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KUNST Stücke: Papierstoßgebete

Eine feste Burg ist unser Gott. Vielleicht ging dem protestantischen Künstler Wim Botha (Jahrgang 1974) das Luther’sche Lied durch den Kopf, als er seine Köpfe baute: seltsame Skulpturen, aus Bibeln gefügt, denen indes jede Papieranmutung fehlt.

Eine feste Burg ist unser Gott. Vielleicht ging dem protestantischen Künstler Wim Botha (Jahrgang 1974) das Luther’sche Lied durch den Kopf, als er seine Köpfe baute: seltsame Skulpturen, aus Bibeln gefügt, denen indes jede Papieranmutung fehlt. Wie Mauerwerk wirken sie hier. Botha schraubt je ein Dutzend Bibeln zum festen Block zusammen und „meißelt“ dann die Gesichtszüge heraus. Wo der sogenannte Rotschnitt der gefärbten Seitenränder sichtbar bleibt, scheint Blut an den Gesichtern zu kleben.

Überhaupt zieht der üble Atem Graf Draculas durch die Galerie Jette Rudolph. In die beiden Installationen „Vanitas Toilette“ und „Quadrate Choir“ (beide 2008) fügt sich jeweils ein solcher Papierschädel ein (Gesamtpreis 32 000 Euro und 20 000 Euro). Das größere Environment war bereits auf dem Art Forum Berlin zu sehen. Typisch für Botha: Die Elemente hängen wie ein still verlassenes Marionettentheater an Drähten von der Decke. Neben Zeichnungen von Tierschädeln schweben vor allem schwarzlackierte Holzelemente im Raum. Formal erinnern die Teile ans Inventar calvinistischer Kirchen – die am Kap häufig zu finden sind. Im Zentrum thront die titelgebende „Vanitas Toilette“, eher ein Zwitter zwischen Sarg und Badewanne. Wim Bothas düstere Geschichts- und Naturkundemuseen lassen sich kaum auf den Begriff bringen. Sie entziehen sich der Ratio, das macht sie unheimlich (Zimmerstraße 90-91, bis 31. Januar; Di bis Sa 11.30 – 18 Uhr).

Eine tausendarmige Holzskulptur, halb Alien, halb Maschine, lockt in die Galerie Magnus Müller. Auch der US-Amerikaner Chris Larson (Jahrgang 1966) arbeitet medienübergreifend. Seine skurrilen Bleistiftzeichnungen und Skulpturen stehen autonom für sich. Im Zentrum der Einzelausstellung – gewiss eine der inspirierendsten dieses Galeriejahres – steht der achtminütige Videofilm „Deep North“ (2008, alle Preise auf Anfrage).

Zeichnen sich in Bothas Installationen niederländisch-südafrikanische Wurzeln ab, so ist Larsons performatives Video von seiner Heimat Minnesota geprägt, dem Bundesstaat im Norden der USA. Der rauhe Winter der Region dringt bis in den letzten Winkel jener Hütte, in der sich die „Handlung“ zuträgt. Wohnst du noch oder frierst du schon? Tisch, Stuhl und Bett sind mit dickem Eis überzogen. Drei in Filzuniformen gehüllte Frauen kurbeln an einer komplizierten Maschine herum, die flaschengroße Zylinder aus Eis von einer Zimmerecke in die andere transportiert. Das emsige Knirschen, Klickern und Knarzen verdichtet sich auf der Tonspur phasenweise zu Technorhythmen. Großfotos vom Frostfilmset bringen Larsons Detailwut an den Tag. So deutet die Kunstpostkarte an der Wand – sie zeigt einen betenden Alten – auf die Frömmigkeit im „Bible Belt“ (Weydingerstraße 10/12, bis 17.1; Di bis Sa 12–18 Uhr).

Jens Hinrichsen

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