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Ist das öde. Der Blick über das Kulturforum zeigt einen verwaisten Kampfplatz städtebaulicher Ideen – und keinen Sinnzusammenhang. Foto: Kai-Uwe Heinrich

© Kai-Uwe Heinrich

Kulturforum: Die Umgebung einer Imbissbude

Das Kulturforum in Berlin bekommt ein neues Museum am Rand – und bleibt trostlos, öde und menschenleer. Der belebteste Fleck ist eine Imbissbude. Besuch eines Unorts.

Um die Dimension des Elends zu begreifen, braucht man sich nur den Steinbrocken anzusehen. Er steht am westlichen Rand des Schotterplatzes, nahe der St. Matthäus-Kirche: ein brusthoher, länglicher Granit, von der Witterung rotbräunlich gefärbt, zur schmalen Seite hin poliert. Der Bildhauer Volker Bartsch schuf ihn, oder besser: schuf die Skulptur, zu der auch der Granit gehörte. Ihr zweiter Teil war ein 400 Kilo schwerer Bronzeblock nebenan, nur eine Mulde im Boden zeugt davon, dass hier einmal etwas sehr Wuchtiges stand. Der Block ist gestohlen worden. Die Polizei sagt, die Diebe müssen mit einem Kran angerückt sein, bei dem Gewicht. Gesehen hat das keiner. Und niemand hat gemerkt, dass die Hälfte der Skulptur fortan fehlte. Das Verbrechen wird wohl irgendwann zwischen Ende Mai und Ende Juli 2012 passiert sein, heißt es.

Wie traurig ist das: Kunst, die nicht einmal auffällt, wenn sie gestohlen wird.

Wem, andererseits, hätte sie auffallen sollen? Wer sonntagnachmittags bei bestem Spätsommerwetter übers Kulturforum schlendert, von der Neuen Nationalgalerie rüber zur Philharmonie, zur Linken die Museen, zur Rechten die Potsdamer Straße, der kann eine Berliner Unmöglichkeit erleben. Ein öffentlicher Platz in prominenter Lage ohne Menschen, die verweilen wollen. Über den Zustand des Areals wird unter Stadtplanern, Politikern und Kunstfreunden seit Jahrzehnten gestritten. Zuletzt gab es Hoffnung, ein neues Museum werde die Ödnis vertreiben. Daraus wird nichts. Die Machbarkeitsstudie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz empfiehlt stattdessen einen Museumsneubau, versteckt hinter der Neuen Nationalgalerie. Es braucht keine prophetischen Gaben, um zu wissen: Das Forum als Ganzes wird dieser Anbau nicht retten können.

Kritiker schmähen den Ort gern als „schmuddelig“ oder „verwahrlost“, doch das ist falsch. Eher trifft das Gegenteil zu: Man findet hier keine Zigarettenkippen, keinen Plastikmüll oder Glasscherben am Boden. Weil es einfach keine Menschen gibt, die Müll hinterlassen könnten.

Hier wird man garantiert nicht von Hütchenspielern übers Ohr gehauen

Holzbänke, die auf Besucher warten. Parkbuchten, die auf Autos warten. Das Kulturforum ist der Ort in Berlin, an dem man garantiert niemals von Hütchenspielern übers Ohr gehauen wird.

Ein Dutzend Bäume steht quer über den Platz verteilt, dazu Stümpfe abgestorbener Stämme und mindestens so viele Steinskulpturen diverser Künstler. Volker Bartschs Granit-Bronze-Arbeit war eine der ersten, sie entstand 1988 im Rahmen eines internationalen Bildhauersymposiums. Von damals sind bloß noch drei Werke übrig, woher die anderen kommen, weiß man nicht. Aus Interesse rief Volker Bartsch selbst mal beim Bezirksamt Mitte an, die zuständige Abteilung meinte nur: Komisch, wir haben hier gar keine Unterlagen! Das wirkt auf ihn alles arg willkürlich, sagt Bartsch heute. Als seien Arbeiten dort geparkt worden, weil eben gerade Platz war.

Der belebteste Fleck weit und breit, auch das will etwas heißen, ist der Imbiss vorn an der Potsdamer Straße, die sich durch das Kulturforum schneidet und die Staatsbibliothek vom Rest trennt. Die Betreiberin heißt Stefanie Pfeifer. „Eine seltsame Blase“ sei dieser Ort, jedoch eine, die ihr gefalle. Weil sie so erfrischend unfertig sei und einer derart anachronistischen, ja antikulturellen Institution wie einem Imbiss Platz biete.

Es braucht einen Plan, um der Brachfläche ihre Trostlosigkeit auszutreiben

Stefanie Pfeifer ist eigentlich Restauratorin, in der Kunstbibliothek half sie bei einem Ausstellungsaufbau, mittags kam sie her und fragte nach Käsebörek. Ahmet, der Mann hinter der Theke, hatte nur welche aus Hackfleisch, sie verliebten sich trotzdem, jetzt betreiben sie den Imbiss zu zweit. Unmengen Kaffee wird gekauft, vor allem von Studenten aus der Staatsbibliothek. Wird Sekt gewünscht, ist in der Philharmonie gerade ein Konzert zu Ende gegangen. Auch Touristen schauen vorbei, viele bitten um eine Wegbeschreibung: zur Neuen National- oder zur Gemäldegalerie, dem Alexanderplatz, dem Zoo. Wo sich das Kupferstichkabinett oder das Musikinstrumenten-Museum befinden, frage eher keiner.

Wenn Stefanie Pfeifer aus ihrem Imbiss tritt und auf den Schotterplatz dahinter blickt, kommt ihr der wie eine Arena vor. Eine, in der verschiedene Planer, Investoren und Interessenvertreter um Gestaltungshoheit gekämpft haben. Die sind jetzt alle erschöpft, da kämpft gerade niemand mehr, sagt Pfeifer.

Vielleicht könnte schon allein eine Tischtennisplatte den Ort attraktiver machen

Vielleicht hilft es, das Kulturforum aus der Höhe zu betrachten, um es zu verstehen. Wer die 120 Treppenstufen des St. Matthäus-Kirchturms hinaufsteigt, oben auf der Aussichtsebene eine Weile zur Ruhe kommt und durch die Metallgitter in alle Himmelsrichtungen schaut, wird eher ratloser denn klüger. Mies van der Rohe zur einen, Scharoun zur anderen Seite, die unerklärliche Schräge vor der Gemäldegalerie, ein Traum nur für Skater. Dazu die zig kleinen Rasen- und Gehwegparzellen, geschuldet der gewundenen Straßenführung entlang der Philharmonie. Man kann sich viel Mühe geben, so etwas wie einen Sinnzusammenhang zwischen den Bauten zu erkennen oder wenigstens zu erahnen. Man findet ihn nicht. Stefanie Pfeifer, die gescheite Imbiss-Betreiberin, hat vorhin gesagt: „Hier ist etwas gewachsen. Nur eben nicht zusammengewachsen.“

Unter einem Baum nahe der Philharmonie hat inzwischen eine Hobbymalerin ihre Staffelei aufgestellt. Endlich ein Mensch, der das Kulturforum nicht nur betritt, um zielstrebig eines der Museen anzusteuern. Sie heißt Karin Vasquez und ist Deutschlehrerin. Heute malt sie Acryl auf Papier, und es ist bezeichnend, welche Konturen sich da vor ihr auf dem Bild abzeichnen: Es ist das geschwungene Dach des Sony-Centers drüben am Potsdamer Platz. Warum um Himmels Willen malt sie das denn, warum nicht das Ensemble des Kulturforums? Sie schaut sich um und sagt: „Ziemlich tot ist es hier.“

Vielleicht braucht es gar keinen Museumsneubau. Vielleicht braucht es keine Verdichtung, die Hans Stimmann, der pensionierte Senatsbaudirektor, jahrelang so vehement gefordert hat. Was es aber ganz sicher braucht, ist ein Plan, wie der vorhandenen Brachfläche ihre Trostlosigkeit auszutreiben ist.

Die Museumsinsel hat Rasen und Springbrunnen, das wäre leistbar, selbst in einer Stadt ohne Geld. Karin Vasquez, die Hobbymalerin, hat eine Idee, für die es keine Machbarkeitsstudie bräuchte: eine simple Tischtennisplatte. Die brächte mehr Leben an den Ort als die versammelte Architektur hier.

Man muss sich das klarmachen. Ein Ort, von der Stadt beworben als „einzigartiges geistig-kulturelles Zentrum“ und „bedeutendstes Bauensemble der Nachkriegszeit in West-Berlin“, wirkt so unattraktiv, dass bereits eine Tischtennisplatte als Verbesserung gilt. Dringlicher kann man einen Hilferuf nicht formulieren.

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