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Zum Feiern aufgelegt. Am Museum für zeitgenössische Kunst in Breslau hängt ein Gedicht von Stanislaw Drózdz, „es war, es ist, es wird...“.

© Botschaft der Republik Polen

Kulturhauptstadt Breslau: Finger in die Wunde

Breslau ist 2016 Kulturhauptstadt Europas und will sich als offene, tolerante Stadt präsentieren. Von der Kunst erhofft man sich jetzt auch, dass sie dem Rechtsruck entgegenwirkt.

Die Frau im roten Gewand steht vor dem Bild „Triptychon der heiligen Familie“, einem Meisterwerk der schlesischen Gotik, und sie zieht richtig vom Leder. „Immer brauchen sie mich, aber auf dem Familienbild bin ich dann nicht drauf“, schimpft sie. Und weiter: „Möchte ja nicht wissen, von wem die das Kind hat.“

Das Breslauer Nationalmuseum liegt am Ufer der Oder in einem imposanten neogotischen Backsteinbau. Die österreichische Künstlergruppe „Wenn es soweit ist“ lässt dort polnische Schauspieler und Schriftsteller die Gemälde der Alten Meister neu interpretieren. Marta Zieba gibt die empörte Elisabeth, eine Cousine Marias. Jesus’ Gang übers Wasser zieht sie ebenso durch den Kakao wie die Vermehrung der Fische. „Es ist schön zu sehen, dass das möglich ist“, sagt eine Besucherin nach der Performance. Seit in Polen die konservative Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) regiert und die EU prüft, ob das Land überhaupt noch ein Rechtsstaat ist, sorgen sich viele Kulturschaffende in Polen um die Demokratie. Und um die Freiheit der Kunst.

Die Zahl der Touristen soll sich verdoppeln

Nun ist Breslau Europas Kulturhauptstadt 2016, neben der spanischen Hafenstadt San Sebastián. Zur Eröffnung am letzten Wochenende liefen tausende Bewohner und Gäste neben geschmückten Wagen und tanzenden Artisten her. Vier Prozessionen bewegten sich aus unterschiedlichen Richtungen auf das Zentrum zu, um sich auf dem Rynek, dem zentralen Marktplatz, zum Eröffnungsspektakel zu vereinen. Acht Kuratoren hat die Stadt engagiert, um das Kulturhauptstadtprogramm auf die Beine zu stellen. Tausend Veranstaltungen soll es geben, die Zahl der Touristen – jährlich sind es rund 3 Millionen – auf das Doppelte anwachsen. Vor allem will Breslau sich als offene, tolerante Stadt präsentieren, die einen wichtigen Beitrag leisten kann, wenn es um die Frage geht, wie wir in Europa künftig zusammenleben wollen.

Die Stadt bastelt an ihrer Identität

So gut wie jeder Bürger hier hat Migrationshintergrund; bis heute bastelt die Stadt an ihrer Identität. Breslau durchlebte in der Folge des Zweiten Weltkriegs einen kompletten Bevölkerungsaustausch. Die Deutschen wurden ausgesiedelt, im Gegenzug wurden Menschen aus der Gegend um Lemberg in die neu hinzugewonnene Stadt gelockt. Aus einer blühenden Metropole, die zu ihren besten Zeiten eine Million Einwohner zählte, wurde unter den Nazis die „Festung Breslau“ – und nach Kriegsende eine in Trümmern liegende Geisterstadt. Heute zählt die niederschlesische Metropole wieder 630 000 Einwohner. In den letzten zehn Jahren wurde viel dafür getan, ihre böhmische, deutsche, polnische, jüdische Vergangenheit sichtbar zu machen. Gute Voraussetzungen also, um Kulturhauptstadt Europas zu sein.

Wird die konservative Regierung die Kunst zurechtbiegen?

Allerdings gibt es auch in Breslau zunehmend Probleme mit rechten Gruppen und Schlägern. Kürzlich wurde mitten auf dem Rynek eine Puppe angezündet, die einen orthodoxen Juden darstellte. Auch blockierten erzkatholische Demonstranten vor einem Theater die Aufführung von Elfriede Jelineks „Der Tod und das Mädchen“, weil es darin angeblich pornografische Szenen geben sollte. Solche Vorfälle halten die Menschen auf dem Rynek nicht vom Feiern ab. Trotzdem geht unter Künstlern und Kulturschaffenden die Sorge um, dass die konservative Regierungspartei künftig auch die Kultur zurechtbiegen wird.

Seit Breslau 2008 neben dem baskischen San Sebastián den Zuschlag als Kulturhauptstadt bekam, wurden 500 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert. Ein großen Anteil verschlang das neue Konzerthaus, ein beindruckender Bau am Wolnosci Platz. Die Breslauer Werkbundsiedlung „WuWa“ von 1929 wurde umfassend saniert. Im Sommer eröffnet ein Museum zum polnischen Nationalepos „Pan Tandeusz“. Den geplanten Neubau für das Museum für zeitgenössische Kunst hingegen haben die Stadtoberen verschoben. Dabei mangelt es an Ausstellungsflächen, wie die Künstler beklagen.

Netzwerke und Bürgerbeteiligung

„Im Moment beteiligten sich acht bis zehn Prozent der Breslauer an kulturellen Ereignissen, sagt Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz in seinem schmucken Empfangsraum im Rathaus. „2016 soll der Anteil auf 20 Prozent steigen.“ Auch der für Kunst zustände Kurator im Kulturhauptstadtjahr, Michal Bieniek, der in Breslau bereits etliche Kunst-Festivals organisierte, setzt auf Netzwerke und Bürgerbeteiligung. „Mir ist es wichtig, viel mit lokalen Institutionen zusammenzuarbeiten“, sagt er.

Bereits zwei Tage vor der Eröffnungsperformance bildeten sich lange Schlangen vor den Ausstellungshäusern. Im Architekturmuseum nahe der Dominsel eröffnete eine dicht gepackte Ausstellung zum Mies-van-der-Rohe-Preis, der 2015 an die neue Philharmonie in Stettin verliehen wurde. Was ist europäische Identität, lautet auch hier die zentrale Frage. Die Malerin Pola Dwurnik eröffnete indes eine Ausstellung im Museum für zeitgenössische Kunst, das temporär in einem alten, stylish renovierten Bunker untergebracht ist. Dwurnik setzt sich in ihren Zeichnungen auf humorvolle Weise mit Polens Kunstszene auseinander. Die ist, sagt sie am Rande der Schau, recht klein und konzentriert sich überwiegend in Warschau.

Platz für Kunst in Kriegsruinen

Der künstlerische Mikrokosmos Breslaus brachte dagegen schon zu Zeiten des Kommunismus eine lebendige Avantgarde hervor. Ideengeber wie Jerzy Grotowski, Gründer des Breslauer Theaterlaboratoriums, oder der Kunstprofessor Jerzy Ludwinski beeinflussten die Stadt. In den 80er und 90er Jahren formierten sich Gruppen wie die Orangene Alternative oder Luxus, sie trieben Schabernack mit der Politik und mit dem sich nach der Wende ausbreitenden Turbokapitalismus. Inmitten der Kriegsruinen war Platz für Kunst. Doch auch in Breslau schwinden die Freiräume.

Mit dem urbanen Raum und partizipativen Ansätzen in den heruntergekommenen Vierteln jenseits der schick renovierten Altstadt, beschäftigt sich die kommunale BWA Galeria, deren Vorläufer bereits im Kommunismus existierte. Sie ist eine der aktivsten Kunstorte der Stadt, ein Raum für Experimente. „Eduardo Chillida“ steht nun in großen Lettern an den Scheiben. Drinnen sind Skulpturen des baskischen Künstler zu sehen. „Es ist eine historische Position, eigentlich untypisch für uns“, sagt Pawel Jarodzki. Jarodzki, Mitglied der berühmten Breslauer Künstlergruppe Luxus, führt die Galerie zusammen mit Marek Puchala, der ebenfalls eine Vergangenheit in Wroclaws legendärer Punkszene der 80er Jahre hat.

„Wir sind Teil der Stadt und deshalb auch Teil des Kulturhauptstadtprogramms,“ sagen sie. Doch sie machen keinen Hehl daraus: Kulturhauptstadt, dass ist für sie mehr Show als Kunst. „Kunst legt den Finger in die Wunde“, sagt Jarodzki und Puchala fügt hinzu: „In unseren Ausstellungen versuchen wir zu zeigen, was ist. Aber wir wahren die Distanz. Ich denke, dass ist es auch, was die oft beschworene Wroclawer Freiheit ausmacht: ein gesunder Abstand zur Politik.“ Es ist den Breslauern zu wünschen, dass sie sich diese Distanz bewahren.

Polens Regierung weitet ihren Einfluss aus. Wie sich die Bevölkerung dagegen wehrt lesen Sie in einer Reportage von Agnieska Hreczuk.

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