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KUNST Stücke: Seitenblicke

Diese Pupillen lassen nicht mehr los. Unschuldige Kinderaugen, möchte man meinen, doch etwas stimmt nicht.

Diese Pupillen lassen nicht mehr los. Unschuldige Kinderaugen, möchte man meinen, doch etwas stimmt nicht. Verlangend schauen die Jungen und Mädchen in die Kamera, tief bewegt muss ihre Seele sein, doch warum, das erkennt man nicht. Diese Kinder haben sich innerlich gepanzert und buchstäblich hinter ihren Stoffbären verschanzt. Es sind, so ist in der MKGalerie zu erfahren, russische Waisen im Heim. Die Berliner Künstlerin Anastasia Khoroshilova hat viele solcher „Islanders“ in Russland fotografiert, Menschen, die in hermetischen Situationen wie auf Inseln leben. Internatsschüler, Soldatinnen, Provinzler. In ihrer Summe ergeben die Porträts eine Gesellschaft, deren Milieus sich fremd sind und eine Folge eingefrorener persönlicher Dramen. Doch Gefühlswallungen verbittet sich Khoroshilova. Zu streng, fast mathematisch sind ihre an der Düsseldorfer Fotografie und August Sander geschulten Bildkompositionen. Die russische Gesellschaft, so der Subtext der Aufnahmen, ist nicht jene geschlossene Einheit, zu der Putin und Medwedew sie zusammenpressen wollen. An Putin lässt übrigens auch die jüngste und schwächste Serie denken: Triptychen mit Soldaten, die Kampfanleitungen aus militärischen Lehrbüchern nachstellen. Doch Schwamm drüber: Hier probiert Khoroshilova etwas Neues aus, und das darf ja noch reifen (bis 22. März, Rudi-Dutschke-Straße 26, 5200–11 700 €).

Diese Augen halten nichts fest. Olga Chernysheva hat Wachleute der Moskauer Metro porträtiert. Ihre Blicke gehen ins Leere, genau wie die der Militärmusikerinnen und Toilettenfrauen. Chernyshevas Moskau ist eine Stadt im Übergang und eine der Übertreibung. Gagarins Denkmal an der Allee der Kosmonauten: eine Baustelle. Die öffentlichen Toiletten: Container. Das Stadtfest: ein bedrohlicher Karneval. Die Bildachsen kippen, am schrägsten sind sie in den Fotos von Tagelöhnern aus Tadschikistan, die wie Vögel am Straßenrand hocken und auf Jobangebote warten, immer fluchtbereit, falls Polizisten auftauchen. Und über allem scheppert bei Volker Diehl die Militärmusik des Videos „March“: Uniformierte Kadetten, kaum älter als zehn, schauen Cheerleadern beim Hüftschwung zu. Mal schleicht sich ein erstes lüsternes Grinsen auf ihre Gesichter, dann schauen sie so verloren, als ob sie lieber daheim bei ihrem Stoffbären wären. Mitunter ist es hart, Kind zu sein (bis 11. April, Lindenstraße35, 5000-22 000 Dollar).

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