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KUNST Stücke: Messerscharf

Jens Hinrichsen staunt über das, was Künstler zu Papier bringen

Volle Wände bei Mehdi Chouakri. „Petersburger Hängung“ heißt das Prinzip, traditionell ein Ausdruck von Wohlstand. Wer hat, der hat. Der Galerist will allerdings nicht protzen, sondern Arbeiten aus der Liebhaberperspektive zeigen. Assoziativ kombiniert er Papierarbeiten von rund 60 Künstlern auf sechs Wänden. Sammeltitel: „Paperweight“. High und Low beißen sich schon lange nicht mehr, dafür bürgen Künstlernamen wie John Armleder, Sylvie Fleury, Hans-Peter Feldmann oder Isabell Heimerdinger. Daneben haben Sammler und Galeristenkollegen ihre Grafikschubladen geöffnet und hier eine Picasso-Grafik, dort eine Architekturzeichnung von Erich Mendelsohn beigesteuert (beide unverkäuflich, ansonsten Preise von 500 bis 35 000 Euro). Mäzen Paul Maenz überrascht mit Plakatmotiven aus seiner Zeit als Werbegrafiker. Für Karibikflüge warb im strengen Winter 1962 ein mit Norwegerpullimaske vermummter Kopf. Aus heutiger Sicht verschiebt sich das Motiv merkwürdig in Richtung Protestkultur. Mathieu Mercier sät rote, grüne und gelbe Punkte auf große Papierflächen, schmuggelt bunte Heftzwecken darunter. Luca Trevisani ergänzt einen Offsetdruck, auf dem fotografierte Haare zu sehen sind, mit Bleistiftlinien. Papier reizt. Da sind die letzten Striche schnell die vorletzten gewesen (Invalidenstraße 117, bis 23.2.).

Stringenz herrscht in der Galerie Upstairs, die ihre Auswahl auf acht junge Künstler beschränkt, um die Möglichkeiten des Mediums Papier durchzuspielen (450 bis 12 200 Euro). Simon Schubert faltet Linien in Papier, bis zarte Raumbilder entstehen. Zimmerecken und Treppen sind tatsächlich, wenn auch stumpfwinkelig, geknickt. Zeichnung? Relief? Ein Grenzfall. Auf Aquarellpapier, mit Tinte und Tempera, malt Marisa Favretto Haus- und Waldtiere, ebenso klassisch-figürlich schlägt Butt Johnson mit feinem Kugelschreiber Bögen von Nicolas Poussin bis zu den Teletubbies. Kate Atkin tendiert zur Abstraktion. Ohne Kenntnis des Titels kann man den „Ball“ auf einer großen Bleistiftzeichnung kaum identifizieren. Zu erkennen ist eine bröcklig-raue Kugelform. Dazu felsenartige Strukturen, vielleicht ein Höhleneingang. Papier, messerscharf, kann gefährlich werden. Unheimlich wie eine Erzählung von Edgar Allan Poe wirkt Favrettos „Seepyramide“, aus Pappmaché geformt und mit schwarzer Farbe bemalt. Nah am Skulpturalen sind auch die kraftvollen Assemblagen von Anna Genger. Schlingpflanzen wuchern, Raubvögel zerreißen ihre Beute – alles sehr fleischig-körperlich und voller Emotion. Die Strenge der Gesamtpräsentation konterkariert das. Die Hängung: out of Petersburg (Zimmerstraße 90/91, bis 15. 3.).

Jens Hinrichsen

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