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Kultur: Kunst ist überall

Dem Alleskönner Urs Jaeggi zum 80.

Soziologieprofessor, Schriftsteller, bildender Künstler: Der Schweizer Urs Jaeggi ist ein Multitalent. Geboren 1931 in Solothurn, war für den Schüler Zeichnen das Schönste. Sechs Jahre lang besuchte er einen wöchentlichen Kunstkurs, malte die Natur und aus der Fantasie. Maler oder Architekt wollte er werden. Doch seine prügelnden Lehrer hatten es auf ihn, den Linkshänder, abgesehen. Als er zwölf ist, stirbt sein Vater, ein sozialdemokratischer Politiker und Notar. Und aus dem angehenden Künstler wird ein Bankkaufmann. Später studiert er Volkswirtschaftslehre und Soziologie in Genf, Bern und Berlin.

1968 ist Jaeggi Professor an der Ruhr-Universität Bochum, wo er großen Einfluss auf die Studentenbewegung nimmt. Er trifft Rudi Dutschke, kritisiert den Vietnamkrieg. Der Text seiner Antrittsvorlesung wird unter dem Titel „Macht und Herrschaft in der Bundesrepublik“ zum Bestseller, Auflage: 250 000. Soziologie ist plötzlich en vogue. Jaeggi leistet Großes auf dem Gebiet der Politischen Soziologie, publiziert unter anderem über soziale Macht, Ungleichheit, Arbeit, Kapital. Nach 20 Jahren als Lehrstuhlinhaber an der Freien Universität Berlin kehrt er der Wissenschaft den Rücken und widmet sich ganz der Schriftstellerei.

Schon während der Banklehre verfasste Jaeggi Gedichte und Prosastücke und hält sich als Student mit Kunst- und Theaterkritiken über Wasser. Während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bleibt er dem belletristischen Schreiben treu, etabliert sich als Schweizer Stimme der mittleren Nachkriegsgeneration. Sein erster Erzählband „Die Wohltaten des Mondes“ erscheint 1963, ein Jahr später bekommt er den Literaturpreis der Stadt Bern. Für seinen Roman „Grundrisse“ wird er von der Literaturkritik als Nachfolger von Wolfgang Koeppen, Günter Grass und anderen Gesellschaftsromanciers gefeiert. 1981 folgt der Ingeborg-Bachmann-Preis. In seinen Essays und experimentellen Werken wie „Brandeis“ (1978) und „Soulthorn“ (1990) setzt er sich über Gattungsgrenzen hinweg, führt Theorie und Narratives zusammen, verknüpft Faktisches und Fiktion. Sein jüngster Roman „Eudora“ erschien im Februar 2010. Er handelt von Fred, einem renommierten Chemiker, dem bei einer Laborexplosion ein Teil des Gedächtnisses abhanden kommt. Zusammen mit seinem Bruder macht er sich daran, sein Leben wie ein Puzzle wieder zusammenzusetzen.

Das Zeichnen hat Urs Jaeggi, der seit Mitte der 90er zwischen seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg und MexikoStadt pendelt, nie aufgegeben. Aber erst Mitte 50 beschließt er, professioneller Künstler zu werden. Mittlerweile ist er in zahlreichen Ausstellungen als Bildhauer und Aktionskünstler aufgetreten. „Kunst ist überall“ lautet der Titel der Schau, die diesen Samstag um 17 Uhr in der Tempelhofer Malzfabrik eröffnet wird. (Bessemerstr. 2- 14, bis 7. 8.; Sa/So 13 - 17 Uhr). Sie fasst sein Kunstschaffen zusammen, pünktlich zum 80. Geburtstag des Alleskönners Urs Jaeggi. Daniel Grinsted

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