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Filipa Césars Video über einen Archivar in Guinea-Bissau ist in der Ausstellung "Wir sind alle Berliner 1884-2014" zu sehen.

© Filipa César, Th Embassy, 2011

Kunst und Kolonialismuskritik: Die Aufteilung Afrikas

Künstler erinnern in einem Neuköllner Projektraum an die Berliner „Kongokonferenz“ von 1884 – und an den Kolonialismus heute.

Zahlreiche Institutionen habe er kontaktiert, um Unterstützer für die Ausstellung „Wir sind alle Berliner 1884-2014“ zu finden, sagt der Ausstellungsmacher Bonaventure Ndikung im ICI Berlin. Die häufigste Antwort: interessantes Thema, allerdings fördern wir im Moment eher Projekte, die sich mit dem Holocaust oder der Wiedervereinigung beschäftigen. Die „Berliner Konferenz“, auch „Kongokonferenz“ genannt, die vor 130 Jahren auf Einladung von Reichskanzler Bismarck in Berlin stattfand und in der die europäischen Staaten, die USA und Russland die Aufteilung und ökonomische Verwertung des afrikanischen Kontinents organisierten, ist in Deutschland kein großes Thema. Kolonialismus? Ist Schnee von gestern. Dabei ist das asymmetrische Verhältnis zwischen dem Westen und Afrika ein deutliches: politisch, wirtschaftlich, sogar in der global agierenden Kunstwelt teilt man ein in „westliche“ und „nicht-westliche Kunst“, ohne groß zu fragen, woher das kommt.

Ndikung, gebürtiger Kameruner, spricht von der „Isolierung eines historischen Moments“. Dabei seien die Folgen der ehemaligen Kolonialpolitik immer noch spürbar, in der afrikanischen Gegenwart, in blutigen Kämpfen, im Kongo, Ruanda, bei einer Terrorgruppe wie Boko Haram. Aber auch hierzulande: Anschläge wie in Paris, die Pegida-Bewegung, Flüchtlinge auf dem Oranienplatz, all das seien Nachwirkungen der kolonialen Politik Deutschlands – direkt vor unserer Haustür.

Imperiale Strukturen gibt es auch heute noch

Um neue Perspektiven bemüht sich der privat organisierte Projektraum „Savvy Contemporary“ bereits seit 2010. Künstler aus Afrika, Europa und allen Kontinenten stellen zusammen aus und kratzen gemeinsam am eurozentrischen Weltbild, auch in Workshops und Lectures, wie der am Dienstagabend im ICI Berlin.

Der Veranstaltungsraum ist voll, mindestens 100 Zuhörer sind gekommen, um die Beiträge von Simon Njami und Ann Stoler zu hören. Njami, von dem zuletzt eine Ausstellung zur„Göttlichen Komödie“ in Frankfurt am Main zu sehen war, organisierte bereits zahlreiche internationale Ausstellungen zur zeitgenössischen afrikanischen Kunst. Ann Stoler lehrt als Professorin für Anthropologie und Geschichte an der „New School for Social Research“. Überwiegend jüngeres Publikum ist da, „mehr weiße Gesichter als schwarze“, wie Njami feststellt. Njami hat die Ausstellung „Wir sind alle Berliner“ bei Savvy Contemporary kuratiert. Dass er, der sonst große Museen und Biennalen bespielt, die „Kongokonferenz“ in einem kleinen Neuköllner Projektraum thematisiert, zeigt auch: Es ist in Berlin noch ein Nischenthema. Die merkwürdige Gleichzeitigkeit von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit wird an diesem Abend noch öfter Thema sein.

Die Frage ist, wie man künstlerisch intervenieren kann

Njami erinnert in seinem Vortrag daran, dass die Kongokonferenz nicht nur in Berlin stattgefunden hat, sondern, dass die Berliner auch Teil davon waren. Die Praktiken der Entmenschlichung, die im 17. Jahrhundert auf afrikanischen Plantagen und später in deutschen Kolonien praktiziert worden waren, hätten ihre Weiterentwicklung im Holocaust gefunden. Ein blinder Fleck in der Geschichte, der gesehen und bearbeitet werden will. Njami spielt mit den Begriffen Schwarz und Weiß, hell und dunkel, Finsternis und Licht, lässt die Stimme von laut nach leise purzeln, bis man ihn kaum noch versteht, und weiß geschickt, die scheinbare Dominanz der Farbe Weiß zu demontieren.

Imperiale Strukturen seien keine Sache der Vergangenheit, sie seien Gegenwart, fassbar in Ereignissen wie 9/11, offensichtlich einerseits, verborgen andererseits, sagt Ann Stoler. Sie bringt Beispiele aus den palästinensischen Gebieten und Kanada. Wie funktioniert das Archivieren von Erinnerungen, wie funktioniert das Vergessen, fragt sie. Auch wenn Stoler dafür plädiert, auf Begriffe zu achten, im Wortgewitter ihres Vortrags verliert sich manche Idee, auch wenn es um die Kunst und die Macht der künstlerischen Intervention geht, die doch der Ausgangspunkt des Abends war. Eine Fortsetzung aber folgt, noch bis Sonntag wird in weiteren Gesprächen nach dem Echo der „Kongokonferenz“ gefragt.
26.2. bis 1.3., verschiedene Orte, Info: www.savvy-contemporary.com

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