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Kultur: Kulturpolitik: Adrienne Goehler im Interview: "Berlin braucht eine Experimentierphase"

Adrienne Goehler (45) ist seit 108 Tagen Senatorin für Wissenschaft und Kultur. Die Diplompsychologin und ehemalige Abgeordnete der GAL-Frauenfraktion war seit 1989 Präsidentin der Hamburger Kunsthochschule.

Adrienne Goehler (45) ist seit 108 Tagen Senatorin für Wissenschaft und Kultur. Die Diplompsychologin und ehemalige Abgeordnete der GAL-Frauenfraktion war seit 1989 Präsidentin der Hamburger Kunsthochschule. Zu ihren ersten Berliner Amtstaten gehörten die Gründung der Philharmoniker-Stiftung und die Lösung der Finanzierungsfrage bei der "Topographie des Terrors".

Sie haben Ihren Job im Juni nach 48 Stunden Bedenkzeit übernommen. Haben Sie diesen Wagemut im Nachhinein bereut?

Ich kannte den Berliner Sumpf und die Dimensionen der Finanzkatastrophe nicht. Das gab mir immerhin die Chance, Fragen von einer Warte aus stellen zu können, die sich die Involvierten seit Jahren nicht mehr stellen. Das ist befreiend, auch für meine Gesprächspartner. Die Käseglocke der großen Koalition ist endlich gelüftet.

Die finanziellen Zwänge sind allerdings noch da. Haben Sie die preußische Tugend der Sparsamkeit inzwischen gelernt?

Es verging keine Woche, in der im Gesamthaushalt nicht zwei- bis dreistellige Millionenbeträge auf der Minusseite verbucht werden mussten. Dabei haben viele Kulturschaffende längst verstanden, dass sie sich nicht mehr auf Bemühenszusagen berufen können und dass auch begründete Nachforderungen oft nicht realisierbar sind. Überall gibt es das gleiche strukturelle Problem. Die Theater, die Opernhäuser und die Museen würden gerne einsparen, kommen aber nicht von ihrem Personalüberhang runter. Deshalb sind die meisten an der Entrümpelung hauseigender Bürokratien sehr interessiert. Wir brauchen eine Experimentierphase in der Berliner Kulturlandschaft, mindestens für die nächsten drei Jahre.

Sie haben eine begrenzte Mission, wie die Bundeswehr in Mazedonien. Ob Ihr Mandat verlängert wird, weiß man erst nach der Wahl. Wie macht man Politik mit dem vorläufigen Ende vor Augen?

Als ich antrat, gab es ja einige Probleme, auf die alle wie paralysiert starrten: die Philharmoniker-Stiftung, die Verträge für Simon Rattle und Daniel Barenboim oder die "Topographie des Terrors". Die Kontrahenten warfen sich derart in Pose, dass ich mir manchmal vorkam wie im Zoo zwischen großen, brüllenden Tieren. Aber es war durchaus möglich, scheinbar unverrückbare Positionen zu unterlaufen. Dank meiner Staatssekretärin Alice Ströver, die die Verhältnisse seit Jahren kennt, konnten wir gleich am ersten Tag loslegen und vieles bewegen. Was ich in den nächsten Wochen noch angehen möchte, ist die nächste Phase der Schlossdiskussion, ebenso wichtig ist die Reform der Ausländersteuer für Künstler - in Zusammenarbeit mit dem Bund. Am Herzen liegt mir außerdem eine Initiative "Start-Art" für die freie Kunst, und der Film, der hier in Berlin sträflicherweise nur als Wirtschaftsfaktor angesehen wird. Ebenso muss geklärt werden, ob der Denkmalschutz und die Kunst im öffentlichen Raum nicht im Kulturessort angesiedelt werden sollten statt in der Bauverwaltung, die ja eher ein natürlicher Interessensgegner ist.

Einerseits ist Berlin eine Stadt, die sich mit rasender Geschwindigkeit verändert, andererseits gibt es hoffnungslos verfestigte politische Strukturen.

Berlin ist eine unglaublich pulsierende, internationale Stadt. Ich kenne viele New Yorker Künstler, die ihre abgesteckten Bezirke leid sind und nach Berlin kommen, weil es hier mehr Freiräume gibt. Die politische Sicht auf die Kultur als Kostgänger ist dem diametral entgegen gesetzt. In einem frühen Entwurf der Regierungserklärung stand der schöne Satz: Berlin ist rohstoffarm und küstenfern. Das heißt, das Kapital der Stadt liegt in der Kultur und der Wissenschaft.

Sollen die beiden Bereiche denn weiter in einem Ressort verwaltet werden?

Zwei Einzelressorts zu schaffen, verbietet die Landesverfassung, die eine Höchstzahl von Verwaltungen vorschreibt. Man kann nur über andere Kombinationen nachdenken, die ich aber für nicht akzektabel halte. Wissenschaft und Wirtschaft zusammenzulegen, wäre eine Reduktion der Forschung auf ihre Profitaussichten. Wissenschaft und Schule bedeutete ein Mammutressort ohne Qualitätssteigerung. Und Kultur als Appendix der Senatskanzlei halte ich für völlig verfehlt. Vieles spricht für eine noch engere Verbindung der beiden Teilressorts.

Was bedeudet das konkret?

Ich komme gerade von einer Diskussion über den Schlossplatz. Daran sind Bund, Land, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Landesbibliothek, die außereuropäischen Sammmlungen und die Wissenschaftssammlungen beteiligt. Wir beginnen bei der Schlossdiskussion, die sich mittlerweile weniger um die Fassade dreht als um das Inhaltliche, ein Verhältnis von Wissenschaft und Kultur herzustellen. Text und Bild sind im 21. Jahrhundert nicht mehr voneinander zu trennen. Nach dem 11. September halte ich es für noch gebotener, den Dialog der Kulturen auch bei der Schlosskonzeption zu bedenken. In Berlin gibt es allein fünf große Islam-Sammlungen: Sicherheitspolitik erschöpft sich nicht in einer sicher nötigen Verbesserung der Polizeistrukturen. Sie muss auch ansetzen bei den diffusen Ängsten der Menschen. Hier hat die Kultur eine hohe Verantwortung und kann große Kraft entwickeln. Es stimmt ja nicht, dass die Leute seit dem 11. September nur noch vorm Fernseher sitzen. Das Pergamon-Museum zum Beispiel hat seitdem großen Zulauf.

Wie verstehen Sie sich inzwischen mit Ihrem Bürgermeister? Auf kulturpolitischen Podien hat Klaus Wowereit Ihnen ja gelegentlich die Show gestohlen; beim Theater des Westens ist er Ihnen kräftig in die Parade gefahren.

Es ist wichtig für die Kultur, dass sie nicht am Regierenden abperlt, sondern von ihm aktiv unterstützt wird. Natürlich haben wir Differenzen, wie in Koalitionen üblich. Aber ich bin nur begrenzt narzisstisch kränkbar. Beim Theater des Westens war unser Konzept nicht durchsetzbar, weil ich nicht beweisen konnte, dass die Betreiber mit weniger Zuschüssen in den nächsten Jahren ein besseres Programm machen werden.

Sie als Neuberlinerin hätten doch sagen können: Das ist wie eine kleine Bankgesellschaft. Weg damit.

Es war ein harter Schlag, dass ich mich am zweiten Arbeitstag mit einem Insolvenzverfahren befassen musste. Ich rede aber erst einmal mit den Betroffenen, bevor ich über sie rede. Und ich würde noch heute ein glaubwürdiges, spartenübergreifendes, öffentlich subventioniertes Haus einer privaten, auf nur ein Unterhaltungs-Segment beschränkten Nutzung vorziehen.

Gibt es für das Theater des Westens und das Schiller-Theater bald eine Bewerberrunde?

Für ein ordentliches Verfahren ist die Zeit bis zur Wahl viel zu kurz. Wir werden es europaweit ausschreiben. Wir brauchen Ideen für ein breites Angebot und für neue Formen. Als Kulturpolitikerin muss ich Sorge tragen für eine vielstimmige, heterogene Szene. Übrigens haben wir immerhin erreicht, dass das eingesparte Geld im Kulturhaushalt verbleibt und nicht zum Stopfen anderer Haushaltslöcher verwendet wird.

Nehmen Sie die Opern-Intendanten denn nun in die Pflicht, was die viel diskutierte Wirtschaftlichkeit und Kooperation angeht?

Es wäre Irrsinn, die gescheiterte Opernreform wieder aus der Kiste zu holen. Ich bewege mich lieber auf der Ebene der kleinen, realisierbaren Veränderungen. Die Häuser sollen ihre Profile schärfen: Eine Absprache der Spielpläne findet mittlerweile statt. Was die Gefahr der Parallelaktionen von Christian Thielemann an der Deutschen Oper und Daniel Barenboim an der Staatsoper angeht - beide lieben nun mal Wagner -, so hoffe ich auf den neuen Staatsopern-Intendanten Peter Mussbach. Und ich bin sicher, dass mit Andreas Homoki und Blanca Li an der Komischen Oper ein neuer Wind wehen wird. Die Frage der Zusammenlegung der Werkstätten ist kompliziert, weil das vorgesehene Grundstück in den Liegenschaftsfond gegeben wurde und nicht mehr zur Verfügung steht. Aber wir erarbeiten derzeit ein abgespecktes Kooperations-Konzept - und ein gemeinsames Marketing-Modell.

Das BerlinBallett ist ja ebenfalls passé.

Die Tanzensembles müssen in jedem Fall einen autonomeren Status an den drei Häusern bekommen. Sie müssen mehr Vorstellungen bestreiten können, statt jetzt 150 im Jahr etwa 200. Auch da müssen die Häuser sich profilieren und den Tanz individuell zuschneiden. Auf der riesigen Bühne der Deutschen Oper kann nicht ein 10-köpfiges Ensemble tanzen. Und Gerhard Brunner als Koordinator dieses Prozesses muss daran arbeiten, seine eigene Funktion überflüssig zu machen.

Stichwort Hauptstadtkulturvertrag: Sie sagen, er muss weitergeschrieben werden.

Die Übernahme des Bundes von fünf Berliner Institutionen ist der Beginn einer zu festigenden, auszuweitenden Freundschaft. Berlin wird als Kulturmetropole nur überleben, wenn sich der Bund zu ihr so verhält wie Bayern zu München. Mindestens. Vor der Wahl wird da aber kaum noch etwas zu bewegen sein. Aber wir haben eine Liste all der Institutionen, bei denen der Bund sich mehr engagieren sollte: bei der Museumsinsel, dem Naturkundemuseumm, der gesamten Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Auch die "Topographie" halte ich nach wie vor für eine nationale Angelegenheit.

Das Wahlversprechen der Adrienne Goehler?

Ich werde mich hüten, den Fehler weiterer Bemühenszusagen zu machen. Mit der Ungleichheit etwa bei der Bezahlung der Orchestermusiker bei der Staatsoper und der Deutschen Oper wird bis auf weiteres zu leben sein. Aber Kultur ist ja auch die junge Kunst, die Tanzszene, die Museen - das sind die Pfunde, mit denen wir wuchern können. Dieser Humus ist mir wichtig. Darauf kann man mich gerne festnageln.

Auf den Humus?

(lacht) Vielleicht ist das ja Kulturpolitik: Nägel in den Humus schlagen.

Sie haben Ihren Job im Juni nach 48 St, en Bedenk

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