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Kulturszene: Berlins Einzigartigkeit ist gefährdet

Wie viel Geld braucht die Kunst? Eine Diskussion im Radialsystem.

Von Sandra Luzina

Keine Neid-Debatte bitte, forderte der Journalist Tobias Rapp vorneweg. Also keine Neuauflage der immergleichen Diskussion, in der die Empörten aus der freien Szene gegen die hoch subventionierten Leuchttürme Sturm laufen. Der „Spiegel“-Redakteur moderierte eine Podiumsdiskussion im Radialsystem zum Thema „Berlin – Aufbruch oder Abbruch?“, zu der die Koalition der Freien Szene geladen hatte. Erst im März hatten sich deren Vertreter spartenübergreifend zusammengeschlossen, um für eine neue Förderpolitik zu kämpfen. Sie fordern nicht nur eine Aufstockung des Etats für freie Projekte, sondern einen Paradigmenwechsel. Die Kulturförderung müsse sich an einer sich wandelnden künstlerischen Praxis orientieren.

Dass die Diskussion so harmonisch verlief, lag vor allem daran, dass kein Politiker den Weg ins Radialsystem V gefunden hatte. Verblüffend war es allerdings schon, dass alle Experten ins gleiche Horn stießen. Skizzierten sie doch ein horrendes Zukunftsszenario: dass Berlin, dieser einmalige „Möglichkeitsraum“, zu einer normalen, austauschbaren Stadt werden könnte. „Wenn nicht sofort etwas passiert, wird das große Experiment der Freiheit scheitern“, glaubt etwa Tobias Rapp. Und Burkhard Kieker, Geschäftsführer der Tourismusfördergesellschaft „Visit Berlin“, sieht das „Gesamtkunstwerk Berlin“ bedroht. Die Stadt habe einen „historischen Reifegrad kurz vor dem Umkippen“ erreicht.

Dass ausgerechnet der Geschäftsführer IHK Berlin Jan Eder für die freien Künstler eine Lanze brach, wunderte nur auf den ersten Blick. Die IHK hat das Positionspapier „Creative Industries“ vorgelegt, in dem die Chancen und Risiken dieser Wachstumsbranche analysiert werden. Auch für Eder ist es ein Skandal, dass nur fünf Prozent des Kulturetats in freie Projekte fließen – zumal die Gelder zur Hälfte aus dem vom Bund finanzierten Hauptstadtkulturfonds kommen. Er kritisierte zudem, wie die Stadt mit ihrem Eigentum umgehe, zum Beispiel in der Liegenschaftspolitik. Dann rief er in die Runde. „Sind wir nicht bescheuert, für 330 Millionen Euro das ICC zu sanieren?“ Begeistert aufgenommen wurde da der Vorschlag von Andreas Krüger vom Modulor Haus am Moritzplatz, einen Rat für die Räume zu gründen.

Von einer Lieblingsidee werden die Szene-Vorkämpfer sich aber wohl verabschieden müssen: dass 50 Prozent der geplanten City Tax den Freien zugute kommen soll. Denn Kieker und Eder bezweifeln, dass diese Steuer überhaupt kommen wird.

Berlin muss mit seinen kreativen Ressourcen besser umgehen – da waren sich alle einig, denn sonst werde Warschau das neue Berlin. Und obwohl keine neue Geldquellen gefunden wurden, ein Ergebnis hatte die Debatte doch: Christophe Knoch, der Sprecher der Freien und Jan Eder vom IHK haben beschlossen, künftig an einem Strang zu ziehen und möglichst bald das Gespräch mit André Schmitz und Finanzsenator Ulrich Nußbaum zu suchen. Neue Bündnisse deuten sich hier an. Die braucht es auch, um gegenzusteuern.

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