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Kultur: Kunst kommt von Nichtskönnen

Wieder entdeckt für eine DVD-Edition: Super-8-Filme aus dem wilden West-Berlin der achtziger Jahre

Sie war lächerlich, piefig und längst über ihren Zenit hinaus. Doch Super 8, die Märklin unter den Filmformaten und Medium erster Wahl für halb dokumentarische Heim- und Hobbykinematografie, war 1980 noch längst nicht an ihr Ende gekommen. Denn es gab eine Insel WestBerlin, und dort, in der Abgeschiedenheit von Bundeswehrflüchtlingen und Frontstadteremiten, offenbarte sich, wofür andere blind waren: dass Super 8 vielleicht nicht das Medium der Zukunft sein würde, aber doch das Medium des Augenblicks. Die filmischen Underground-Experimente können nun wieder besichtigt werden: auf der DVD-Box „Berlin Super 80“ (43,99 Euro, Monitorpop) .

Hier am Engelbecken, unweit des Oranienplatzes in Kreuzberg, waren Sandwüste, Wachtürme und Kaninchen. Nun zieht ein Schwan seine Kreise, seine Jungen werden bald im Schilf schlüpfen. Im Terrassencafé blinzelt Wolfgang Müller in die Abendsonne. Sein Projekt „Die Tödliche Doris“ prägte die Szene damals wie kaum jemand sonst. „Berlin, das war ein unwirkliches Konstrukt. Man konnte darin so herumfliegen wie in einem Film.“ Einmal im Monat arbeiten, das reichte schon, um die Wohnung zu halten, wenn man bereit war, zum Händewaschen auf den Flur zu gehen. In Blixa Bargelds Laden „Eisengrau“ ging kaum mehr als ein Pullover die Woche über den Ladentisch, und auch das war schon genug. Wenn ein Reporter von der „Vogue“ vorbei schaute, auf der Suche nach Morbiditäten aus dem West-Berliner Punksumpf, wurde er angeraunzt und fortgejagt.

Müller bedauert heute solchen Trotz: „Es fehlte so eine Manager-Mentalität, die dafür hätte sorgen können, dass die guten Ideen auch vermittelt oder bewahrt werden. Vieles aus der Zeit ist für immer verloren.“ Wie so oft muss erst jemand aus dem Ausland kommen. In diesem Fall: aus Schwaben. Joachim „Töni“ Schifer vom Label Monitorpop, damals nur sporadisch in Berlin, wollte jetzt „die frühen Berliner Jahre“ auf einer DVD beleuchten. Rolf S. Wolkenstein, ebenfalls aus dem Süden, überzeugt ihn davon, sich auf die Super-8-Szene zu konzentrieren.

Wolkenstein gehörte zum harten Kern. „Drei Lager gab es“, erinnert er sich. „Da war die Abteilung Bildende Künste, die Super 8 als eine andere Art Leinwand benutzte. Dem standen die gegenüber, die eher vom Film und vom Narrativen her dachten. Schließlich gab’s noch die ,Spontis’: Quereinsteiger, die einfach irgendein Medium suchten, um sich auszudrücken.“ Punk hatte diesen Enthusiasmus vorgelebt: Ein Akkord musste reichen, um auf der Bühne zu bestehen. Das war die Gebrauchsanweisung der „Genialen Dilettanten“, wie sich ein Teil der Szene bald selbst stigmatisierte. Zur Veröffentlichung des gleichnamigen Szene-Pamphlets fand sich 1982 sogar Heiner Müller beim Merve-Verlag ein. Er stellte „Dilettanten“-Wolfgang seinen Freunden vor („Der einzige Müller außer mir, den ich ernst nehme“), nahm einen Koffer voll Bücher mit und verteilte sie am Prenzlauer Berg.

„Heute weiß man ja, dass auch die Sex Pistols keine Straßenköter waren, sondern theoriekundige Kunststudenten“, sagt Wolfgang Müller. „Uns ging es überhaupt nicht darum, aus einer Anti-Haltung heraus ein schlechtes Medium zu wählen. Super 8 war praktisch und billig. Doch das gehört dazu: Sich ein bisschen dümmer zu stellen, als man ist.“ Auch die Tödliche Doris war vom Kunstwillen beseelt, selbst wenn sie 1982 die Einladung zur Documenta ausschlug. „Da dachten die Leute, ich sei Idealist und will nicht in den Kunstbetrieb. Aber nee, ich wollte da rein. Nur eben gleichberechtigt!“ Das hat Müller geschafft. Das Super-8-Gesamtwerk der Tödlichen Doris wurde mit Hilfe des Hauptstadtkulturfonds digitalisiert. Andere Filme waren über die ganze Welt verstreut. „Wir mussten teilweise mit Taschenlampen in dunkle, feuchte Keller absteigen“, erzählt Wolkenstein. Bei einigen Filmen hatte sich die Tonspur bereits dem Schimmelpilz hingegeben.

Die schönsten Filme sind glücklicherweise erhalten: Klaus Beyers Trashklassiker „Die Glatze“, Christoph Dörings Taxi-Nocturne „3302“, ein Konzert der Einstürzenden Neubauten im Tempodrom und ein grimmiges Familienstück von Splatterkönig Jörg Buttgereit („Mein Papi“). Kleinscharmützel zwischen einigen Beteiligten führten zu einer einstweiligen Verfügung und einer Release-Party ohne Release. Müller lässt die Vergangenheit lieber ruhen. „Ich hab nichts gegen Schwäne. Oder gegen Gemütlichkeit“, sagt der Hobby-Ornithologe und weist auf einen Nachtigallenruf hin.

Wolkenstein dreht bald einen Film auf Ibiza. Der Fluch der Insel scheint beide noch fest im Griff zu haben. Andere arbeiten an einem „Global Hangover Guide“. Oder sie kochen im „Abendmahl“ und im „Storch“. Und einer hat die Liebe entdeckt. Dr. Motte, damals Mitglied der „Deutsch-Polnischen Aggression“, tat sich 1981 beim großen „Dilettanten“- Fest im Tempodrom als Dosenwerfer hervor. Er prahlte damit, den Geiger der Tödlichen Doris getroffen zu haben, nicht wissend, dass ihm dieser, nun ungeschminkt, gerade gegenüberstand. „Der Typ braucht die Bühne“, dachte sich Wolfgang Müller. Er fackelte nicht lange und machte Motte für einen Abend zum Doris-Double. Was darauf folgte, wissen wir heute. Die Geburt des Techno aus dem Geist des Dilettantismus.

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