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13 Prozent: Anti-AfD-Proteste am Wahlabend.

© REUTERS/Wolfgang Rattay

Kulturschaffende zur Wahl: "Ein hässlicher Tag für die Demokratie"

Schriftsteller, Theaterleute und andere Kulturschaffende reagieren entsetzt auf den Wahlerfolg der AfD. Manche sagen, man solle nun auf eben diese AfD-Wähler zugehen.

Entsetzen über den Erfolg der AfD kennzeichnet die Reaktion von Kulturschaffenden auf die Bundestagswahl. „Der Schock sitzt tief“, sagte der künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier. Viele Menschen hätten die AfD aus Protest gewählt, nicht weil sie überzeugte Rechtsextremisten seien. Diese müsse man nun durch kluge Argumentation zurückholen und ihnen klarmachen, dass sich die AfD nicht um ihre Ängste kümmere, die vor allem Ängste vor weiterem Sozialabbau seien. Die AfD ist keine bürgerliche Partei, sondern eine rassistische, homophobe und in vielen Fällen auch frauenverachtende Partei“.
Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele, sprach von einem kollektiven krachenden Versagen der meinungsbildenden Schicht in Deutschland. Politiker, Intellektuelle und Theaterleute hätten es nicht geschafft, die Bevölkerung in dem dramatischen Veränderungsprozess mitzunehmen, in dem sich das Land befinde. Lilienthal setzt jetzt auf Gespräche mit den Wählern der AfD. „Es hilft nichts anderes, als den Diskurs über die Unzufriedenheit zu suchen“, sagte er.

Der Schriftsteller und Dramatiker Moritz Rinke sprach von einem „hässlichen Tag für die parlamentarische Demokratie“. Nun könnten Rassisten und Rechtsextreme Mitarbeiter einstellen. Den etablierten Parteien sei es nicht gelungen, ein neues gesellschaftliches Leitbild zu formulieren, das nicht Angst vor der Flüchtlingspolitik erzeuge, sondern Verständnis und Empathie. Der Ton im Parlament werde sich verschärfen.

Der Ruhrtriennale-Intendant Johan Simons sieht in der AfD keine vorübergehende politische Erscheinung. „Ich denke nicht, dass die nach vier Jahren wieder weg sind“, sagte der71-jährige Niederländer Simons, der 2018 Intendant des Bochumer Schauspielhauses wird. „Die werden sich von einem Skandal zum anderen schleppen.“ Wie Lilienthal betont er, dass man zu wenig von den AfD-Wählern wisse und auf sie zugehen müsse.

Der Schriftsteller Martin Walser nennt laut "Spiegel" die mehr als 20 Prozent, die die AfD im Osten Deutschlands erreichte, „die traurigste Nachricht des Tages“. „Jetzt müssen wir uns nicht die Köpfe blutig kratzen, sondern diese Spätfolge der deutschen Teilung ernst nehmen!“ Bestseller-Autor Daniel Kehlmann empfand trotz des Einzugs der AfD in den Bundestag „aufrichtige Dankbarkeit“ gegenüber Kanzlerin Angela Merkel (CDU). „Denn man wagt kaum sich vorzustellen, wie viel Prozent die AfD erreicht hätte, wäre sie nicht noch einmal angetreten.“ Die Schriftstellerin Juli Zeh stellte die Frage, wie gut es einem Land noch gehen müsse, „damit Menschen sich nicht mehr von fremdenfeindlichen Szenarien aufhetzen lassen“.

Wolfgang Tillmans: 13 Prozent Aufmerksamkeit für die AfD und nicht mehr

Der Kölner Autor Günter Wallraff sagte: „Es ist eine Katastrophe, dass Rechtspopulisten und rassistische Führungskräfte wieder das große Wort führen können - und das mit einer Sprache, die bewusst Spielregeln verletzt, um Hass und Feindbilder zu schaffen.“

Der Philosoph Richard David Precht sieht den Wahlausgang als „Quittung für einen unpolitischen Wahlkampf“. Die Themen, die die Menschen beschäftigten, seien nicht wirklich Wahlkampfthemen gewesen: Zuwanderung, die ökologischen Folgen des Wirtschaftsmodells, und die Folgen der Digitalisierung. Der Fotokünstler Wolfgang Tillmans rief dazu auf, die AfD durch die politische Debatte nicht aufzuwerten: „Ich hoffe, die Medien werden der AfD in Zukunft dreizehn Prozent der Aufmerksamkeit geben und keine Minute und Zeile mehr.“ Tilmanns hatte vor der Wahl mit einer Plakataktion vor der extremen Rechten gewarnt. Es sei wichtig, nicht jeden Tabubruch zur Großdebatte zu machen und damit Leuten wie Alexander Gauland erst recht Gehör zu verschaffen.

Alice Schwarzer sieht die "Stunde der Frauen" gekommen

Die Autorin und Feministin Alice Schwarzer sieht nach der Bundestagswahl die „Stunde der Frauen“ gekommen. Der AfD-Erfolg gehe vor allem auf Männer zurück. Jetzt, wo der Karren im Dreck stecke, müssten die Frauen „gegenhalten gegen die Verhetzung und Vermachoisierung der Republik.“

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann forderte selbstkritische Analysen seitens der Kultur und der Medien. Wichtige Themen hätten im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. „Dazu gehört auch die Rolle der Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Integration. Das müssen wir ändern.“ dpa/Tsp

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