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"Bewegung Nr. 9" - ein Bild von Zhang Pengye und ein Beispiel für populäre chinesische Gegenwartskunst.

© C. Tramitz

Die Kunst in China: Chinas Künstler - mit der Macht arrangiert

China boomt - auch auf dem Kunstmarkt. Seine Protagonisten, die Künstler, profitieren davon und genießen. Doch das hat einen hohen Preis.

Zhang Jianqiang lebt hinter hohen Mauern. Zu seinem Haus öffnet sich ein schweres Eisentor. Im hinteren Eck des verwahrlosten Gartens verbeißt sich ein Hund in den Gitterstäben seines Zwingers. Zhang führt seine Besucher über den Hof, an dessen Ende ein zerfleddertes Sofa steht. „Eine besondere Couch“, sagt er, „sie gehörte einst Fang Lijun, kennen Sie sicher, ist neben Ai Weiwei einer der berühmtesten Künstler Chinas. Jetzt gehört sie dem Hund.“ Zhang bittet in sein Atelier. Es ist kalt dort. Die offizielle Heizperiode Beijings hat noch nicht begonnen, trotz der nur zehn Grad draußen. Ein Tisch, ein paar Stühle und ein kleines Sideboard sind die einzigen Möbelstücke im Raum.

Zhang serviert Tee. „Ich mache mir nichts aus Wohnen“, sagt er. „Wer weiß, wie lange ich noch hier bin. Wer weiß, wie es weitergeht, mit China, mit uns.“

Unsicherheit hat ihn sein Leben lang begleitet. Zhang Jianqiang ist Künstler. Damals, in den Zeiten der Kulturrevolution, als Zhang klein war, herrschten Angst, Not und Misstrauen. In den post-kulturrevolutionären 80er Jahren gehörte der heute 44-Jährige zu den unkonventionellen jungen Leuten, die als erste Freischaffende des Landes Unabhängigkeitsbestreben und Individualität künstlerisch auszuleben versuchten. Deren Leben bestand aus Protest, Verfolgung, Vertreibung, Neuanfang an einem anderen Ort. Bis auch dort die Bagger kamen und die Wirkungsorte unbequemer Künstler auf Geheiß der Regierung erneut niederrissen.

Zerschlagung des Aufstands am Platz des Himmlischen Friedens 1989 war eine Zäsur

Das hat Wirkung gezeigt. Vor der Zerschlagung des Aufstands am Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 waren die jungen Menschen noch Idealisten gewesen. Mutig und voller Hoffnung traten sie für ein neues, demokratisches und offenes China ein.

Der Traum vom Künstlerdasein. Das war ein Traum, von dem man wusste, dass beim Aufwachen Brotlosigkeit und Armut stehen würden. So manch einer der jungen Avantgardisten kämpfte täglich gegen das Verhungern an. Und, auch das war bewusst in diesem Traum, wenn er ausgeträumt ist, konnte auch die politische Ächtung folgen. Aber das war auch die Zeit, in der sich im Westen das Bild eines chinesischen Künstlers prägte. Demnach gab es nahezu ein Synonym für einen Künstler in China: Dissident.

Heute, gut 30 Jahre später, mündet der Traum für jene, die ihn träumen, woanders. Weniger im Hoffen auf Überleben, auf Individualität oder auf Änderungen im Land. Er endet im Luxus.

Künstlerdorf Songzhuang

Ein Besuch bei 40 Künstlern in Songzhuang, dem größten Künstlerdorf Chinas, ist in Anbetracht eines so riesigen Landes möglicherweise nicht repräsentativ für die Gesamtheit der chinesischen Kunstszene. Aber er zeigt, dass Künstler in China nicht automatisch Staatsgegner und Freidenker sind. Letztere bilden eher die Minderheit, angeführt von Ai Weiwei, der im April im Berliner Gropiusbau eine wohl wieder im Westen viel beachtete Ausstellung eröffnet. Die Mehrheit, die Talent und Ehrgeiz und Glück hatten, zudem das Geschick, günstige Seilschaften zu knüpfen, die sind den Schulterschluss mit dem Staat eingegangen.

Zhang gehört nicht dazu, er hat es leidlich auch ohne Opportunismus geschafft. Aber zu welchem Preis. Er lebt hier, im besonders begehrten Künstlerviertel Songzhuangs, das ja. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft stehen noch größere Häuser hinter noch höheren Mauern. Dort leben all die anderen Künstler seiner Generation, die, einst bitterarm, nun zu Chinas Reichen zählen. Yue Minjun, unter anderem, Fang Lijun, Yan Shaobin. Zhang kennt sie alle, einst waren sie eng miteinander befreundet, trafen sich viel, redeten und tranken miteinander. Heute hat kaum einer mehr Zeit.

Die Kunst, von der Zhang lebt, besteht aus Landschaftsbildern, Porträts, Frauenkörper. Sie ist schön und ästhetisch, aber wenig spektakulär. Und weh tut sie auch niemandem. Die Kunst, die er machen möchte, in der all seine Leidenschaft steckt, steht in seinem Atelier herum, ihre Botschaften, ihre Aufrufe verkümmern, ungehört, ungesehen, nicht beachtet. Die Behörden haben die öffentliche Ausstellung zensiert.

Da sind unter anderem die Bücher, die sich auf dem Boden stapeln, jedes von ihnen ein eigenes Kunstwerk. Lesen lassen sie sich nicht, sie sind aus Bronze, für die Ewigkeit geschaffen. Es sind Nachbildungen verbotener Bücher, solcher, in denen die vielen Toten der Kulturrevolution beklagt werden, und andere Missstände im Land. Leben aber, und das ist der Preis fürs Überleben und für ein wenig Freiheit, leben tut Zhang von Gefälligkeitskunst.

Immerhin ist er einer der wenigen arrivierten Künstler, die mit ihren Werken offen zum Protest stehen und solche Werke noch produzieren. „Die meisten erfolgreichen Künstler meiner Generation“, sagt Zhang, „sind inzwischen Geschäftsleute, denen es nur noch ums Geld geht. Sie produzieren das, was Galeristen und Sammlern gefällt. Und der Regierung, der vor allem!“

Goldgräberstimmung auf chinesischem Kunstmarkt

Der wachsende Wohlstand Chinas hat die Kunstszene erfasst. Auf dem chinesischen Kunstmarkt herrscht Goldgräberstimmung. In kaum einem anderen Land haben ausgewählte Künstler, vor allem der 50er und 60er Generation, einen derart rasanten gesellschaftlichen Aufstieg geschafft wie im Reich der Mitte. Sie sind Chinas Tellerwäscher, die zu Millionären geworden sind. Sie leben wie Götter in Frankreich, sie werden vergöttert wie Popstars. Ehemals bettelarm haben sie sich auf die sonnige Seite des wachsenden Grabens, der sich zwischen Arm und Reich auftut, gemalt. „Gewirtschaftet“, wie Zhang sagt.

Ist es verwerflich, dass diese Künstler nicht nur im Luxus leben, sondern ihn zelebrieren? Sie tragen das offen zur Schau. Sie logieren hier in Songzhuang am Rande Beijings in teuren Villenvierteln, wie man sie aus Beverly-Hills-Filmen kennt. Ihre Nachbarn sind Spekulanten, Militärangehörige, Politiker. Die Häuser gleichen Festungen, sind mit Kameras und Wachhunden gesichert.

Künstler schwelgen teilweise im Luxus

Vereinzelt haben sie üppige Gärten anlegen lassen, die trotz Wasserknappheit, die hier an den Ausläufern der Wüste Gobi herrscht, an Palastgärten erinnern. Teiche, über die kunstvolle Brücken führen und in denen wertvolle Karpfen schwimmen, drum herum blühende Vegetation, mittendrin ein kunstvoll geschnitzter Pavillon. Die Ateliers, in denen sie arbeiten, haben Ausmaße, dass die dort ausgestellten Bilder, mögen sie auch noch so groß sein, wie Briefmarken anmuten. Auf den Grundstücken ist der Fuhrpark zu sehen, er besteht aus Luxuskarossen. Man spielt Golf und schmückt sich mit einem Weinkeller, in dem ausgelesene Weine lagern, vorzugsweise aus Frankreich. Die Etiketten auf den Flaschen sind Sonderdrucke, versehen mit den eigenen Kunstwerken. Oder man sammelt wertvolle Antiquitäten, wertvolle Jade, wertvolle Barockmöbel aus Europa. Man kann sagen, dass Chinas Kunstszene der teuren Massenproduktion neureich geworden ist.

Songzhuan so heißt Chinas größtes Künstlerdorf in einem Vorort von Peiking - dort findet auch regelmäß8g das Songzhuang-Kunstfestival statt.
Songzhuan so heißt Chinas größtes Künstlerdorf in einem Vorort von Peiking - dort findet auch regelmäß8g das Songzhuang-Kunstfestival statt.

© dpa

Für die so wichtigen Seilschaften unter den Künstlern sorgen gegenseitige Einladungen. Da wird dann Essen aufgetischt, selbstdarstellerisch und verschwenderisch mit edlen Schnäpsen, kostbarem Tee, 300 Euro das Kilo. Kubanische Zigarren als ein Zwischendrin sind selbstverständlich. Gelegentlich macht auch ein Lebenselexier die Männerrunde. Hochprozentiges, in das Schlangen, Heuschrecken, Käfer, Frösche, allerlei Knochen und Haare eingelegt sind. Für noch mehr Potenz, Macht, Gesundheit und Kraft.

Regierung gibt Geld und bestimmt über Ausstellungen

Die chinesischen Machtinhaber haben die wirtschaftliche Kraft und das internationale Aufsehen moderner chinesischer Kunst erkannt, puschen den Boom, protegieren und finanzieren gefällige, in ihrer Botschaft nicht allzu provozierende Kunst. Dabei wandelte sich die Regierung im Lauf der letzten 15 Jahre zum Bock, der als Gärtner bestimmt, wer und was in der Kunstszene wächst und gedeiht. „Wer zahlt, schafft an“, sagt eine Museumsdirektorin, deren Museum von der Regierung finanziert wird, die deswegen namentlich auch nicht genannt werden möchte. „Die Regierung gibt Geld, bestimmt aber auch, wer ausstellen darf und wer nicht.“ Von ganz oben beeinflusst wird auch, was und wie in den Hochschulen gelehrt wird. „Wenn man einen zu eigenwilligen Stil hat, von diesem nicht ablassen will, schafft man nicht einmal die Aufnahmeprüfung“, sagt Zhang. „So wie ich.“

Wang Qinsong, dessen Bilder vergangenes Jahr im chinesischen Pavillon der Biennale in Venedig zu sehen waren, meint, die Regierung züchte seit mehr als zehn Jahren ihre eigenen Künstler heran. Dabei verfolge sie die Strategie: Vergünstigungen und Protektion bei Gefallen, Totschweigen bei Nichtbeachtung ungeschriebener Regeln, Zensur, wenn Grenzen deutlich überschritten wurden.

Künstler arrangieren sich mit Machthabern

Die Kunst in der Kunst ist, so die Künstler, die Grenzen zu erkennen, was erlaubt ist und was nicht. Yue Minjun bestätigt dieses Agreement, betont gleichzeitig, Künstler benötigten für die Schaffensphase Stabilität, andernfalls könnten sie sich nicht entfalten. Allgemeiner Grundtenor ist: Was zählt, ist die Kunst, Individualität und die eigene, subjektive Geschichte. Und in der hatte man genug gelitten.

Doch wo bleibt der einstige Idealismus? Wo sind die Botschaften geblieben? Wie erleben sich die Künstler in ihrem Luxus, während die meisten Chinesen dort sind, wo die nun Reichen selbst einst gewesen waren? Yue Minjun sagt, jeder Chinese, auch er, trage Schmerz in sich. Weil die Vergangenheit hart war. Weil die Armut in diesem Land groß ist. Weil sich nichts wirklich ändert, nach wie vor Unterdrückung und Kontrolle herrschen, wie der rigide Umgang mit dem Dissidenten Ai Weiwei zeigt. Und jüngst die Verhaftung des Bürgerrechtlers Xu Zhiyong.

Versteckte Botschaften

Wirklich offen über solche Themen reden geschweige denn ihre Kunst als unmissverständlichen Protest proklamieren, wollen die meisten Künstler nicht. Sie sagen, es liege im Auge des Betrachters, alles zu sehen, oder nichts.

„Es gibt bei den Künstlern oft versteckte Botschaften, die von den Behörden toleriert oder manchmal auch gar nicht erst erkannt werden“, sagt der Münchener Galerist Michael Radowitz, ein ausgewiesener Kenner der Szene.

So ist in vielen Ateliers der Tod gegenwärtig. Totenköpfe, die über ein altes Fischerboot ausgeschüttet wurden, zerknüllte Menschenporträts, auf eine Kaisermumie geklebt, ein Berg Kartoffeln, der bei genauer Betrachtung aus Totenköpfen besteht. Knochen als Bilderrahmen, Werkzeuge in Gebeine und Totenschädel eingearbeitet. Der Tod, er könnte an all jene Menschen erinnern, die als Leichen den Weg pflasterten, über die die Kulturevolution getrampelt ist. Er könnte auch das Ende des zynischen Realismus bedeuten, die Aufgabe jeglicher Hoffnung mehr auf eine freiheitliche, offene, andere Gesellschaft.

Tiere sind auch beliebte Symbolträger. Yongbo Zhaos Kröten etwa, fett, behäbig, hässlich, an denen sich kleine Menschen verzweifelt zu schaffen machen. Sie erinnern an die Mächtigen, Skrupellosen, an Schmarotzer. Die Künstlerin Qing Qing könnte in ihren Miniaturinstallationen auf bedrohliches männliches Machtgebaren hingewiesen haben wollen, mit Penissen, die sie über den Platz des Himmlischen Friedens drapiert hat. Wu Gaozhong lenkt, wie er sagt, die Wut und Ohnmachtsgefühle und Aggressionen gegen sich. Als Performancekünstler ließ er sich nackt in den blutigen Kadaver eines Wasserbüffels einnähen. „Zurück in die Geborgenheit des Mutterleibs, nur dort lässt es sich wunderschön leben.“ Oder er ritzte sich die Adern auf:: „Wenn die Gesellschaft unterdrückt wird, hat man das Gefühl, platzen zu müssen“, sagt er.

Kunst, so sagen diese Künstler, könne durchaus politische Botschaften haben. Man müsse dabei aber nicht so laut und provokativ auftreten wie Ai Weiwei. Derartiges Verhalten schade der Kunst. Gerade weil der Künstler darauf fokussiert sei, sich politisch und nicht künstlerisch zu äußern. Dass dergleichen durchaus zusammengeht, ist nicht mehr die Position dieser Szene der Konterdissidenten im 21. Jahrhundert.

Überhaupt, über Chinas berühmtesten Dissidenten wird ungern gesprochen. Wenn, dann überwiegend kritisch. Jene, die ihn seit langem kennen, meinen, früh schon habe es Ai Weiwei genossen, im Mittelpunkt zu stehen. Manche sind der Ansicht, mit seinem politischen Wirbel würde der Dissident seine künstlerischen Defizite kompensieren. Man weiß nicht, ob sie Ai Weiwei tatsächlich künstlerische Defizite unterstellen, oder ob sie lediglich aufs Trittbrett der offiziellen Sprachregelung springen.

Ai Weiwei - Chinas berühmtester Künstler
Ai Weiwei - Chinas berühmtester Künstler

© dpa

„Ein Teil der Künstler verspürt eine große Scheu, sich mit Ai Weiwei zu solidarisieren“, sagt Michael Radowitz. „Das würde dem Verkauf schaden. Und es liegt nun mal in der Natur des Kunstgeschehens, dass Künstler verkaufen wollen. Auch wenn sie sich dabei den ungeschriebenen Vereinbarungen zwischen den Herrschenden und Künstlern beugen, die besagen: Ihr habt Freiheit, ihr könnt zu Geld kommen, ihr könnt euren Ruhm und den Chinas mehren, ihr sollt ordentlich versteuern. Aber bitte keine offenen politischen Äußerungen, keine extreme Gewalt und keine Pornografie.“

Zhang hingegen bekennt sich nicht nur freimütig zu seinem politischen Protest, er sympathisiert auch offen mit Ai Weiwei. „Mein großes Vorbild“, sagt er. „Nur finde ich im Gegensatz zu ihm kein Gehör. Ich werde totgeschwiegen, besonders auf dem internationalen Markt.“

Nachdenklich lässt er seinen Blick durchs Atelier schweifen, zeigt auf die verbotenen Bücher der Ewigkeit, zeigt auf die stummen Zeugen seines Protests, die an den Wänden hängen. Es sind riesige Bilder, auf denen Zhang die Kuverts unzähliger Briefe gemalt hat, Beschwerdebriefe chinesischer Bürger an die Regierung. Die Briefe, erzählt er, habe ihm ein Regierungsmitarbeiter zukommen lassen. „Sie verrotteten ungeöffnet in einer Kiste.“ Ein ungehörter Dissident inmitten ungehörter Stimmen.

„Aber ich mache weiter“, sagt Zhang und holt ein kleines Gemälde vom Sideboard. Zu sehen ist Zhang, der auf seinem Sarg steht. „Weiter bis zu meinem Tod.“ Die Dissidenten Chinas sind es fast schon.

Christiane Tramitz

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