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Kunstdiebstähle: Lösegeld für eine Leinwand

Offiziell wird nicht verhandelt: Wie Museen und Versicherungen mit Kunstdiebstählen umgehen.

Wer nachts in ein Museum einbricht und millionenschwere Kunstwerke stiehlt – wie vergangene Woche in Rotterdam geschehen –, gilt manchem als Gentleman unter den Verbrechern. Niemand kommt zu Schaden, das Diebesgut scheint auf einen feinsinnigen Hintermann zu verweisen. Filme huldigen dem Kunstraub, „Topkapi“ etwa, und in der „Thomas Crown Affäre“ spielt Pierce Brosnan den Monet-Dieb als smarten Dandy.

Doch das Klischee vom reichen Kunstfreund, der allabendlich die Kellertreppen hinabsteigt, um seinen gestohlenen Picasso zu bewundern, ist ein Mythos. Ein teures Gemälde ist vor allem eins: eine bequeme, weil pflegeleichte Geisel. Nach Schätzungen von Interpol gehört der Diebstahl von Kunst zu den lukrativsten Verbrechen, neben Drogen- und Menschenhandel.

In Deutschland liegt die Zahl der geraubten „Antiquitäten, Kunst- und sakralen Gegenstände“, wie sie die polizeiliche Kriminalstatistik aufführt, jährlich zwischen 1000 und 1500. In Berlin wurden 2011 genau 100 Werke als gestohlen gemeldet. Fast drei Viertel dieser Fälle sind bisher unaufgeklärt.

Am wichtigsten ist die Prävention

Der letzte spektakuläre Kunstraub liegt keine vier Jahre zurück: In der Silvesternacht 2008 wurden aus der Fasanengalerie in Charlottenburg mehr als 30 Werke im Gesamtwert von rund 200.000 Euro gestohlen, darunter Radierungen, Lithografien und Skulpturen von Matisse, Picasso und Georges Braque. Bis heute ist keines der Werke wiederaufgetaucht.

Ulrike Erben, die Betreiberin der Fasanengalerie, hat ihre Konsequenzen aus dem Diebstahl und einer weiteren Einbruchsdrohung gezogen: Sie verkauft ihre Kunst nur noch über das Internet. „Es wären zu viele Sicherheitsvorkehrungen nötig gewesen“, sagt sie.

Noch mehr Aufsehen erregte vor zehn Jahren der Einbruch ins Zehlendorfer Brücke-Museum. Drei Täter stahlen expressionistische Gemälde von Erich Heckel, Nolde, Pechstein und Kirchner. Deren Wert: rund 3,6 Millionen Euro. Noch im selben Jahr wurden zwei Einbrecher gefasst und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Heute lehnt das Brücke-Museum jeden Kommentar zum Thema Diebstähle ab. Zum Geschehen im Jahr 2002 genauso wie zur aktuellen Sicherheitslage.

Trotz der Gefahr lassen die Staatlichen Museen zu Berlin nur Leihgaben versichern, nicht aber ihren Bestand. Das bestätigt Hans-Jürgen Harras, der die Abteilung für Sicherheit leitet. „Das Hauptaugenmerk wird auf die Prävention gelegt“, sagt er und meint damit elektronische Einbruchmeldeanlagen und Wachpersonal. Diese Taktik ist offenbar erfolgreich: Der letzte Kunstdiebstahl bei den Staatlichen Museen liegt mehr als zwanzig Jahre zurück.

Berlin haftet für bis zu 400 Millionen Euro

Für Werke, die als Leihgaben nach Berlin kommen, treten spezielle Kunstversicherer ein, wie etwa die Axa Art. Seit 1994 kann zusätzlich auch noch das Land für Ausstellungsstücke in den Museen haften, bis zu einer Versicherungssumme von 400 Millionen Euro. Das verstoße allerdings gegen europäisches Recht, kritisiert Ulrich Guntram von der Axa Art. Museen, die diese Unterstützung nicht bekommen, würden benachteiligt. Zudem biete die Staatshaftung keinen ausreichenden Schutz von Kulturgütern.

Guntrams Kunden sind vor allem private Sammler. Bei solchen wurde im vergangenen Jahr fast die Hälfte aller Kunstdiebstähle in Deutschland begangen. Aber auch Museen, Galerien und Auktionshäuser sichern sich ab. Wegen des Booms am Kunstmarkt würden immer mehr Policen abgeschlossen, sagt Guntram. Die Preise hätten sich in den letzten zehn Jahren halbiert, weshalb das Geschäft für die Versicherungen kaum noch rentabel sei. Etwa ein bis zwei Promille beträgt die jährliche Rate für Ausstellungen. Bei Kunst mit einem Gesamtwert von zehn Millionen wären das etwa 15.000 Euro Versicherungskosten.

Sowohl die Axa Art als auch die Allianz behaupten, nicht mit Erpressern zu verhandeln und kein Geld für gestohlene Kunstwerke zu zahlen. „Lösegeldzahlungen sind kontraproduktiv“, sagt Guntram, Trittbrettfahrer wären die Folge. Stattdessen informieren die Versicherer das Art Loss Register mit Sitz in London. Dieses listet verschollene Kunstwerke auf, was einen Weiterverkauf erschweren soll. Es ist die weltgrößte derartige Datenbank, rund 300.000 Objekte sind registriert, knapp die Hälfte davon aus Europa.

Gestohlene Werke unverkäuflich machen

In besonders hochwertigen Fällen setzt die Axa Art auch Detektive ein, die in Abstimmung mit den Landeskriminalämtern ermitteln. Das Berliner LKA hat ein eigenes Kommissariat für Kunstkriminalität, als eines von nur drei Bundesländern. René Allonge ist Leiter der neunköpfigen Einheit, die sich um Fälschungen, Raubgrabungen und eben Kunstdiebstähle kümmert. „Das Wichtigste ist, die Werke nach der Tat so schnell wie möglich unanbringbar zu machen“, sagt er. Das gelingt, indem die Bilder in den Medien auftauchen, so dass mögliche Käufer gewarnt werden. Allonge glaubt beim Rotterdamer Raub an einen klassischen Fall von „Artnapping“, eine Entführung mit dem Ziel, Lösegeld zu erpressen. Die wahllose Zusammenstellung wertvoller Bilder deute darauf hin. Ob man mit Entführern verhandelt und ihnen womöglich Geld zahlt, darüber möchte auch der Kriminalhauptkommissar nicht sprechen.

Eins scheint klar: Eine „Kunstklappe“ würde die wenigsten Diebe zur Rückgabe ihrer Beute bewegen. In Köln war 2006 ein gelb gestrichener Stahlkasten aufgestellt worden, in dem gestohlene Kunstwerke deponiert werden konnten. Die Aktion – selbst ein Kunstprojekt – wurde nach wenigen Monaten beendet.

Bei aller Aufmerksamkeit für Diebstähle lauert die größte Gefahr für die Museen ohnehin ganz woanders, sagt Hans-Jürgen Harras von den Staatlichen Museen: „Gestohlene Gegenstände können zurückerlangt werden. Wenn aber ein Feuer die Sammlungsgüter zerstört, sind sie unwiederbringlich verloren.“

Kaspar Heinrich

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