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Kultur: Kunst klonen

Nach dem Ende stilbildender Künstlergruppen entstehen heute eher kleine Meisterschulen. Die Vordenker animieren ihre Nachahmer allein durch Werke; Anleitungen geben sie nicht.

Nach dem Ende stilbildender Künstlergruppen entstehen heute eher kleine Meisterschulen. Die Vordenker animieren ihre Nachahmer allein durch Werke; Anleitungen geben sie nicht. Mittlerweile klonen ganze Klassen der Kunsthochschulen Werke von Thomas Demand und Neo Rauch und werden flugs von Galeristen gekapert, die vom Demand-Boom und der Rauch-Blüte profitieren wollen. Das führe doch zu nichts, meint Demand betreten. Jungkünstler sehen das anders. Wie in der new economy suchen die Smarten mit dem Aufguss des erfolgreichen Prinzips Kunden. Die Kunstgeschichte kennt das: Schon Tintoretto sagte Auftraggebern, er male einen Tizian schneller und billiger als Tizian selbst - und bekam die Aufträge. Auch heute scheut niemand feindliche Übernahmen, wenn sie im Schutz eines Trends geschehen. Er kann als Photo-Shop-Pop oder einfach als Pop Shop bezeichnet werden. Denn der Laden läuft.

So auch bei Matthias Zinn, der zurzeit in der Galerie Olaf Stüber ausstellt. In den neunziger Jahren begann er als materialbewusster Maler an der Hochschschule der Künste Berlin, jetzt folgt er Neo Rauch. Aus Katalogen und Zeitschriften übernimmt er Figuren, Objekte, Architektur und Landschaften, schiebt sie fragmentiert im Folienschnitt ineinander, lässt viel Weiß zum Nachdenken und erhält ein grafisches Bild, das der Eröffnungsredner Christoph Tannert im Seitenblick auf Rauch "Retro-Design" nennt. Der Untertitel der Ausstellung "Gib mir einen alten Quellekatalog und ich erschaffe dir eine Welt", könnte als Motto gelten. Doch kein Pseudo-Rauch ohne eigene Note: Zwei schicke Frauen - eine mit blondem, eine mit schwarzem Haar - flattern durch die Katalogcollagen. Meist sind sie bekleidet und dem Betrachter zugewandt. Immer halten sie etwas in der Hand und machen eine so gute Figur, als würden sie die Objekte in ihrer Nähe zu Werbezwecken vorführen. Zinn zeichnet eine moderne Welt, in der Frauen - Männer sind abwesend - die Aufmerksamkeit auf die Dinge lenken, die sie umgeben: Flugzeug vor der Villa, Picasso-Verschnitt im Büro.

Zinns Kompositionen kommen der seichten Visualisierung einer Kulturdiagnose gleich, die auch in Frauenzeitschriften und Fernsehserien thematisiert wird: die vollmöblierte Einsamkeit der rastlos netten Einzelkämpferinnen mittleren Alters am Rande des Nervenzusammenbruchs. Möglicherweise liegt da Zinns Marktsegment (1100 bis 6000 Euro). Nur zwei Bilder scheinen das Vorbild verlassen zu wollen. Es sind aber nicht die jüngsten, wohl eher Ausrutscher und keine Entwicklung. Nota bene: Neo ist das Anagramm von One. Rauchs scharf geschliffene imaginäre Welt der widersprüchlichen DDR-Diktatur mit ihren subtilen Rohheiten gibt es nur einmal. Je mehr die Epigonen versuchen, ihn auf Annektionsniveau zu verflachen, desto hegemonialer wird sein Ruf. Denn jede Nachahmung stärkt das Orginal. Zumindest so lange Orginalität ein Kriterium ist.

Peter Herbstreuth

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