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Kultur: KunstBiennale: Szeemanns Garn am Lido

Der Erfolg steht schon beim Auftakt fest. 69 Länder beteiligen sich diesmal an der als Nationenwettstreit entstandenen KunstBiennale von Venedig, der 49.

Der Erfolg steht schon beim Auftakt fest. 69 Länder beteiligen sich diesmal an der als Nationenwettstreit entstandenen KunstBiennale von Venedig, der 49. seit ihrer Gründung im Jahr 1895. Die Biennale ist beliebter denn je. Zugleich macht sie sich selbst Konkurrenz. Unter Harald Szeemann, der zum zweiten Mal in Folge als Direktor der Abteilung Bildende Künste fungiert, ist die Nebenausstellung der "Jungen Künstler" zu einer vollgültigen Kunstschau herangewachsen, die diesmal 112 Künstler vereint. "Plateau der Menschheit" lautet ihr ebenso nichtssagender wie Ehrfurcht gebietender Titel, aber Titel sind in Venedig seit jeher Schall und Rauch.

Der Schweizer Szeemann weiß, was die italienische Kulturpolitik erwartet: "Die Biennale ist eine der wichtigsten Ausstellungen der Welt, sie steht in direkter Konkurrenz zur Kasseler Documenta, viele andere Ausstellungen sind nach ihrem Vorbild geformt." Er ist der einzige Kurator, der sowohl die Documenta (1972) als auch die Biennale betreut hat, und er macht deutlich, dass er Venedig den Rang der führenden Kunstausstellung sichern will, den die Biennale zwischenzeitlich an Kassel, wenn nicht bisweilen an andere Biennalen weltweit hatte abtreten müssen.

Die Erwartungen waren dementsprechend hoch, und überwältigend ist die Resonanz während der berühmten drei Vorbesichtigungstage, bevor die Biennale am heutigen Sonnabend offiziell eröffnet wird. Da reisen nicht nur Hunderte von Kritikern an, da kommen Tausende von Künstlern, Sammlern, Museumsleuten, die ganze "Szene", und machen aus den giardini mit den nationalen Pavillons und dem von Mal zu Mal ausgeweiteten Areal innerhalb des ehrwürdigen Arsenals einen Kunstrummel ohnegleichen.

Geduld war diesmal mehr denn je zuvor gefragt. Zahlreiche Länderpavillons verlangten Anstehen, weil die beschränkten Räume den Ansturm nicht fassen konnten, zumal mehrfach Installationen gezeigt werden, die nur eine Handvoll Besucher zur gleichen Zeit erleben kann. Der deutsche Pavillon steht für diese Form einer intimen, selbstbezogenen Kunst. Gregor Schneider, dessen Name vor der Berufung zum BiennaleKünstler durch den deutschen Kommissar Udo Kittelmann nur sehr Eingeweihten geläufig war, hat umfangreiche Teile des von ihm seit Jahren im heimischen Rheydt zum "Totenhaus ur" umgebauten Hauses nach Venedig verfrachtet und neu zusammengesetzt. Das Schneidersche Haus ist ein Labyrinth von Räumen, die nicht zusammenpassen, die durch Korridore, Treppen, klaustrophobische Tunnel eher voneinander getrennt denn miteinander verbunden sind. "Haus ur" ist ein Unort mit toten Türen und Fenstern, mit Sackgassen und düsteren Ecken, der die Wahrnehmung der in ihm herumkriechenden Besucher auf durchaus unangenehme Weise schärft.

Wenn man in diesem kafkaesken Bau ein Abbild deutscher Befindlichkeit sehen mag, so ist es eine privatistische Befindlichkeit. Damit liegt Schneider im Biennale-Trend, der die persönliche Sicht des Künstlers in seinem Verhältnis zur Welt betont, nicht die kollektive Utopie wie in den siebziger Jahren und schon gar nicht die politische Intervention. Das heißt nicht, dass das Politische, dass die Probleme der Welt ausgeblendet würden; nur finden sie sich in der jeweils individuellen Perspektive der Künstler gespiegelt und beantwortet. Es verwundert darum nicht, dass Szeemann in seine "Plateau"-Übersicht an prominenter Stelle Joseph Beuys mit seiner - im Hamburger Bahnhof zu Berlin bewahrten - Arbeit "Das Ende des 20. Jahrhunderts" integriert hat, als den Übervater, der vor 30 Jahren seine radikale Neudefinition der Kunst einer damals politisch erregten Zeit entgegengestellt hat.

Die nationalen Beiträge - 31 Länder sind stolze Besitzer eines eigenen Pavillons, die anderen müssen in Ausweichquartieren gastieren und drängen auf die Errichtung eigener Häuser - und die Szeemann-Schau sind, wie gesagt, voneinander unabhängig; es macht ja den Charme der venezianischen Biennale aus, dass sie am anachronistischen Modell des Länderwettkampfs festhält und den Sieger auch noch mit dem "Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag" honoriert.

Aber die Kuratoren-Ausstellung hat diesmal ein Gewicht bekommen, das sie in Idealkonkurrenz zur nächsten, 2002 anstehenden Documenta versetzt. Das wird auch am Zeitaufwand deutlich. Mochte man früher die Nachwuchsausstellung "aperto" als apendix zu den giardini am späten Nachmittag durcheilen, so müssen für mittlerweile 12 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche in den grandios gealterten, teils über 400 Jahre alten Gebäuden des Arsenals insgesamt mehrere Kilometer Fußmarsch und ein ganzer Tag eingeplant werden.

Man darf gespannt sein, wie sehr sich zumal in den heißen Sommermonaten der Langmut des zahlenden Publikums strapazieren lässt. Vor der deutschen Hausbegehung hieß es bereits bis zu zwei Stunden: warten. Geduld wird auch in den Repräsentanzen Großbritanniens und Frankreichs verlangt. Mark Wallinger, seit dem Londoner "Sensation"-Spektakel von 1997 wohlbekannt, zeigt Arbeiten aus den Jahren seither, darunter zwei Videos. Pierre Huyghes Arbeiten im französischen Pavillon spielen mit den Möglichkeiten avancierter Technologie; so lässt ein computeranimiertes Video "Ann Lee", eine Figur der japanischen "Manga"-Comics, in einer Landschaft wandern, die die dreidimensionale Wiedergabe ihrer Stimme darstellt. Auch der nordische Pavillon - in dem Schweden, Norwegen und Finnland vereint sind, nicht aber Dänemark und Island - wartet mit einer ausgefeilten Licht-Klang-Installation auf, und bei den Österreichern am äußeren Rand der von Pavillons mittlerweile restlos besetzten giardini unternimmt die Gruppe "granula synthesis" nach eigenen Worten einen "synästhetischen Angriff" aus "zuckenden Bildern und donnerndem Sound" auf die Wahrnehmungsorgane des Betrachters - der sich zur Erholung in das Feuchtbiotop der zweiten Künstlergruppe namens "Gelatin" flüchten kann.

Die radikale Gegenposition zu allen technischen Medien findet sich im belgischen Pavillon: reine Malerei. Aber nicht deswegen ist der belgische Beitrag einer der stärksten im Länderwettkampf, sondern weil Luc Tuymans - der unlängst In Berlin im Hamburger Bahnhof ausstellte - eine der prononciertesten Positionen der gegenwärtigen Kunst vertritt: Er arbeitet mit fotografischen Vorlagen, die er in eine scheinbar akademische Malerei übersetzt. Auf der Biennale erinnert er in seiner Bildserie "Schöner weißer Mann" an die verdrängte belgische Kolonialgeschichte.

Malerei ist auch in Szeemanns Ausstellung glanzvoll vertreten, wie der Schweizer Routinier überhaupt eine elegante Balance zwischen den heute gängigen Medien des Videos, der Installation, des Kunst-Imitiert-Leben-Arrangements mit traditionelleren Formen der Kunst bewahrt. Es gibt bei Szeemann keine wirklichen Überraschungen, keine Neuentdeckungen, vielmehr ein überlegtes Präsentieren von Anregungen, die er bei seinen Besuchen rund um den Globus eingesammelt hat. So ist vom Leipziger Shooting-Star Neo Rauch, derzeit in der Deutschen Guggenheim Berlin zu sehen, eine beeindruckende Auswahl versammelt. Altmeister Cy Twombly wartet mit ungewohnt expressiven, farbkräftigen Bildern zum überraschenden Thema der Seeschlacht von Lepanto im Jahre 1571 auf. Beide Künstler bespielen Räume im italienischen Pavillon, in dem ein Teil von Szeemanns "Plateau" untergebracht ist. Das Gastgeberland hat es nicht leicht mit dem knorrigen Schweizer. Er räumt Italien nur eine Beteiligung ein, aber nicht mehr die ausufernde Selbstdarstellung einschließlich alter und immer wieder geladener Stammgäste, was den italienischen Pavillon in früheren Zeiten zum Ärgernis gemacht hatte.

192 auf Leinwand gemalte Länderflaggen hat Szeemann am Italien-Pavillon anbringen lassen. Das genügt als Kommentar zum viel strapazierten Begriff der "Globalisierung". Die diesjährige Biennale lebt vom Gegensatz der Länderkonkurrenz und der Länder übergreifenden Ausstellung, die in Szeemanns durchaus persönlicher Auswahl gleichwohl zu einem Panorama der Gegenwartskunst geworden ist. Aus diesem anregenden Gegensatz gewinnt die Biennale eine visuelle Kraft, die sie lange Zeit vermissen ließ, freilich um den Preis des wirklich Neuen und Unerhörten.

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