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Kunst- und Architekturkritik: Mit jeder Faser des Lebens

In den Londoner Barbican Art Galleries beschwören die deutschen Bauhaus-Museen mit der Ausstellung "Bauhaus. Art as Life" ein Idealbild der berühmten Lehranstalt.

1982, vor genau dreißig Jahren, weihte die Queen den riesigen Komplex des Barbican Centre am Nordrand der alten Londoner City ein, einer Gegend, in der der deutsche „Blitz“ 1940 erhebliche Schäden angerichtet hatte. So entstand ein Ungetüm aus Beton mit hoch liegenden Fußgängerzonen, die jeder Londoner meidet, während der Nicht-Londoner erhebliche Schwierigkeiten hat, einen Zugang zum Kulturzentrum zu finden, dem Herzstück das ansonsten mit Wohntürmen und Tiefgaragen gespickten Barbican. Drinnen herrscht Kunstlicht. Die Barbican Art Galleries sind doppelstöckig angelegt. Wo nicht gerade eine Öffnung beide Etagen verbindet und großzügigen Ausstellungsraum schafft, drücken niedrige Decken.

Es ist nicht leicht, in diese Räume eine anspruchsvolle Ausstellung hineinzubauen. Dem englischen Kuratorenteam ist es gelungen: „Bauhaus. Art as Life“ – wie die gemeinsam von allen drei deutschen Bauhaus-Museen in Weimar, Dessau und Berlin getragene Übersicht betitelt ist – stellt in jeder Hinsicht den Gegenentwurf zum düsteren, verbauten, unwirtlichen Barbican dar.

Mit dem Bauhaus präsentiert sich Deutschland – so darf man es ruhig sagen, auch wenn die Bundesrepublik mitnichten Ausrichter ist – im London des Olympischen Sommers. Keine andere Nation hat eine solche Chance ergriffen oder wohl auch nur gesucht, während der Spiele für sich zu werben. Dabei, wie gesagt, lag die Initiative aufseiten des Barbican und seiner von Kate Bush geleiteten Galerie.

Das Bauhaus, 1919 in Weimar gegründet, Ende 1926 nach Dessau umgezogen, 1932 nach Berlin vertrieben und dort nach der Machtergreifung der Nazis aufgelöst, ist das Synonym für „die“ Moderne. Und es ist zugleich ein Synonym für die Weimarer Republik, mit der sie die Lebensdaten teilt, für die „Weimar Culture“.

Das ist ein Pfund, mit dem man gar nicht erst wuchern muss, denn der Ruhm des Bauhauses erstrahlt weltweit spätestens seit dessen erster Retrospektive, die der Gründer und bis 1928 Leiter dieser Lehranstalt, Walter Gropius, zehn Jahre nach seinem Ausscheiden im New Yorker MoMA einrichtete. Von da an wusste der demokratische Westen nicht nur, dass das Bauhaus auf der richtigen Seite gestanden hatte, sondern vor allem, dass es eine richtige Seite in Deutschland bis 1933 sehr wohl gegeben hatte.

14 Jahre Bauhaus, aber inzwischen fast 80 Jahre Beweihräucherung: Ein Mythos hat sich um diese zahlenmäßig betrachtet kleine Lehranstalt gebildet, der Mal um Mal beschworen wird. Auch in London. Die letzte Ausstellung zum Thema in der britischen Metropole liegt allerdings bereits 40 Jahre zurück. Mithin eine, wenn nicht zwei neue Generationen kommen erstmals mit den Originalen in Kontakt, die die drei deutschen Institutionen – allen voran das Berliner Bauhaus-Archiv – an die Themse verschifft haben, ergänzt um hochkarätige Leihgaben Dritter.

„Art as Life“, also nicht Kunst und Leben, sondern Kunst als Leben, das ist ein verführerischer Titel. Denn so ungefähr hatten es sich die Bauhäusler erträumt. Sie wollten nicht nur künstlerische Handwerke und Fähigkeiten erlernen, so intensiv sie in den diversen Werkstätten dieser „Hochschule für Gestaltung“ gelehrt und geübt wurden, sie wollten zugleich an sich selbst das neue Leben erproben, für das sie Ideen und Produkte schufen.

So kam eine sehr personalisierte Ausstellung zustande, eine Übersicht, die die Personen, die Lehrer – die altertümelnd „Meister“ hießen – und die Studenten hervortreten lässt, in zahlreichen Fotografien, ob gestellt oder zufällig, die die Lebensfreude, Lebenssucht am Bauhaus mitteilen. Es wurde gesportet und gefeiert und theatert, die Studenten reckten sich auf den kleinen Balkons des an die Dessauer Bauhaus- Werkstätten angeschlossenen Wohnheims, und überhaupt erscheinen die ersten beiden Jahre in Gropius’ Geniegebäude nach dem festlichen Einzug am 4. Dezember 1926 als Idealbild, als mit jeder Faser gelebte Bauhaus-Philosophie.

Ganz so harmonisch, wie diese Ausstellung es vorführt, verlief die Geschichte nicht. Zum Auftakt der Ausstellung ist wandgroß die suggestive Fotografie einer Hand zu sehen, mit der Aufforderung „junge menschen kommt ans bauhaus!“. Die aber stammt, wie auch die in dem (mit einigen neuartigen Themen und Gedanken aufwartenden) Katalog abgedruckte, zugehörige Werbebroschüre, von Hannes Meyer, dem von der Geschichtsschreibung verdrängten zweiten Direktor, unter dem das Bauhaus politisch nach links rückte. Meyer ging später in die Sowjetunion. Das reichte, um seine Reputation bei den in die USA emigrierenden Kollegen endgültig zu ruinieren.

Nun, alte Wunden will die Ausstellung nicht aufreißen. Sie bietet den Besuchern, die schon zum Eröffnungsabend in hellen Scharen kamen, eine bezwingende, eine dank der Zusammenarbeit der drei deutschen Museen überaus reichhaltige Übersicht vor allem über Bauhaus-Produkte. Dabei bilden die individuelle Handwerksarbeit, die anfangs in Weimar gepflegt wurde, und das Industriedesign, das bereits ab 1923 unter der Parole „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ die Oberhand gewann, hier eine harmonische Einheit. Vielleicht auch deshalb, weil die so reich wie nie zuvor ausgebreiteten, farbenfrohen Erzeugnisse der Weberei – eine Domäne der Frauen, die dorthin quasi abgeschoben wurden – die metallene Produktgestaltung etwa eines Marcel Breuer warmtonig überglänzen.

Das Bauhaus der Gründungsphase beschwor zwar das Zusammenwirken aller Künste. „Das Endziel aller bildnerischen Künste ist der Bau!“, heißt es im „Manifest“ von 1919, zu dem der expressionistische Maler und stets loyale Bauhaus- Meister Lyonel Feininger den Holzschnitt einer sternenüberstrahlten Kirche beisteuerte.

Nur: Architektur wurde unter Gropius erst ab 1927 gelehrt, und so richtig erst unter Meyer. Das, wofür das Bauhaus landläufig steht – weiße Häuserkisten mit flachem Dach –, entstand parallel zum Bauhaus, aber außerhalb der Lehranstalt. So spielt die Architektur in London nur eine Nebenrolle.

Stattdessen alle Möbel, alle Lampen, aus der Frühzeit alle Tonvasen und Teekannen, dazu überreich die Spannweite grafischer Arbeiten, spielerisch, experimentell, gerne auch sehr persönlich. Und beglaubigt durch die Fotos der frischen, freien, der forsch in die Welt schreitenden Bauhäusler. Am glücklichsten die 28, die im Wohnblock des Bauhauses eine so rasant moderne Unterkunft gefunden hatten. Das Bauhaus und seine Propaganda – das ist ein anderes Thema, das die Forschung längst bearbeitet, das aber in London unberücksichtigt bleibt. Es sei denn, man versteht die überaus zahlreichen, mitreißenden Fotografien aus den „guten“ Dessauer Jahren richtigerweise auch – auch! – als Eigenwerbung.

Das Bauhaus wurde massentauglich erst lange nach seinem Ende. Ob es weiter hätte leben und kreativ sein können, ist einerseits eine müßige Frage. Andererseits macht sie schlagend deutlich, dass das Bauhaus seine universale Wirksamkeit gerade der kurzen Lebensspanne verdankt. Das Bauhaus, das in 14 Jahren überschaubare 1400 Studenten ausgebildet hat, viele nur ein oder zwei Semester lang, war tatsächlich eine Gemeinschaft. Vielleicht nicht immer so verschworen wie in London vorgeführt, aber doch mit dem Bewusstsein von etwas Besonderem. Ein Eliteinstitut. Nicht dem Gelde nach oder der Abstammung seiner Mitglieder, sondern im Bewusstsein, einer kulturellen Avantgarde anzugehören, ja genau diese Avantgarde zu sein.

Und das ist doch ein Bild, mit dem man sich nur zu gerne identifizieren mag. Zumal in einem Gebäude wie dem Barbican Centre, das in seiner Grobschlächtigkeit das gebaute Gegenteil dessen darstellt, was es derzeit in seinem Inneren birgt.

London, Barbican Centre (vom U-Bahnhof Barbican den Hinweisschildern folgen!), bis 12. August. Katalog 288 S., 32,95 Pfund. – Umfangreiches Veranstaltungsprogramm unter www.barbican.org.uk

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