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Kunst: Sag, was du denkst

Einmischen, aufmischen: Christiane Dellbrügge & Ralf de Moll knacken mit Kunst soziale Räume.

Sie heißen Achim, Tina, Said. Sie tragen Basecap, bedruckte T-Shirts, Kapuzenpullover und werden einmal Bauzeichner, Schreinerin, Fliesenleger sein. Normalerweise werden Berufsschüler nicht unbedingt daraufhin befragt, wie sie sich ihre Zukunft ausmalen, wo sie gern arbeiten würden, wie die Stadt ihrer Träume aussieht. Nun aber stehen sie da und erzählen mit 37 weiteren Mitschülern nonstop auf fünf lebensgroßen Videobildschirmen von ihren Visionen: ernsthaft, fantasievoll, lustig oder auch nur brav.

Das Berliner Künstlerduo Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll hat die Berufseinsteiger aufgenommen und damit ein Panorama der Wünsche junger Leute zu Beginn des 21. Jahrhunderts geschaffen. Die Art, wie sie sich kleiden und was sie von einem guten Leben erwarten – saubere Umwelt, eine hübsche Frau und ein schnelles Auto – ist darin konserviert wie in einer Zeitkapsel. Schon bald wird die nächste junge Generation wieder eine andere Mode, neue Frisuren tragen und gewiss veränderte Ideale haben. Wenn es aber nach Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll geht und die Technik mitspielt, soll ihre Videoinstallation „Wer einen Stuhl bauen kann, kann auch eine Stadt bauen“ dreißig Jahre lang unverändert bleiben – im Foyer der Marcel-Breuer-Schule für Holztechnik, Glastechnik und Design, einem Oberstufenzentrum in Weißensee.

Seit wenigen Monaten hängen die fünf Screens im Schulfoyer als „Kunst am Bau“. In einem Wettbewerb konnte sich das Berliner Künstlerduo gegen neun Kontrahenten mit seiner Idee durchsetzen, die Partizipation so weit zu treiben. „Uns interessierte das Denken der Schüler“, erklärt Christiane Dellbrügge. „Wir wollten nicht nur einfach etwas applizieren.“ Herausgekommen ist dabei ein Kunstwerk, „das schon sehr angewandt ist“, wie sie eingesteht. „Angewandt“, das ist eine in Künstlerkreisen ziemlich verpönte Vokabel. Bei Dellbrügge & de Moll aber ist Anwendung die Öffnung der Kunst in den sozialen Raum – und Programm.

Seit die beiden sich Mitte der Achtziger an der Kunstakademie in Karlsruhe kennenlernten – Christiane studierte Malerei, Ralf Bildhauerei (beide Jahrgang 1961) –, arbeiten sie zusammen, erst später wurden sie ein Paar. Ein Umstand, der keine Rolle spiele, wie sie betonen. Als Team, das die individuelle Handschrift zugunsten des Gemeinschaftswerks aufgibt, opponierten sie gegen die damaligen Künstlerstars an ihrer Hochschule, den Kult um Lüpertz, Kirkeby und Baselitz. Durch Gruppen wie General Idea oder Peter Kubelkas Kochen als künstlerische Praxis kam kollektives Arbeiten, das Denken in anderen sozialen Dimensionen neu ins Spiel. Dellbrügge & de Moll sind dabei geblieben, während die Malereiwelle auch über sie hinweggerollt ist. Womöglich ist in Zeiten einer angespannten Wirtschaftslage das interventionistische Denken von Künstlern wieder mehr gefragt. Es passt nach Berlin.

Das war schon 1988 so, als sie neu in die Stadt kamen, als Stipendiaten ins Künstlerhaus Bethanien. Berlin war eine große Probebühne, hier wurden soziokulturelle Modelle ausprobiert. Heute lebt das Duo in seinem Wohnatelier nur einen Katzensprung entfernt, doch sind sie für das Projekt „New Harmony“ 2007 noch einmal an ihre erste Station zurückgekehrt. Christoph Tannert, Leiter des Stipendienprogramms, hatte die beiden gebeten, über die verfahrene Situation am Bethanien, den Zwist zwischen Nutzern und Hausbesetzern, mit einer Ausstellung nachzudenken.

Dellbrügge & de Moll bauten ihm aus grünen, roten, blauen Bausteinen im Verhältnis 1:10 Elemente des Hauses, die Ateliers, Ausstellungssäle nach. Und sie überraschten mit der verrückten Idee, die Einrichtung in den Plänterwald, auf das Gelände des ehemaligen Vergnügungsparks zu verlegen. Dazu organisierte das Paar Diskussionen mit den Kontrahenten, bei denen anschließend wie in einer guten Show votiert werden durfte: Bleiben oder nicht? Heute ist die Zukunft des Künstlerhauses entschieden. Es verlässt die umkämpfte Immobilie am Mariannenplatz und zieht in ein Objekt des Kunstsammlers und Investors Nicolas Berggruen an der Kohlfurter Straße. Ausstellung und Abstimmungsspiele waren dafür wichtige Entscheidungshilfen. Dellbrügge & de Moll hatten als Katalysatoren, wie Psychologen gewirkt, die den Blick von außen erst ermöglichten.

Genau dieser frische Wind, das andere Denken ist auch bei ihrem neuesten Projekt gefragt. So wurden Dellbrügge & de Moll von den Entwicklern des Osloer Hafengebiets eingeladen, bei der Gestaltung dieses Stadtgebiets rund um die neue Oper dabei zu sein. „Critically embedded“, nennt Ralf de Moll diese Form mit einem Augenzwinkern, denn durch ihre Beteiligung erfährt das urbane Großunternehmen von Anfang an seine kritische Durchleuchtung aus Künstlersicht. „Kunst im öffentlichen Raum kann heute nicht mehr Stadtdekor oder -bespaßung sein“, fügt Christiane Dellbrügge hinzu.

Dass die beiden eine umso größere Liebe für das Vorhandene, ja Schwierige haben, bewiesen sie mit ihrer humorvollen Aktion „Der gute Ruf der Architekten“ vor vier Jahren. Damals lockten sie die Besucher der Hebbel-Veranstaltung „x-wohnungen“ im Märkischen Viertel auf ein Hochhausdach. Mit Helm und Megafon ausgestattet, sollten sie programmatische Architektensätze in die Häuserschluchten rufen, die von sechs umliegenden Dächern als Echo von Assistenten zurückgegeben wurden. Wie die Schallwellen bricht sich auch der Traum von der idealen Stadt an den gebauten Mauern, der harten Realität einer mit sozialen Konflikten aufgeladenen Siedlung.

Berlin, das bleibt für Dellbrügge & de Moll trotz vieler Einladungen ins Ausland und Gaststipendien das wichtigste Terrain. Hier werden sie auch nach zwanzig Jahren noch fündig, etwa beim Wilmersdorfer Schillerpark, wo sich im Sommer die Thai-Community zum kollektiven Picknick trifft. Überall gibt es dort kleine Imbissstände, obwohl „Verkaufen verboten“ eigens in Thai geschrieben steht. „Eine echte Mikroökonomie, wie sie dagegen in Armutsländern gefördert wird“, begeistert sich de Moll. Wenn sich das nicht in einem ihrer nächsten Kunstprojekte niederschlägt.

Installation in der Marcel-Breuer- Schule, Gustav-Adolf-Str. 66, Weißensee.

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