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KUNST Stücke: Was fehlt

Mit den Kindern scheint wohl gerade etwas nicht zu stimmen. Glaubt man den Ratgeberzeitschriften, sind sie das große Glück, das die Eltern mit der Wahl der richtigen Kinderzimmermöbel ins Unermessliche steigern können.

Mit den Kindern scheint wohl gerade etwas nicht zu stimmen. Glaubt man den Ratgeberzeitschriften, sind sie das große Glück, das die Eltern mit der Wahl der richtigen Kinderzimmermöbel ins Unermessliche steigern können. Folgt man dagegen der politischen Presse, sind Kinder der personifizierte Mangel: Mangel an Bildung, Bewegung, Perspektiven und frischem Obst. Sharon Lockhart hat Kinder gefilmt, in Polen, in Hinterhöfen von Lodz, in aller Ruhe, jede Sequenz des halbstündigen Films eine einzige lange Kameraeinstellung. Mit Podwórka, derzeit zu sehen in der Galerie Neugerriemschneider, entführt die amerikanische Konzeptfotografin und Filmkünstlerin den Zuschauer in eine Welt jenseits des Sorgendiskurses. Denn diese Kinder bewegen sich voller Freude, ganz ohne Animationsspielchen und Trainer, sie bilden sich aus eigenem Antrieb und scheinen so gar keinen Mangel zu empfinden. Eine sandige Pfütze reicht ihnen, um hingebungsvoll Dämme aufzuschichten. Gelenkig wie ein Akrobat hangelt sich ein größerer Junge an der Teppichstange entlang. Und ewig kurven die Kleinen auf Fahrrädern herum, um endlich das Radeln zu lernen. Na bitte, es geht doch, das Kindsein, möchte man begeistert rufen und ist schon in die Falle getappt. Die vermeintlich ungestellten Bilder lassen ganz vergessen, dass ja auch der künstlerische Film ein Medium ist. Wir sehen nicht das, was wirklich ist, sondern das, was die Künstlerin uns sehen lässt. Und Sharon Lockhart pflegt ihre Szenen gut zu planen: Auch sie macht aus der Kindheit eine Projektionsfläche, auch sie macht Meinung (bis 10. April, Linienstraße 155).

Mit Medien lassen sich viele schöne Dinge herstellen, vor allem aus Zeitschriften und Zeitungen. Man kann sie natürlich zerknüllen und zerschneiden, man kann sie aber auch abmalen, umnähen, nachahmen, man kann sie sogar lesen. Die Schöneberger Galerie 18m stellt mit Arbeiten von acht Künstlern vor, die aus Zeitung etwas Besseres als Altpapier machen. So hat sich Roland Albrecht Artikel ausgedacht, die den Gebrauch von Zeitungspapier als Dämmstoff diskutieren. Albrecht ahmt Schreibstil und Layout von kleinen und großen Zeitungen nach und dazu Details wie Agenturkürzel, die in seiner Mappe mit gefälschten Ausschnitten nun wie Echtheitssiegel wirken. Claudia von Funcke hat aus zusammengeknüllten Zeitschriftseiten ein prächtiges dreidimensionales Mosaik gefertigt, gleichsam eine Hommage an die Fülle der aktuellen Schrifttypen, Papiersorten und Druckfarben. Und Sebastian Koths Schwarz-Weiß-Fotos zeigen ideale Leser: versonnen in der Arbeitspause oder konzentriert im Café. Der Traum jedes Zeitungsmachers.

Den Alptraum hat Ligia Cabral fotografiert: Vater, Mutter, Tochter, Sohn beim Medienkonsum, jeder mit starrem Blick vor einem anderen Gerät. Laptop, Digitalkamera, Handy und TV. Da ist er dann doch wieder, der Bewegungsmangel. Um die Zukunft der Presse dagegen braucht sich in dieser Ausstellung niemand zu sorgen. Albrecht Schäfer hat aus einer Zeitungsseite alle Textspalten und Fotos ausgeschnitten. Nur der zarte Weißraum ist übrig – und ein kleines Wort: das Verb „sein“ in allen Konjugationen (bis 9. Mai, Akazienstraße 30).

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