zum Hauptinhalt
Die versilberten Kesselpauken von Johann Jacob Irminger, 1719, gehörten den Wettinern und bleiben nun in Staatsbesitz.

© SKD

Kunst aus Adelsbesitz für Sachsen gerettet: Sachsen entschädigt Wettiner für Enteignungen

Der Freistaat Sachsen und das Fürstenhaus der Wettiner haben sich über enteignete Kunstwerke geeinigt. Es geht um 10 000 Objekte, zu vier Fünfteln Bücher und Handschriften, die in der Sächsischen Landesbibliothek gehütet werden. Sie sind jetzt für die Öffentlichkeit gerettet.

Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Doch sie reicht bisweilen nicht aus, um ein Problem gründlich zu lösen. Zum Beispiel das Problem der Eigentumsansprüche ehemals regierender Fürstenhäuser in den deutschen Staaten. Die Nachricht, dass sich der Freistaat Sachsen mit dem einst in Dresden residierenden Haus Wettin geeinigt hat, ging im Sommerloch beinahe unter. Dabei wirft sie ein Licht auf ein ganzes Bündel ungeklärter Fragen, mit denen sich die Kulturpolitiker in Bund, Ländern und Gemeinden auseinandersetze, ohne dass ein Ende in Sicht wäre.

„Der Freistaat Sachsen und das Haus Wettin A.L. haben eine abschließende gütliche Einigung zu Restitutions- und sonstigen Ansprüchen bezüglich früherer Wettiner Gegenstände im Freistaat Sachsen erzielt“, verkündete das Kulturministerium am 17. Juli. Da ist Erleichterung deutlich herauszuhören. A.L. steht für „Albertinische Linie“, den nach der Teilung Sachsens im Jahr 1485 in der östlichen Region herrschenden Familienstamm, dem heutigen Sachsen.

Konkret ging es beim jetzigen Vertrag um 10 000 Objekte, zu vier Fünfteln Bücher und Handschriften, die in der Sächsischen Landesbibliothek gehütet werden; darunter mit der Privatbibliothek König Johanns aus dem 19. Jahrhundert ein historisch bedeutender Schatz. Das fünfte Fünftel betrifft die in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vereinten Museen. Bis auf zwei Handvoll Objekte – darunter eine königliche Kutsche – verbleiben alle Gegenstände in den öffentlichen Einrichtungen des Freistaats; das Haus Wettin erhält im Gegenzug eine Ausgleichszahlung von 4,8 Millionen Euro – und 1312 Buchdubletten. „Auf Veranlassung des Freistaates Sachsen“, erklärten die Anwälte der Wettiner sibyllinisch, komme es „zu einem Mindestmaß an Rückgaben.“ Soll heißen, dass die Wettiner gerne auch die übrigen Objekte, auf 1,2 Millionen Euro taxiert, gegen Bares abgegeben hätten.

Grundlage des Verfahrens ist das „Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz“ von 1994. Es korrigiert die pauschale Feststellung aus dem Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR von 1990, dass „die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. hoheitsrechtlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht mehr rückgängig zu machen“ seien. Diese Regelung hatte bei den in der Sowjetischen Besatzungszone enteigneten Grundbesitzern – bei weitem nicht nur Adelige! – und ihren Erben große Erbitterung hervorgerufen, seit 1994 bezieht sie sich nun allein auf Immobilien. Der zumeist in Museen überführte oder in den zu Museen umgewandelten Adelssitzen verbliebene Kunstbesitz wurde auf zwanzig Jahre vor Herausgabe geschützt. Dieser „Nießbrauch“ endet in wenigen Monaten, am 30. November. Bis dahin, so die Überlegung von 1994, sollte man sich einigen können. Ob per Rückgabe oder, wie in Sachsen, per Ausgleichszahlung.

Im Falle „vormals regierender Häuser“ wie Wettin kommen historische, längst erledigt geglaubte Versäumnisse zum Vorschein. Mit den Wettinern, deren letzter Herrscher 1918 voller Wut abgedankt hatte, war 1924 eine recht pauschale „Fürstenabfindung“ vereinbart worden, wie sie damals in allen deutschen Landen anstand. Etliche Kunst- und Kulturgüter wurden dem Privateigentum des Adelshauses zugesprochen, gingen allerdings später teils durch Kriegsverlagerung verloren oder nach 1945 als Beutekunst in die Sowjetunion. Was in Sachsen geblieben war, wurde enteignet, kam in die Museen. Manches vermischte sich mit den Mitte der fünfziger Jahre von der Sowjetunion zurückgegebenen Dresdner Schätzen.

In einer solchen Gemengelage herauszufinden, was genau wem gehört, ist eine Herkulesaufgabe. Die Provenienzforschung, die Recherche von Herkunft sowie Eigentümer- und Besitzerwechsel eines Werks, ist nicht nur hinsichtlich der NS-Raubkunst jüdischen Eigentums unerlässlich. Hartwig Fischer, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, betont denn auch, der Wettiner-Vergleich sei „ein großer Schritt auf dem Weg zu einem Museum, das sich über die Provenienzen und Eigentumsverhältnisse seiner Objekte umfassend vergewissert hat und nur das besitzt, was ihm gehört“.

Damit aus bloßem Besitz rechtmäßiges Eigentum werden kann, ist finanzielle Hilfe vonnöten. Erster Ansprechpartner der Museen und Archive ist zumeist die in Berlin ansässige Kulturstiftung der Länder, deren Kernaufgabe der Bewahrung wertvollen Kulturguts auch die Sorgen der „neuen“ Bundesländern umfasst. Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen hat Verständnis für das bisweilen ruppige Vorgehen mancher Anspruchsteller. „Länder und Kommunen hatten zwanzig Jahre Zeit“, sagt sie, „oft aber haben sich kleinere Museen nicht recht darum gekümmert.“ Wie viele Verfahren überhaupt noch anhängig sind, weiß auch Pfeiffer-Poensgen nicht: „Die Lage ist unübersichtlich, weil es keine Stelle in Deutschland gibt, die eine solche Auflistung vornimmt.“

Längst nicht alle fraglichen Objekte werden tatsächlich zurückgefordert. Bei kunstgewerblichen Alltagsgegenständen gibt es oft weder Forderung noch Zuordnung. Ein exakt zuzuordnendes Beispiel hingegen ist die „Sammlung Christian Ludwig Herzog zu Mecklenburg“, bei der man sich kürzlich ebenfalls einigte. Das mit Hinblick auf die Unterbringung der Sammlung renovierte Schloss Ludwigslust – Eigentum des Landes Mecklenburg-Vorpommern – wird die 258 Stücke aufnehmen und ab Dezember zugänglich machen. Die nach 1945 enteigneten Schätze waren für 9,5 Millionen Euro aus Mitteln der Kulturstaatsministerin, des Landes und der Kulturstiftung der Länder die Sammlung erworben worden.

Im Land Thüringen gelang die vertragliche Einigung mit den verschiedenen Familien ehemals regierender Häuser vergleichsweise leicht. Der gewichtigste Vorgang war die Einigung mit Prinz Michael, aus dem bis 1918 in Weimar regierenden Haus Sachsen-Weimar-Eisenach im Jahr 2003; genauer gesagt mit Prinzessin Leonie, die als Alleinerbin des früheren Erbgroßherzogs vor dem Verwaltungsgericht klagte, vertreten durch ihre Eltern. Der großherzoglichen Familie gehörte unstrittig der schriftliche Nachlass von Goethe, den dessen Enkel Walther der Großherzogin Sophie von Oranien zum persönlichen Eigentum vermacht hatte. Die Fürstin finanzierte sodann aus eigener Schatulle die berühmte „Sophien-Ausgabe“ von Goethes Werken sowie den Bau des Goethe-Schiller-Archivs.

Der Nachlass war der Großherzogin unter der Bedingung überlassen worden, dass die Manuskripte für immer in Weimar verbleiben. Die Adelsfamilie hatte sich bis zu ihrer Vertreibung durch die neugegründete DDR 1949 sogar an den Betriebskosten des Goethe-Schiller-Archivs beteiligt. Nach Einholung umfangreicher Rechtsgutachten kam schließlich die gütliche Einigung mit dem Land Thüringen als Träger der Klassik-Stiftung zustande. Das Land zahltes für die Übereignung des Goethe-Nachlasses und weiterer Objekte des Archivs sowie der ebenfalls im Privateigentum der Herzogsfamilie befindlichen Objekte der Wartburg die eher symbolische Summe von 15,5 Millionen Euro – von denen allerdings, worüber Stiftungs-Präsident Hellmut Seemann noch heute den Kopf schüttelt, vier Millionen seitens der Klassik-Stiftung selbst durch Verkäufe von Kunstwerken aufgebracht werden mussten.

Noch ist der erstrebte Rechtsfrieden nicht überall hergestellt. Aber zumindest ist er in Sicht, gerade noch vor dem Ablauf der 20-jährigen Schonfrist.

Zur Startseite