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Kunst: Die Geheimnisse des Papierquälers

Schenkungsglück: Aus dem streng gehüteten Nachlass des Malers Hans Hartung erhält das Berliner Kupferstichkabinett 100 Blätter.

Die Pinsel aus Reisig stehen stramm, zwei Staffeleien tragen schwer an ihren Leinwänden: Alles scheint auf Hans Hartung zu warten, als habe der Maler sein Atelier nur kurz verlassen. Dabei ist Hartung schon 1989 gestorben.

Seit zwei Jahrzehnten bewahrt die Fondation Hartung und Bergmann in Antibes das Erbe des gebürtigen Leipzigers. Ende der sechziger Jahren entschied er sich gemeinsam mit seiner Frau, der Malerin Anna-Eva Bergmann, für einen Umzug nach Südfrankreich. Auf einem großen Grundstück am Hang ließen sie sich ein Haus samt Ateliers nach ihren Vorstellungen errichten. Weiße Würfel zwischen schwarzen, knorrigen Olivenbäumen: Das scheint so gar nicht zu Hartungs abstraktem Stil zu passen. Und doch. Wer sich seine Kompositionen länger anschaut, der entdeckt bald Parallelen. Etwa im Wechsel von hellen und dunklen Zonen; in der linearen Strenge, die sich mit wilden Krakeln paart. Oder den Neonfarben mancher Bildgründe, in denen er das stechend klare Licht Südfrankreichs eingefangen hat.

Im Berliner Kupferstichkabinett kann man sich einen Eindruck davon machen. „Vom Esprit der Gesten. Hans Hartung. Das Informel und die Folgen“ heißt die aktuelle Ausstellung mit über 100 Blättern – Radierungen, Lithografien und ein paar jener Holzschnitte aus den frühen siebziger Jahren, die rar im Werk des Künstlers sind.

Der Anlass der Schau vor zitronengelben Wänden ist die Schenkung dieser Blätter an das Kupferstichkabinett. Die Fondation, die sonst streng über den Nachlass wacht und als ein – der Öffentlichkeit unzugängliches – Atelier-Museum jedes Arbeitsutensil von damals zur Kostbarkeit erklärt, gibt Berlin so tiefe Einsicht in das Denken des Künstlers. Dass Hartung in seinen Gemälden „letztlich das Gleiche gesucht“ habe wie bei der Arbeit an seinen Grafiken – dieses Statement stammt von ihm selbst.

Wie stark die Gemälde mit ihren Pinselschwüngen, den schwarzen Zeichen und Knäueln von Strichen mit den Papierarbeiten verklammert sind, lässt sich sowohl in der Ausstellung als auch im Internet studieren. Seit kurzem sind sie in einer Onlinedatenbank der Fondation einzusehen. Hartungs ehemalige Assistenten haben in der Vergangenheit in Antibes nicht bloß alle Bilder inventarisiert, sondern auch jedes verfügbare Dokument digitalisiert. Auch das ist ein Grund, ihm einmal mehr die Aufmerksamkeit zu widmen.

Viel zu lange galt der Maler als Vertreter einer klassischen Richtung, die längst musealisiert ist. Und das Informel als deutscher Sonderweg des abstrakten Expressionismus nach 1945. Seine Protagonisten, hieß es, hätten sich der konkreten Welt und damit jeder gesellschaftlichen Relevanz entzogen, um selbstgenügsam dem Ästhetischen zu huldigen. Das zielte auf Karl Otto Götz, K. R. H. Sonderborg, Emil Schumacher und eben Hartung. Dabei öffneten sie alle der Kunst neue Räume und erweiterten die Ausdrucksmöglichkeiten durch gestische Experimente. Wie nah das Informel der fünfziger Jahre an der internationalen Kunst war, dokumentiert die Ausstellung vergleichend: indem sie die Schenkung mit Blättern von Wols, Maria Lassnig, Salvator Dali oder Roy Lichtenstein kombiniert.

Der meiste Raum aber gehört Hartung. Seine Blätter bündeln Linien zu wildem Dickicht. Sie lassen Walzen in breiter Spur ihre Bahnen ziehen und kratzen abstrakte Motive aus der Farbe, so dass die Motive wie Negative aussehen. „Letztlich liebe ich es ja zu schneiden, zu kratzen, ein Material zu misshandeln“, stellte der Künstler fest. Und arbeitete wie ein Besessener, auch als er – eine Spätfolge seiner Kriegsverletzung – bloß noch im Rollstuhl malen konnte und sich zuletzt von seinen Assistenten vor die Leinwand schieben ließ. Die Situation bewältigte Hartung mithilfe ungewöhnlicher Werkzeuge: Farbspritzpistolen und lange Pinsel, an deren Enden er Reisig befestigte, um mit großem Schwung über die Leinwand zu fegen.

Erst nach seinem Tod stellte man fest, dass ein Teil der frühen Gemälde kleine Vorbilder hatte, die Hartung vor allen verbarg. Sie waren die echten spontanen Kompositionen, die er anschließend geduldig bis ins Detail vergrößerte. Ganz anders die Grafik: Sie ist das sichtbare Ergebnis rascher Entscheidungen und schneller Gesten auf den Platten, von denen anschließend kleine Auflagen in hoher Qualität gedruckt wurden.

Einen Vergleich mit Hartungs großen Gemälden kann man parallel zur Ausstellung in der Galerie Fahnemann anstellen. Sie zeigt, neben mehreren typischen Bildern, diverse Papierarbeiten und Kartons von wenigen Zentimetern Größe, die ebenfalls erst nach Hartungs Tod in den Schubladen auftauchten. Auch diese Tafeln dienten als Ideenspender, was Hartungs Gemälde im Nachhinein wie frühe Konzeptkunst wirken lässt.

Das Bindeglied zwischen den beiden Ausstellungsorten ist Clemens Fahnemann. Er hat schon vor einem Jahrzehnt erste Kontakte zur Fondation in Antibes aufgenommen, vertritt den Künstler seit dieser Zeit und hat, anlässlich dieses Jubiläums, die Schenkung an Berlins Kupferstichkabinett eingefädelt.

Kupferstichkabinett, Kulturforum am Matthäikirchplatz, bis 10.10., Di/Mi/Fr 10-18 Uhr, Do 10-22 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr; Galerie Fahnemann, Fasanenstr. 61, bis 4.9., Di-Fr 13-18, Sa 12-16 Uhr

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