Prägungen nicht nur überproportional reicher an Kulturhorizonten als jedes andere Bundesland, die Stadt ist auch einer der Schlüsselorte der modernen Weltkultur. Zugleich ist es die wichtigste Stätte der Erinnerung an die Barbarei, die durch die deutsche Tyrannei über Europa gekommen ist. Obendrein ist Berlin der Ort der Erinnerung an die jahrzehntelange Spaltung der Welt in Freiheit und Unfreiheit – und an ihre glückliche Überwindung vor 19 Jahren.

Kulturpolitik in Berlin ist, ob sie es will oder nicht, immer auch Bundespolitik.

Daher fördert der Bund Berlins Kultur mit höheren Summen als das Land selber. Berlin gibt knapp 390 Millionen Euro jährlich, der Bund finanziert mit 430 Millionen Euro Einrichtungen von nationaler Bedeutung. Hinzu kommen Investitionsaufwendungen in Milliardenhöhe, zum Beispiel für die Museumsinsel und die Staatsopernsanierung. Bei einem Gesamtetat des Staatsministers für Kultur und Medien von gut 1,3 Milliarden Euro gehen also 40 Prozent allein in die Hauptstadt.

Als Berlinerin im Kulturausschuss des Bundestages weiß ich, wie mühsam es sein kann, dieses Engagement immer wieder zu verteidigen. So muss den Ländern klar gemacht werden, dass Berlin kein konkurrierendes Bundesland ist, sondern allen dienender Mittelpunkt. Das hat der Regierende Bürgermeister aber noch nicht begriffen: Mit „Arm aber sexy“-Sprüchen immer nur die Hand aufzuhalten, damit der Bund Berliner Einrichtungen übernimmt, das ist nicht besonders überzeugend. Berlin selbst müsste dem Bund öfter einmal zeigen, dass er als erster von einer Kulturblüte seiner Hauptstadt profitiert.

Am besten beschreibt man Berlins kulturpolitische Rolle als die eines Katalysators von Meinungsbildungsprozessen im Politischen wie im Ästhetischen. Berlin ist die Hauptstadt. Was hier kulturell gelingt, wird in den Augen der Welt dem ganzen Land gutgeschrieben. Umgekehrt wird das ganze Land verantwortlich dafür gemacht, was hier misslingt.

Deutschland war zuerst eine Kultur-, dann eine politische Nation. Ein Blick in die Geschichte macht deutlich, welche besondere Rolle die Kultur hier immer gespielt hat. Sie war das geistige Band gerade in jenen Zeiten, in denen die staatliche Einheit noch nicht verwirklicht war. Auch in Zukunft braucht ein föderaler Staat wie die Bundesrepublik diese kulturelle Klammer. Zumal die staatliche Fürsorge für die Kultur, ihre Freiheit, die mit dem Mut zum Experiment auch das Risiko des Scheiterns in Kauf nimmt, immer wieder weltweit beachtete Leistungen ermöglicht hat. Das hartnäckige Engagement des Staates für die Künste hat entscheidenden Anteil am hohen Ansehen Deutschlands in der Welt.

Die Deutschen haben aus den Abgründen ihrer Geschichte gelernt. Wir wissen, dass es die Intellektuellen, die Künstler sind, die – wenn sie sich frei äußern und entfalten können – uns vor neuerlichen totalitären Anwandlungen schützen können. Im Artikel 5 des Grundgesetzes „Kunst und Wissenschaft sind frei“ kommt genau das zum Ausdruck.

Eine sich derart entfaltende Kultur ist nicht das Ergebnis des Wirtschaftswachstums, sondern dessen Voraussetzung. Sie ist die Avantgarde, sie geht der gesellschaftlichen Wirklichkeit, auch der Wirtschaft, voraus. Kultur ist keine „Ausstattung“, die eine Nation sich leistet, sondern eine Vor-Leistung, die allen zugute- kommt. Kein dekorativer Luxus, nicht nur Standortfaktor, sondern Ausdruck von Humanität. Daher wäre ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz mehr als nur ein Verfassungsschnörkel: Vielmehr würde das Bewusstsein für die Wertegrundlagen unserer Gesellschaft geschärft.

Der Fall Ai Weiwei zeigt, wie stark die Kunst ist: Das kommunistische Regime hat Angst vor künstlerischer Kreativität. Weil autoritäre, hermetische Systeme die Kraft der Kultur erkennen, versuchen sie, sie immer wieder zu unterdrücken. Bei der gerade eröffneten deutschen Ausstellung in Peking gilt es also erst recht, eine Haltung zu verteidigen: die Überzeugung, dass Kultur für die Zivilgesellschaft gerade dort essentiell ist, wo Politik und Diplomatie nicht weiterkommen.

Wir haben mehr zu verlieren als nur ein Theater oder ein Atelier. Mit der Kultur geht es um nichts weniger als um unsere nationale Identität.

Monika Grütters, CDU, ist Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien im Bundestag.

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