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Wolfgang Nieblich versieht Betonsockel mit anregenden Gedanken - auch aus dem Tagesspiegel..

© Philipp Sickmann

Kunstaktion in Mitte: Poesie auf Beton

Zwischen den zahllosen Baustellen in Berlin Mitte werden die Passanten von Zitaten großer Denker überrascht: Der Künstler Wolfgang Nieblich hat sie auf Betonklötze gesprüht, die eine oberirdische Wasserleitung tragen.

Schwer hängt der Himmel über der Riesenbaustelle, die im Stadtplan als „Mitte“ verzeichnet ist. Straßensperrungen, Sackgassen, Spurverengungen, Zäune, Gitter, Absperrungen so weit das Auge reicht. Der Bauch Berlins ist aufgerissen, an unzähligen Stellen, die Hauptstadt hat Erneuerungsfieber. Und weil’s so rasant voran geht, gilt: absolutes Halteverbot. Weiträumig, überall dort, wo gerade keine Bagger stehen. Ober- wie unterirdisch wachsen die prestigeträchtigen Problemprojekte: Hohenzollernschloss, Staatsoper, die Kanzler U-Bahn. Nur Schinkels Bauakademie ist immer noch ein potemkinscher Palazzo, Backsteinornamentik auf Plastikplane. Klassizistische Tristesse, ohne Hoffnung auf Investorenliebe. Und als wäre das nicht genug, ist der Bau auf Höhe der Beletage von Rohren umzingelt: Die blauen winden parallel zum „Werderschen Markt“ vorbei, die magentafarbenen auf der Seite des Schinkel-Denkmals. Aufgeständerte Abwasserleitungen sind das, in denen braune Brühe aus den Baugruben gen Spree gurgelt.

Doch halt: Auf den Betonblöcken, in denen die Stützen stecken, sind Worte aufgesprüht. Gedankenstoff. Aphorismen großer Denker. „Alles wird interessant und wichtig, wenn man lange genug hinsieht“, ist da zu lesen. Ein Zitat von Gustave Flaubert. „Unkraut ist die Opposition der Natur gegen die Regierung der Gärtner“, hat Oskar Kokoschka gesagt. Und von Arthur Conan Doyle stamm die Weisheit: „Fallen ist wie Fliegen – mit dem Unterschied: Es gibt ein verbindliches Ziel.“ Auch ein Zitat aus dem Tagesspiegel ist dabei: „Die Welt ist ein Bordell: Man wird schnell abgefertigt und geht hungrig raus.“

Eine aufgesprühte Mailadresse weist den Weg zu jenem Menschenfreund, der diese erhebende, erhellende Intervention im Stadtraum erdacht hat. Wolfgang Nieblich ärgerte sich im vergangenen Jahr über die klotzigen Rohrleitungen, die vor seinem Atelier in der Pfalzburgerstraße hochgezogen wurden. Also begann er den Beton zu beschriften – was der Tiefbaufirma Brechtel so gut gefiel, dass aus der lokalen Kunstaktion eine Wanderausstellung wurde. Seit November stehen die Rohre samt aussagekräftigen Stützquadern nun in Mitte. Und helfen, im Gewirr der urbanen Um- und Abwege, dieses beängstigenden, zukunftstrunkenen Chaos klar zu sehen. Mit Albert Einsteins Worten beispielsweise: „Probleme lassen sich niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“

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