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© imago/Seeliger

Kunst im "Dritten Reich": Die verbrannten Maler

Neue Fakten für den Restitutionsstreit: Wie die Nationalsozialisten mit Meisterwerken der Moderne verfuhren.

Das Bild muss wie ein Schock gewirkt haben: Man kann auf ihm dem Tod buchstäblich bei der Arbeit zuschauen. Der Boden ist übersät mit zerschossenen Köpfen und zerfetzten Gliedmaßen. Am oberen Bildrand hängt ein Soldat aufgespießt in Armierungseisen. Würmer kriechen aus den Leichen, die Erde verleibt sich die Toten ein. Das monumentale Gemälde „Schützengraben“, an dem Otto Dix drei Jahre lang gearbeitet hatte, produzierte einen Skandal, als es 1923 im Kölner Wallraf-Richartz-Museum gezeigt wurde. Es musste hinter einem Vorhang verborgen werden, die Kritiker sahen in ihm „ein Stück Tiefsee, wie ein Aquarium“, und nannten es die „grausamste Darstellung des Todes, die wohl jemals gemalt worden ist“.

Später gelangte der „Schützengraben“ ins Dresdner Stadtmuseum, dort beschlagnahmten ihn die Nationalsozialisten, um ihn 1937 in der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ zu präsentieren. Die Spuren des Bildes verlieren sich 1940. „Welchen Stellenwert hätte das Gemälde heute?“, fragt nun die Kunsthistorikerin Kira van Lil. „Ob es neben Picassos ,Guernica‘ von 1937 als exemplarisches Antikriegsbild bestehen könnte?“

Kontrafaktische Geschichtsschreibung, so nennt man derlei Gedankenspiele, die durchaus ihren Reiz haben können: Was wäre, wenn? Doch in der aktuellen Debatte um das Schicksal von Kunstwerken im Nationalsozialismus geht es vor allem um Fakten. Geführt wird die Debatte, seitdem das Berliner Brücke-Museum im Sommer 2006 Ernst Ludwig Kirchners „Straßenszene“ an die Erben der einstigen jüdischen Besitzer zurückgegeben hat. Seither reißen die Schlagzeilen um neue Restitutionsfälle nicht mehr ab.

Zuletzt beharrte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz darauf, den „Welfenschatz“ im Berliner Kunstgewerbemuseum behalten zu wollen. In München fordern die Erben der Künstlerwitwe Sophie Lissitzky-Küppers Paul Klees „Sumpflegende“ aus dem Lenbach-Haus zurück, und in Stockholm kämpft der Holocaust-Überlebende Rob H. Heimer um Emil Noldes „Blumengarten“. Am Freitag treffen sich auf Einladung der tschechischen Regierung Delegationen aus 47 Staaten zu einer Konferenz in Prag, um zehn Jahre nach dem Abkommen von Washington eine Zwischenbilanz zu ziehen über den Umgang mit der NS-Raubkunst.

Der Streit um die Restitutionsfälle wird beherrscht von Gerüchten, Halbwahrheiten und Polemik. Zur Versachlichung beitragen könnte das gerade erschienene Buch „Das verfemte Meisterwerk“, aus dem die Zitate zum „Schützengraben“ stammen. Zwei Dutzend Autoren, eingeladen von der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität Berlin, untersuchen das Schicksal exemplarischer moderner Kunstwerke, beschreiben ihre Rezeption vor, im, nach dem Dritten Reich und schildern die teilweise dramatischen Provenienzgeschichten. Museen wurden nach 1933 für viele Gemälde, Skulpturen und Grafiken zur Falle. Denn dort griffen die NS-Agitatoren um den Kulturfunktionär Adolf Ziegler zu, als es galt, in der „Entartete Kunst“-Ausstellung die „krankhaften Phantasien geisteskranker Nichtskönner“ an den Pranger zu stellen.

Rund 19 500 Kunstwerke wurden für die Feme-Schau in den Münchner Hofgartenarkaden beschlagnahmt, die mehr als zwei Millionen Besucher fand und anschließend noch bis 1941 durch andere Städte tourte. Goebbels hoffte, „noch Geld mit dem Mist zu verdienen“, und gab den Anstoß zur Gründung einer „Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst“. Die Stücke gelangten in ein Depot im Berliner Schloss Schönhausen, bei einer Auktion in Luzern wurden Meisterwerke wie van Goghs „Selbstbildnis“ von 1888 oder Picassos „Harlekine“ zum Billigpreis verhökert.

Der „nichtverwertbare“ Rest – etwa 5000 Arbeiten – ist verbrannt worden. Als verschollen gilt heute neben dem „Schützengraben“ von Otto Dix auch Franz Marcs 1913 entstandener „Turm der blauen Pferde“. Das expressionistische Paradestück, berühmt bereits in der Weimarer Republik, war nach wenigen Tagen wegen Protesten wieder aus der „Entartete Kunst“- Ausstellung entfernt worden. Göring, ein raffgieriger Sammler, ließ es für sich beiseiteschaffen. Ein Zeuge will den „Turm der blauen Pferde“ noch 1949 im Treppenhaus des Zehlendorfer „Hauses der Jugend“ gesehen haben. Das Gemälde wurde in Litauen und Südamerika vermutet, ein Hellseher beschied: „Der Schöpfer ist tot, das Bild ist auch tot.“

Erich Heckels Gemälde „Barbierstube“ aus dem Jahr 1912 wurde gleich zweimal enteignet: von den Nazis und den Kommunisten in der DDR. 1935 hing es in einer „Schreckenskammer“ des Städtischen Kunstmuseums Halle, wo es zusammen mit anderen avantgardistischen Werken für ein zusätzliches Eintrittsgeld und nach Eintrag der Adresse in ein Besucherbuch besichtigt werden konnte. Ein Besucher war der Tourist Samuel Beckett, der in seinem Tagebuch die schwungvollen Bewegungen des Friseurs auf dem Gemälde lobte. Die „Barbierstube“ überstand die Münchner Ausstellung und war erneut in Halle zu sehen, bis sie 1949 in die Kampagne gegen den „Formalismus“ geriet. Das Bild, eine Leihgabe des Kunsthändlers Ferdinand Möller, wurde beschlagnahmt und abgehängt.

Zu Beginn der NS-Diktatur hatten sich die Expressionisten Hoffnungen gemacht, in den Rang einer „nordisch-deutschen“ Staatskunst erhoben zu werden. Goebbels schien sie zu schätzen, und der NS- Studentenbund feierte Emil Nolde – er war Parteimitglied –, Ernst Barlach und die Maler der „Brücke“ als vorbildliche Künstler. Entschieden wurde der Richtungsstreit vom ehemaligen Postkartenmaler Hitler, der einen spießig-glatten Neoklassizismus bevorzugte und die Expressionisten, Dadaisten und Neusachlichen als „Kunstzwerge, Kunstbetrüger, Kunststotterer“ verspottete. Selbst Max Beckmann betonte nach 1933, „unpolitisch“ zu sein, um  keine Türen hinter sich zuzuschlagen. Seine „Kreuzabnahme“, die bei der „Entartete Kunst“-Ausstellung für die „freche Verhöhnung des Gotteslebens“ herhalten musste, konnte im letzten Moment vor der Verbrennung gerettet werden. Heute gehört sie dem New Yorker Museum of Modern Art.

Strahlende Helden gibt es wenige in diesem Drama, vorherrschende Farbe ist Grau in all seinen Schattierungen. Von Georg Schrimpf, dessen neusachliche Malerei auch als „Neue Deutsche Romantik“ etikettiert wurde, landete ein „Mädchen vor dem Spiegel“ in der Münchner Feme-Schau. Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß war empört. Er hatte gerade erst eine Serie von Landschaftsbildern für seinen Berliner Amtssitz bei dem Kunstprofessor in Auftrag gegeben.

Die allertraurigste Geschichte ist die von Otto Freundlich. Seine Skulptur „Der neue Mensch“, 1912 entstanden, ist bis heute eine tragische Berühmtheit, weil sie auf dem Cover des „Entartete Kunst“-Ausstellungsführers abgebildet war. Freundlich, ein früher Abstrakter und in Paris zeitweilig Picassos Nachbar, träumte von einem „kosmischen Kommunismus“. Schon in den frühen zwanziger Jahren wurde er als „jüdischer Bolschewist“ attackiert. Der Künstler starb 1943 in der Gaskammer von Majdanek. Seine Skulptur wurde höchstwahrscheinlich zerstört.

Uwe Fleckner (Hg.): Das verfemte Meisterwerk. Schicksalswege moderner Kunst im „Dritten Reich“, Akademie Verlag, Berlin 2009, 612 S., 59,80 €.

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