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Licht in diesen grauen Tagen. Der helle Himmelskörper steht seit jeher im Zentrum von Kulten und Religionen.

© AFP

Eine kleine Kulturgeschichte: Ode an die Sonne

Sie ist Spenderin allen Lebens und erste Gottheit der Menschen. Ohne die Sonne gäbe es keine Zeitrechnung, keine Religion, keine Macht, keine Revolution. Eine kleine Kulturgeschichte des Himmelskörpers, der uns zur Zeit am meisten fehlt.

Sie vertreibt die Nacht und die Kälte, normalerweise. Jetzt fehlt sie einem. Das große graue Himmelseinerlei, es lässt das Land frösteln, im kältesten Frühlingsanfang seit anno ewig. Man möchte Zugvogel sein und kehrtmachen, nichts wie weg in den Süden. Zeit für eine kleine Kulturgeschichte der Sonne, an deren Bild die Menschheit sich seit jeher wärmt.

Kinder malen sie als große gelbe Scheibe mit Strahlen drum herum. Die Menschen in antiken Zeiten sahen das ähnlich. Die Ägypter setzten die Scheibe ihrem Gott als Krone auf den Kopf und erfanden den Monotheismus. Bei den Maya trägt der Sonnengott einen großen gelben Kragen, bei den Azteken nährt er sich von Wachtel- und Menschenopfern, in Mesopotamien züngeln Flammen aus seinen Schultern. Und das christliche Abendland blickt zur Sonne der Gerechtigkeit auf, zu Christus im Strahlenkranze.

Ohne Sonne geht nichts. Sie ist der „Brennpunkt der Kulturen der Welt“, so der Titel einer Veranstaltungsreihe der Staatlichen Museen zu Berlin und der Deutsche Bank Stiftung 2008, deren Ergebnisse in dem großartigen, opulenten Band „Die Sonne“ (Edition Minerva) nachzulesen sind. „Ganze Kulturen haben sich aus der Hingabe zur Sonne heraus entwickelt“, schreibt Ex-Umweltminister Klaus Töpfer über den Feuerball, der seit 4,6 Milliarden Jahren als Lebens- und Energiespender am Firmament steht.

Ohne die Sonne keine Zeit, keine Astronomie, keine Mathematik, keine Macht, kein Krieg, keine Gerechtigkeit, keine Revolution. So wollen es die Mythen und Kulte, die sich seit Jahrtausenden um den Himmelsball ranken. König Amenophis IV., der Gatte von Nofretete, verbannte die Vielzahl der ägyptischen Götter, erhob die Sonnenscheibe Aton zur einzigen Gottheit und nannte sich Echnaton – als Stifter der ältesten monotheistischen Religion im 14. Jahrhundert v. Chr. So wurde die Sonne zum Urahn von Moses, Zarathustra, Buddha, Jesus und Mohammed. Götter, in deren Namen die großen Heils- und Jenseitsversprechen verkündet, aber auch zahlreiche Kriege angezettelt wurden. Mit dem Sonnenmonotheismus (der in Ägypten bald wieder ausgemerzt wurde) kommt Gewalt ins Kräftespiel der Religionen. Eine These, die der Ägyptologe Jan Assmann zurzeit auch in der Monotheismusdebatte des Internetportals „Perlentaucher“ zur Diskussion stellt.

Die Sonne als Weltenherrscher, als Zentrum der Macht. Nach ihr richtet sich die Lage der Pyramiden, Ludwig XIV. leitete als Sonnenkönig seinen absolutistischen Anspruch von ihr ab. Auch der christliche Nimbus ist ihr nachempfunden: kein Jesus, kein Märtyrer, kein Heiliger ohne güldene Gloriole. In den meisten Kulturen wird die Feuerscheibe männlich personifiziert. Helios, der griechische Sonnengott, lenkt seinen von vier Pferden gezogenen Wagen über das Himmelsrund. Bei den Ägyptern waren es sieben.

So oder so schlägt er den Bogen vom Morgen bis zur Nacht, weshalb die Sonne als verlässliche Uhr dient, als Urgrund und Kompass der Zeit, für den Bauern wie für den Astronomen bei Hofe. Genauer als der Mond bemisst ihr Lauf die Tage, die Jahreszeit, den Kalender der Natur. Die Himmelsscheibe von Nebra legt davon ein beeindruckendes Zeugnis aus der Bronzezeit ab, ebenso wie die komplizierten Zahlen- und Kalendersysteme aus der Blütezeit der Maya-Kultur. Und wieder kommt die Religion ins Spiel, indem sie etwa die Winter- und Sommersonnenwende zu Feiertagen umfunktioniert. Der römische Kaiser Konstantin nutzte diese Koinzidenz, um das Christentum mit dem Heidentum zu versöhnen. Ein multifunktionelles Gestirn: Im Namen der Sonne lässt sich nicht nur Krieg, sondern auch Frieden stiften.

Die Sonne sieht alles, in gleißender Unbestechlichkeit. Schon die Mesopotamier erklärten sie zum obersten Richter, dem nichts entgeht. In Gestalt des Messias wird sie zum Garanten der Gerechtigkeit für Erniedrigte und Beleidigte. Noch die Krimis von heute tragen sie im Titel, wie René Clements Patricia-Highsmith-Verfilmung „Nur die Sonne war Zeuge“, mit Alain Delon als Tom Ripley. Mit seinem berühmten Satz „Geh mir aus der Sonne“ wies der Philosoph Diogenes niemand Geringeren als Alexander den Großen in seine Schranken. Und was wäre die französische Revolution ohne die Morgenröte? „Sieg über die Sonne“, die erste futuristische Oper im Geist der russischen Revolution, wurde übrigens vor genau 100 Jahren uraufgeführt, im Dezember 1913.

So ist sie das Schönste und das Schrecklichste zugleich. Die Sonne hat ihre Betrachter zu unvergleichlichen Gesängen inspiriert, zu Hymnen auf Licht und Leben. Die magisch zerfließende Sonne in den Seestücken von William Turner, „Here comes the Sun“ von den Beatles: herzerwärmend. Auch Franz von Assisi, der Namensvetter des neuen Papstes, ist ein legendärer Sonnenanbeter.

Aber wehe, man kommt ihr zu nahe. Ikarus stürzte ab mit seiner Hybris und den gewachsten Flügeln. Der deutsche Science-Fiction-Thriller „Hell“ (2011) malt eine Naturkatastrophe aus, nach der die ungefilterte Sonne alles verbrennt. Ihre Helligkeit wird zur Höllenhitze. Ein Klassiker: Albert Camus’ „Der Fremde“ ermordet einen Araber am Strand, ohne ersichtliches Motiv. Die Sonne hat ihn geblendet, sagt Mersault, der die Sonne und das Meer im Namen trägt, „mer“ und „soleil“. Das indogermanische Sonnensymbol, die Swastika, hat tatsächlich großes Leid über die Menschheit gebracht – auch die Nazis missbrauchten die Sonne, im Hakenkreuz.

Mosaikbild von Christus mit Sonnenstrahlen in der Kirche S. Paolo fuorile mura in Rom, aus dem opulenten Buch "Die Sonne. Brennpunkt der Kulturen der Welt", 2009. Das Buch, erschienen bei der Edition Minerva, versammelt die Ergebnisse einer Veranstaltungsreihe der Staatlichen Mussen zu Berlin und der Deutsche Bank Stiftung aus dem Jahr 2008.
Mosaikbild von Christus mit Sonnenstrahlen in der Kirche S. Paolo fuorile mura in Rom, aus dem opulenten Buch "Die Sonne. Brennpunkt der Kulturen der Welt", 2009. Das Buch, erschienen bei der Edition Minerva, versammelt die Ergebnisse einer Veranstaltungsreihe der Staatlichen Mussen zu Berlin und der Deutsche Bank Stiftung aus dem Jahr 2008.

© Edition Minerva

Stell dir vor, die Sonne explodiert. Sie zerstiebt in Millionen Funken, zu einem letzten grandiosen Feuerwerk. Dann legt sich Asche auf die Erde, und es herrscht ewige Nacht. Ein Albtraum. Ähnlich beginnt der indische Mythos von der Erschaffung der Welt: Ein Sturm fegt die Asche ins Meer, auf den Fluten schwimmt die Weltenschlange mit Visnu, aus dessen Nabel eine Lotusblüte samt Schöpfergott Brahma erwächst. Dessen Urenkel bilden die Götter der neuen Welt, der jüngste: ein Sonnengott. Das Ende als Anfang, der Tod der Sonne als Geburtsstunde der Welt.

In Michelangelo Antonionis letztem Film in Eigenregie, „Identifikation einer Frau“, fliegt ein Raumschiff mitten in die Sonne hinein, ein glühender, die gesamte Leinwand füllender Himmelskörper, Ursprungstraum und Endzeitfantasma. Unsereinem würde es schon genügen, wenn sie heute endlich mal wieder schiene.

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