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Kunst und Tanz: Im Sprung gefroren

Mit der Befreiung des Tanzes tauchten in der Plastik Haltungen und Gesten auf, die zuvor kaum vorstellbar waren. Das Berliner Georg-Kolbe-Museum zeigt, wie eng Tanz und Skulptur der Moderne miteinander verflochten sind.

Sie stehen auf den Fußspitzen. Die Arme weit in den Raum gestreckt, die Hüfte zur einen Seite gedreht, den Oberkörper zur anderen, den Kopf nach hinten geneigt, als würden sie abheben oder springen. Aber sie tun es nicht. Der Sockel hält sie, und noch viel mehr die schwere Bronze, aus der ihre Leiber bestehen. Die Ausstellung „Tanz Plastik“ im Georg-Kolbe-Museum will zeigen, wie der Tanz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Bildhauer der Moderne beeinflusste.

Bereits um 1900 begeisterte die Tänzerin Loïe Fuller das Pariser Publikum mit neuartigen freien Tanzperformances, in denen sie ihre meterlangen Gewänder mithilfe eingenähter Stäbe in wellenförmige Bewegungen versetzte. Bald gastierte sie und später auch Tänzerinnen wie Isadora Duncan oder Gret Palucca in Berlin. Sie tanzten nicht mehr nach den Regeln des klassischen Balletts, sondern entdeckten den Körper als Ausdrucksmittel – meist barfuß und in luftigen Gewändern.

Bewegung war das neue Faszinosum für bildende Künstler. Fritz Klimsch, Max Klinger oder Walter Schott bedienten sich auf der Suche nach authentischen Posen nicht mehr nur in der Antike, sondern auch beim modernen Tanz. Das zeigt der erste Ausstellungsraum, in dem die Kuratorinnen Ursel Berger, Juliane Kobelius und Anna Wenzel-Lent Jugendstil-Statuetten versammelt haben. Der Franzose Raoul Larche schuf – inspiriert von Loïe Fullers Schleiertanz – eine kleine vergoldete Statue, eigentlich eine Tischlampe, bei der das wallende Gewand der Tänzerin wie eine vertikale Flamme über ihrem grazilen Kopf auflodert.

Die Bildhauerei hat sich seitdem radikal verändert. Längst spielt keine Rolle mehr, ob die Figuren bekleidet sind oder nicht – im Gegensatz zur wilhelminischen Zeit. Je populärer der „Ausdruckstanz“ ab 1910 wurde, desto mehr reizte es auch die Bildhauer, den sich frei bewegenden, nackten Körper darzustellen. Edgar Degas formte bereits 1883 eine Plastik, bei der eine Tänzerin in extremer Körperbeherrschung ein Bein nach vorne streckt. Ähnlich ungewöhnliche Posen, energisch geformt, sieht man 1910 bei Auguste Rodin, der seine Skulpturen-Serie „Mouvements de danse“ selbst für so bahnbrechend hielt, dass er sie zunächst nicht öffentlich zeigen wollte, aus Angst, sie würden kopiert.

Das Herzstück der Ausstellung ist Georg Kolbes „Tänzerin“ von 1911/12 aus der Berliner Nationalgalerie. Die Aktfigur mit ihren ausgebreiteten Armen, die wie beseelt wirkt vom Tanz, besaß schon damals Kultstatus. Kolbe hatte die Skulptur nicht nach einer Tänzerin, sondern nach Lotte Pechstein, der Frau des Malers Max Pechstein, modelliert. Doch auch er war großer Tanz-Fan. Mit Begeisterung besuchte er die Aufführungen der „Ballets russes“ im Theater des Westens. 1912 lud er unter anderem die Stars der Truppe Waslaw Nijinsky und Tamara Karsavina in sein Atelier ein, um zahlreiche zeichnerische Bewegungsstudien anzufertigen. Auf dieser Basis schuf er seine herrliche Nijinsky-Skulptur, so ernsthaft und ironiefrei, wie sie heute kaum noch ein Künstler modellieren mag.

Mit der Befreiung des Tanzes tauchten in der Plastik der Moderne Haltungen und Gesten auf, die zuvor kaum vorstellbar waren. Das neue Repertoire führte zu einem neuen Raumverständnis und in die – bis dato in der Bildhauerei unbekannte – Abstraktion, wie der dritte Teil der Ausstellung vorführt. In Rudolf Bellings berühmter Skulptur „Dreiklang“ von 1919 erkennt man einen Reigen aus drei abstrahierten Tänzerinnen. Belling, ein Bauhaus-Fan, der in erster Ehe selbst mit einer Tänzerin verheiratet war, ging es dabei aber vielmehr um den Dreiklang der Künste Malerei, Bildhauerei und Architektur.

Und siehe da – der Tanz und die Transdisziplinarität der Künste sind heute wieder ein großes Thema. In jüngster Zeit gab es zahlreiche Ausstellungen dazu, wie gegenwärtig im Centre Pompidou in Paris mit „Danser sa vie“. Auch das Georg-Kolbe-Museum präsentiert im Laufe der Jahre mehrere Ausstellungen zum Thema Tanz, zuletzt wurden 2003 Kolbes vom Tanz beeinflusste Zeichnungen vorgestellt. Bisher wurde jedoch selten auf die Bildhauerei fokussiert. Das holt das Georg-KolbeMuseum jetzt nach.

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 28. Mai; Di–So 10–18 Uhr.

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