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Kunst und Essen: Sugo à la Shakespeare

Leonard Barkan ist ein leidenschaftlicher Grenzgänger, der in Berlin ins Theater geht und gern gutbürgerlich isst – und der heute in der Academy über Hochkultur und Essenskultur spricht.

Man sieht nur mit dem Magen gut. Ganz so verrückt würde er es nicht formulieren, aber Leonard Barkan, zur Zeit Fellow an der American Academy in Berlin-Wannsee und im Hauptberuf Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Princeton University, denkt gerne zusammen, was rein akademisch eigentlich nicht zusammengehört. Leonard Barkan ist ein ausgesprochen fröhlicher Denker.

Die einen studieren am Tag und amüsieren sich am Abend bei einer Flasche Wein und einem guten Essen mit Freunden. Die anderen, und zu ihnen gehört der 65-jährige New Yorker, kombinieren das einfach. Barkan schreibt Wein- und Gastronomie-Kolumnen, er hat gerade ein Buch über die Notizen auf Michelangelos Zeichnungen fertiggestellt, er beschäftigte sich zu Beginn seiner Laufbahn mit der Dichtkunst, später mit Shakespeare und der dramatischen Literatur, schließlich wechselte er zur Bildenden Kunst. Ein leidenschaftlicher Fremd- und Grenzgänger, der in Berlin ins Theater geht und ins Restaurant RengerPatzsch in Schöneberg – wegen der gutbürgerlichen Küche und der Flammkuchen – und der heute in der Academy über Hochkultur und Essenskultur spricht, über Kunst- und Nahrungskonsum in der Renaissance, über Geschmack. Dabei wird er Immanuel Kant zitieren, der sich darüber gewundert hat, dass das „ästhetische Beurteilungsvermögen“ ausgerechnet mit einem Begriff bezeichnet wird, der auf „das Innere des Mundes“ verweist.

Kunst, Essen, Religion: Der Katholik konsumiert den Leib Christi, der Genießer verleibt sich seine Lieblingsspeise ein, bloß Mozart essen oder „Hamlet“, das geht nicht. Aber die Wörter sind gleich. Verdirbt es nicht das Vergnügen, wenn man sein Hobby zum Arbeitsgegenstand macht? Leonard Barkan, zu Besuch im neuen Domizil des Tagesspiegels am Askanischen Platz, protestiert entschieden: „Wer über die Schönheit eines Michelangelo-Bildes spricht oder über die Schmackhaftigkeit von Tortellini in Brodo, der steigert doch den Genuss!“ Und wer über den Witz bei Shakespeare diskutiert, hat erst Recht Spaß an dessen Komödien.

Als Kulturwissenschaftler mag er es haptisch, sinnlich, konkret. Barkan schildert das Vergnügen, wenn er auf seinen Michelangelo-Recherchen in Florenz, Rom, Paris oder Oxford die Originale zwischen seinen weißbehandschuhten Fingern hielt. Ihn interessierte, warum der Künstler Wörter und Sätze auf seinen Zeichnungen hinterließ, warum er mitten in ein Bild eine Bemerkung über den Tod platzierte oder ein aus dem Gedächtnis, also ungenau, zitiertes Petrarca-Gedicht. Barkans Interesse: die Beziehung von Schrift und Bild im 16. Jahrhundert, aber mehr noch die aufregende Entdeckung von Michelangelos Unbewusstem.

Der Kunsthistoriker als Traumdeuter, mit Sinn für die Poesie des Fragmentarischen. Ein anderes Barkan-Buch, „Unearthing the Past“, handelt von der Renaissance-Mode, antike Statuen aus Roms Erde auszubuddeln. Die meisten davon waren Torsi, Ruinen, versehrte Kunst.

An der Michelangelo- oder der Botticelli-Industrie missfällt Barkan, dass sie die Meister oft festnagelt, auf Deutungsmuster und schlüssige Werkbiografien. Er staunt lieber, als dass er Antworten gibt. Da er als Quereinsteiger beim Fragenstellen besonders sorgfältig vorgeht, haben die „richtigen“ Kunsthistoriker ihn längst als einen der ihren anerkannt.

Als er für „Unearthing the Past“ ein Jahr lang in Rom lebte, schrieb er ein Buch über die Stadt. „Satyr Square“ handelt von Kunst, Wein, Pasta und Literatur. Ein Buch über Berlin? Barkan lacht. Wenn überhaupt, dann ein Gute-Laune-Buch eines Juden, der beim Spazieren an der Schönhauser Allee einen unzerstörten jüdischen Friedhof findet – in Berlin, der Hauptstadt des Holocausts. Sein bisheriges Kultur-Highlight? „Kiss me Kate“ an der Komischen Oper, sagt der Professor. Ein Broadway-Musical, das auf Shakespeare basiert, der wiederum Italien nachahmt und mitten im schönsten Englisch die deutsche Vokabel „wunderbar“ unterbringt – ein solcher Sugo ist ganz nach Barkans Geschmack.

Am heutigen Dienstag spricht Leonard Barkan um 19 Uhr in der American Academy über „High Culture and Food Culture in Early Modern Europe“. Am Sandwerder 17- 19, Tel. 804 830

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