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Kultur: Kumpels von damals

Die Leute von „Schule“ sind ein paar Jahre älter geworden: Marco Petrys „Klasse von ’99“

Von Jan Schulz-Ojala

Felix war eine Weile weg, lange und doch nur einen Augenblick. Nun kommt er zurück in das Kleinstädtchen an der holländischen Grenze, wo vor dem Ortsschild schon die Aral-Tankstelle steht und das Gottesdienstschild mit den zwei Kirchen drauf in blasslila und blassgelb; und zieht wieder ein ins Jugendzimmer bei den Eltern unterm Dach. Ist irre viel passiert, seit du weg warst, sagt die Mutter, aber in ihrem Leben herrscht Stillstand, das kann Felix in ihren Augen sehen. Hier wird sich in 1000 Jahren nix verändern, sagen die Kumpels – und sind doch in drei Jahren merkwürdig anders geworden.

Ein Rückfall, diese Rückkehr, von der Marco Petry in seinem zweiten Film nach „Schule“ erzählt. Das Abi liegt ein paar Jahre zurück, Felix hat ein Studium in Aachen geschmissen und eine Ausbildung bei der Polizei angefangen, aber mit dem Ausbilder kam er nicht zurecht. Na wenn schon – wenn er doch bei der Polizei auch zu Hause weitermachen kann? Ach was, zu Hause. Das war mal. Da sind sie alle noch. Aber das ist nicht mehr. Was einem so durch den Kopf geht nachts um halb vier unterm Walkman, wenn man wach liegt, weil man wach liegen will. Nur das Nachttischlampenlicht ist, wenn wir ehrlich sind, noch so wie damals geblieben.

Ohne Aufhebens gleitet Felix in diesen Film seiner Vergangenheit, die vorbei ist, mit einem alten Zug wie aufs Abstellgleis. Und ohne Aufhebens wird er eines Tages wohl wieder aufbrechen, und ein paar Leute, die von damals, wirklich von damals, werden wieder am Bahnsteig stehen. Zwischendrin wird Felix seine Ausbildung weitergemacht und eine Wohnung, zusammen mit Sören von damals, fast gemietet haben, und eine alte Liebe namens Simona ist auch noch da, nur ist die jetzt mit Sören zusammen. Und da ist Schmidt natürlich, der dicke Schmidt, und Hausschild, und auch Hausschild hat immer noch dieses lange, fettige Haar. Der ganze Jahrgang eben: Immer gibt es die Dicken, die Dünnen, die Streber, die Faulen, die Doofen, die Machos, die Sensibelchen. Felix ist das Sensibelchen, neinnein, macht sich keiner lustig drüber, geht schon klar.

„Die Klasse von ’99“ ist nicht so lustig wie „Schule“, den Kritiker als „die deutsche Antwort auf ‚American Pie’“ bezeichneten, was wohl als Lob gemeint war. Deutsche Antworten auf amerikanische Teeniefilme können eben grundsätzlich nur besser sein. Und „Schule“ war schön, keine Frage. „Die Klasse von 99“ ist schöner – gerade, weil der Film manchmal ungelenk bleibt. Gerade weil manche Handlungslinien sich verwischen und irgendwann unsichtbar, unwichtig sind. Gerade weil er auf Action dort verzichtet, wo sie sich anbietet; und dann ist plötzlich Action anderswo, ein Ereignis. Ein Schock. So ungerecht wie unabweisbar, und endlich kann wirklich alles, wenigstens ein bisschen, anders werden.

Marco Petry ist inzwischen 28, und der Fast-Millionenerfolg mit „Schule“, gibt er zu, hat ihm Angst gemacht. Der Wiederholungszwang. Der Erfolgsdruck. Komm mal wieder runter, Marco, werden sie gesagt haben, die Stimmen in seinem Kopf nachts um halb vier, mach einfach „Schule 2“! Aber „Schule 2“ gibt es nicht. Das Schule-Sequel heißt Leben oder so ähnlich. Ältergewordensein. Freundeverlorenhaben. Eineliebezurücklassen. Oder: der alberne Versuch, sie rauszureißen, mitzunehmen anderswohin plötzlich, aber so geht das nicht. Eine Ausbildung zur Reisebürokauffrau ist eine Ausbildung zur Reisebürokauffrau, vor allem in einem Städtchen an der holländischen Grenze. Solche Wahrheiten hat der Film: schmucklos. Und einen Schluss: Schmuckloser geht’s nicht. So wie die Überlandleitungen überall, die stehen so irrsinnig fest und tragen ihren Strom sonstwohin.

In acht Berliner Kinozentren

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