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Burning Money

© Ullstein-Bild

Kultursubvention: Bühnen und Banken

Noch hat die staatlich geförderte Kultur nichts zu fürchten - sie gilt als sichere Investition. Doch was bleibt der Kunst zu sagen, wenn der schärfste und anarchistischste Kritiker des Kapitalismus der Kapitalismus selber ist?

Seltsames geschah vergangene Woche in Berlin-Kreuzberg: Ein Mann überfiel eine Bank. Ein anachronistischer Raubzug! Ein Rückfall in ferne Zeiten, als das Geld auf der Bank noch bombensicher schien – sonst würde sich ein Bruch mit all dem Risiko ja gar nicht lohnen.

Ein physischer Banküberfall, tatsächlich. In diesen Tagen könnte das fast schon wieder als ein Stück Aktionskunst gelten. Christoph Schlingensief – es war noch in der Vor-Euro-Zeit – hatte einmal die Idee, Geld ohne jeden kreativen Umweg direkt in Kunst zu verwandeln. Auf Einladung der Deutschen Bank sollte er im Reichstagsgebäude bei einer Veranstaltung mit dem schönen Titel „Kapitalismus im 21. Jahrhundert“ eine Performance organisieren. Der an die Surrealisten der zwanziger Jahre erinnernde Plan, 100 000 DM vom Dach des Parlaments auf die Passanten herabregnen zu lassen, ging dem Sponsor dann doch zu weit. Das Schlingensief-Spektakel „Rettet den Kapitalismus!“ wurde abgeblasen.

Anno 1999 war das visionär. „Wir müssen begreifen, dass wir in einer sich schnell wandelnden Welt immer schneller sein müssen als der Wandel", meinte damals der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Rolf Breuer. Und Schlingensief konterte: „In einer Welt des Wandels bin ich noch schneller.“ Zu jener Zeit ließ Volksbühnen-Chef Frank Castorf in einer „Caligula“-Inszenierung einen Schauspieler mit einem schweren Koffer auftreten: Da sind unsere Subventionen drin. Ich hab’ die Schnauze voll, ich hau’ ab.

Mittlerweile lässt sich ein gründlicher Mentalitätswandel feststellen. Getreu dem Lessing’schen Motto aus „Emilia Galotti“, dass die Kunst nach Brot gehe, verhält sich der bundesdeutsche Kulturbetrieb im Großen und Ganzen wirtschaftlich vernünftig. Passé die Zeiten, da ständig Theater- und Opernetats überzogen wurden und kulturpolitische Debatten sich ausschließlich um (mehr) Geld drehten. Interessanterweise war das auch eine Phase, als sich das deutschsprachige Theater als politische Eingreiftruppe verstand. Eine paradoxe Situation: Heute würde man über Stücke in der Brecht-Kroetz-Hochhuth-Linie gähnen. Doch man vermisst sie schmerzlich – die (so hieß das früher) kritischen Texte und Aufführungen. Was aber soll das Theater tun, was bleibt der Kunst zu sagen, wenn der schärfste und anarchistischste Kritiker des Kapitalismus der Kapitalismus selber ist?

Die Schließung des Berliner Schiller- Theaters 1993 war ein historischer Einschnitt. Und ein Exzess beider Seiten: Der elefantöse Staatsbühnenbetrieb implodierte trotz hoher Subventionen, und der Senat reagierte in panischem Sparaktionismus mit der Liquidierung des größten hauptstädtischen Theaterverbunds.

Man hat gelernt. Die subventionierten Kulturinstitutionen agieren marktbewusst, aus Museumsleitern und Intendanten sind Kulturmanager geworden. Der reine Künstlerintendant früherer Jahrzehnte gehört der Vergangenheit an. Festivals und staatliche Museen – gut zu sehen bei der „Babylon“-Schau auf der Museumsinsel – kooperieren in internationalem Maßstab und suchen Synergien. Klassik und Pop sind in ihren Marketingstrategien kaum mehr unterscheidbar.

Die Kulturpolitik wiederum hat insgesamt an Bedeutung gewonnen, vor allem auf Bundesebene. Hier tut sich ein attraktives Betätigungsfeld auf. Weil die subventionierte Kultur, um welchen Preis auch immer, keine Tabus mehr kennt. „Kultur ist kein bedürftiger Zuwendungsempfänger, sondern ein dynamischer Wirtschaftsmotor“, sagte Kulturstaatsminister Bernd Neumann am Freitag auf einer Berliner Tagung der „Kultur- und Kreativwirtschaft“. Das ist der neue Sound. So klingt die schicke Harmonie von Kunst, Ökonomie und Politik. Der mit Steuergeldern finanzierte bundesrepublikanische Kulturbetrieb hat sich wirtschaftlich diszipliniert. Im Hyperkapitalismus herrscht Turbofreiheit.

Gut acht Milliarden Euro gaben Bund, Länder und Gemeinden im Jahr 2007 für Kultur aus – weltweit kaum zu übertreffen. Auch wegen der nicht zu übersehenden Kommerzialisierung der Kultur herrscht großer Konsens: Kultur mag ein Luxus sein, aber er ist notwendig.

Denn dieser Luxus bringt Geld zurück, zumal in einer Stadt wie Berlin, die sich so stark mit Kultur identifiziert und definiert. Man spricht auch kaum noch von Subventionierung in diesem Bereich. Denn das klingt viel zu sehr nach absurden Vergünstigungen aus Brüsseler EU- Töpfen. Es setzt sich die Ansicht durch, dass der Staat in Kultur investiert. Und dass er sich das nicht nur leisten will, sondern auch leisten muss. Daher scheinen Ausgaben für Kultur in einer Finanzkrise sicher zu sein. So sicher jedenfalls wie andere staatliche Sozialleistungen. Man könnte sagen: Der Staat bürgt für die Kultur, von Bayreuth bis Berlin. Und mit dem Milliardenprogramm macht er jetzt Banken zu gigantischen Staatsbühnen.

Freilich sind jene acht Milliarden Euro für die Kultur nicht einmal zwei Prozent der gesamten staatlichen Ausgaben – schlappe 0,34 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Hier setzen die Befürchtungen ein. Was passiert in einer Rezession? Werden nicht zuerst die kleinen Budgets geschröpft und die weichen Bereiche attackiert? Rächt es sich womöglich, dass die Kulturinstitutionen gelernt haben, zu rechnen und zu sparen? Bitte mehr davon, schneidet euch selbst ab?

Der Dramatiker Georg Kaiser schrieb 1912 das Stück „Von morgens bis mitternachts“. Es ist die Geschichte eines Bankkassierers, der sich mit einer größeren Summe aus dem Staub macht und einen Tag lang den falschen Reichtum genießt. Am Ende gibt er das unterschlagene Geld den Armen und erschießt sich.

Eines Tages wird man solche Geschichten wieder auf der Bühne sehen. Denn so evaluiert und dynamisiert und konditioniert wie der haupt- und großstädtische Kulturbetrieb jetzt dasteht, wäre ihm vielleicht einmal eine handfeste Finanz- und Glaubenskrise zu gönnen.

Rüdiger Schaper

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